Ja, Numenera ist nur grob beschrieben, aber es liefert (zumindest mir) schon beim Durchlesen dermaßen viel Abenteueraufhänger und Ideen, das das nie ein Problem war. Da habe ich mir z.B. bei 13th Age oder Symbaroum deutlich schwerer getan.
Es sind auch zu jedem Gebiet schon in den Hintergrundbänden jeweilse 3-6 Abenteueraufhänger dabei.
Es gibt (auf Englisch) inzwischen ja auch mehrere Hintergrund-Erweiterungsbände. Die liefern aber größtenteils noch zusätzliche neue Gegenden, anstatt die bestehenden zu vertiefen.
Was man als Spielleiter bei Numenera wirklich braucht, ist eine Bereitschaft zu improvisieren. Ich habe meistens nur eine Seite mit Notizen vorbereitet. Ein paar NSCs, ein paar Kreaturen, ein paar Orte.
Aber Improvisieren bei Numenera ist leichter als man meinen möchte, weil einem das Setting keinerlei Steine in den Weg legt. Etwas wäre in der aktuellen Situation cool - mach es!
Numenera ist auch ein Setting, bei dem ich im Gegensatz zu meinen sonstigen Gewohnheiten, die Spieler nicht die Hintergrundtexte lesen gelassen, sondern nur eine Zusammenfassung gegeben habe. Ich nehme mir aus dem Hintergrund, was mir gefällt, das reicht eigentlich immer für den Szenario-Einstieg und der Rest ergiebt sich während dem Spiel.
Hier schlägt auch das Konzept der SL-Eingriffe rein. Es erspart einem SEHR viele sonst nötige Detailregeln. Der Spielleiter hat eine Idee - Ein neues Problem, eine neue Fähigkeit für eine Kreatur o.Ä.? Er gibt den Spielern einen Punkt und bringt sie rein. Kein langes Nachschlagen, keine Diskussionen und die Spieler haben durch die Punkte auch was davon. Alle sind zufrieden.
Das einzige was wir gleich von Anfang an gemacht haben war, die Eingriffs-Punkte von den XP zu trennen. Erstere werden bei uns für kurzfristige Sachen verwendet (Klassisches Schicksalspunkte), statt letzterer gibt es fixe Aufstiege nach den Abenteuern.
Das ist sogar als Optionalregel im Buch, geht nur ziemlich unter, löst aber einen der Hauptkritikpunkte am Cypher-System.
Ein weiterer Vorteil, der sich aus der sehr offenen Welt ergiebt, ist, dass du dich nicht in Widersprüche verstricken kannst.
Du willst ein Dorf, das komplett auf einer riesigen Kreatur gebaut ist oder deren Bewohner zweimal am Tag die Dimension wechseln? Kein Problem, kann man jederzeit überall platzieren.
Dicht beschriebene Settings habens da schwer.
Du kannst auch problemlos Abenteuer oder Orte aus anderen Settings anpassen und verwenden. Und dabei steht dir sowohl Fantasy als auch SciFi zur Verfügung.
Es hat auch oft gut funktioniert, einfach ein paarmal auf den Tabellen aus "Injecting the Weird" (Im Deutschen als "Eine Prise Seltsames" im "Die Geschichte-am-Schopfe-Packen"-Begleitheft dabei) zu würfeln oder eine der wirklich kreativen Kreaturen als Basis zu nehmen um einen ganzen Abend voll zu machen.
Die Tabellen ersetzen auch gut die Beschreibungstiefe.
Man startet einfach mal das Szenario und wenn man an einer Stelle ein Detail braucht, schaut man in die Tabellen.
Wir spielen inzwischen seit knapp 3 Jahren. Es hat sich inzwischen auch ein sehr epischer Kampagnenhandlungsstrang ergeben, aber der war am Anfang nur sehr grob geplant. Ein spezieller Gegnertyp kam sehr gut rüber, also wurde eine Weltverschwörung dieser Gegner etabliert, deren Zerschlagung jetzt das Hauptziel der Kampagne ist.
Parallel dazu ist die Kampagne eine Entdeckungsreise durch die Heimfeste und die östlichen Länder.
Die SCs bleiben bei uns nie lange an einem Ort, sondern ziehen nach jedem Abenteuer weiter. Dadurch kann Numenera seine Vorteile voll ausleben.
Was mir am Regelsystem (neben den SL-Eingriffen) wirklich gefällt sind die namensgebenden Cypher. Die ständig wechselnden Einmal-Fähigkeiten bringen sehr viel Abwechslung und kreative Lösungen ins Spiel. Meine Spieler haben sogar eine für mich unerklärliche Vorliebe für Seltsamkeiten, also Gegenstände, die auf den ersten Blick erstmal sinnlos sind, entwickelt.
Alles in allem ist Numenera das beste, was mir je im Rollenspiel passiert ist. Es mag nicht jedermans Sache sein, aber ich denke es ist ein perfekter Kompromiss für Spielleiter und Gruppen, die Freiheit schätzen, aber kein völlig eigenes Setting bauen wollen.
Achja und entgegen der Kommentare von Monte Cook im Buch: Wie hoch du den Weird-Faktor drehst ist allein deine Sache. Bei uns schwankt die Kampagne ständig zwischen klassischer Fantasy, Space Opera-SciFi und Alice im Wunderland.
Und was die Beschreibungen der Welten 1-8 angeht: Frag dich einfach mal ernsthaft, wie oft du bei anderen, dichter beschriebenen Settings tatsächlich die historischen Infos der Zivilisationen von vor 20.000 Jahren gebraucht hast. Man verwendet vielleicht mal ein Artefakt aus der Zeit oder eine alte Ruine, aber das wars auch schon. Und das kannst du auch bei Numenera machen.
Ich halte es da so wie auch beim Rest von Numenera: Ich bringe in einem Szenario was ins Spiel, wenn es bei den Spielern ankommt, wird es später wieder verwendet. So haben wir eine Zivilisation aus einem früheren Zeitalter, deren Technologie vor allem auf verschiedenfarbigen Kristallen beruht(e). Auf dereren Hinterlassenschaften sind die Spieler inzwischen hin und wieder gestoßen und haben sie wiedererkannt. Sie wissen inzwischen auch, dass diese Zivilisation in einen großen, interplanetaren Krieg verstrickt war, aber das wars schon.
Mehr wissen die Spieler aber in anderen Settings meist auch nicht über die alten Völker.