Gestern Abend haben wir weiter gespielt und den gesamten vorgeplanten Teil der Kampagne ausgeschöpft. Durch den immer wackliger werdenden Turm musste die Story deutlich schneller voran getrieben werden, als es mit meinem üblichen System passiert wäre. Was nicht unbedingt schlimm ist...
Zu Beginn des Spiels habe ich den Turm erst mal so wieder aufgebaut, wie er am Ende der letzten Sitzung war. Er erwies sich dann aber doch als standfester als erwartet.
Auch dieses Mal hat es wenig PE durch Züge gegeben, allerdings hingen die meisten Züge auch mit einfachen Reaktionen auf Ereignisse zusammen, die nicht viel Erzählung erforderten oder auf Input von mir angewiesen waren.
Die Gruppe hat das Tal erreicht, in dem der Felsentempel liegt; beim Abladen hat Irem gehört, wie die Einheimischen das Tal 'das verfluchte Tal' nennen und hat nachgefragt (insgesamt zwei Züge): daraufhin hat man ihr eine Geschichte von Räubern erzählt, die vor langer Zeit in dem Tal gehaust hätten, bis der Teufel, der die Quelle des Flusses, der das Tal geformt hat, schon lange hatte versiegen lassen, sie alle mit Wahnsinn gestraft hätte, woraufhin sie sich gegenseitig umgebracht hätten. Nur einer hätte überlebt, und der streife nun, zu ewigem Leben verflucht, durch die Welt.
Einen mehrstündigen Marsch (und Schlepp) über einen alten Weg und einige Züge später standen die SC vor dem Tempel. Der Eingang war durch einen Geröllhaufen versperrt. Der Spieler von Samuel hatte sich die Mühe gemacht, die Kultur von Urartu im Netz zu recherchieren, also durfte er nun darüber referieren und den Tempel dank außen befindlicher Fresken dem Sonnengott Shiwini zuordnen.
Um den Eingang frei zu räumen, war es schon zu spät. Dies wurde am nächsten Morgen in Angriff genommen, zudem nahmen Samuel und Irem die Umgegend in Augenschein. Sie fanden einen Steinhaufen, der nicht natürlichen Ursprungs sein konnte. Sie räumten die Steine weg, und darunter kamen sechs Skelette zum Vorschein. Es waren, wie Aylin feststellte, die Skelette von erwachsenen Männern, die augenscheinlich keiner Gewaltanwendung zum Opfer gefallen waren (jedenfalls keiner, die Spuren an den Knochen hinterlassen hätte), und die Skelette waren zu gut erhalten, um antik zu sein.
Schließlich war der Eingang freigelegt und die SC betraten den Tempel. Drinnen gab es an den Wänden weitere urartäische Fresken und Inschriften, daneben aber auch krude und keinesfalls antike Ritzzeichnungen von Pfauen. Auch die Möbel und vergammelten Vorräte, Strohsäcke, Kleidungsstücke usw., die sich hier befanden, waren kaum antik. Es gab Konservendosen mit arabischen Schriftzeichen, aber in türkischer Sprache; damit konnten sie auf vor 1930 datiert werden. Auch ein bei Berührung zerfallender Koran wurde entdeckt.
Da Irem laut ihres Fragebogens Alevitin ist und die Aleviten neben den Yezidi und einer weiteren Gruppierung auf die gleichen Wurzeln zurückgehen, habe ich der Spielerin Informationen über die Yezidi gegeben, wie sie sie vermutlich kennen dürfte, nämlich, dass die Yezidi Teufelsanbeter sind. Wie die Aleviten sehen auch sie sieben Erzengel als von Allah eingesetzte Herrscher über die Welt, aber es gibt auch sieben Widersacher dieser Erzengel, und diese beten die Yezidi an. Das ist zwar Murks, könnte aber etwa dem entsprechen, was sie gelernt hat.
Währenddessen bekam die Expedition Besuch: bewaffnete kurdische Männer erreichten den Tempel, zwei von den Männern trugen eine alte Frau. Diese wurde abgesetzt und trat vor. Irem sprach mit ihr und erhielt von ihr ein handschriftliches Notizbuch. Ein Mann habe dieses Buch vor vielen Jahren ihrer Großmutter gegeben, damit sie oder ihre Nachfahren es an Menschen weitergeben könnten, die den Tempel einmal entweihen würden. Das Buch sei eine Warnung, den Tempel nicht zu betreten (die Frau selbst kann nicht lesen, ebensowenig wie ihre Vorfahren). Nun sei der Mann wiedergekehrt und habe sie aufgefordert, diese Verpflichtung zu erfüllen. Tatsächlich steht der Mann ganz hinten in der Gruppe, es ist der Rauschebart (von den Spielern zärtlich 'Mufti' getauft), den sie vorher schon getroffen haben.
Nach Übergabe des Buches machten sich die Einheimischen direkt wieder auf den Rückweg. Irem begann, das Buch zu lesen, das in kurdischer Sprache mit arabischen Schriftzeichen verfasst war. Der Inhalt ist oben schon zusammengefasst.
Während Irem las, räumten die SC im Inneren des Tempels einen weiteren Geröllhaufen weg, der den Weg in eine weitere Kammer versperrte. In dieser Kammer fanden sie eine staubbedeckte Mumie auf einem Tisch. Es gab zudem einen unordentlichen Haufen menschlicher Gebeine und einen etwa schuhschachtelgroßen Felsspalt in Bodennähe, hinter dem ein weiterer Raum bzw. eine weitere Höhle zu liegen schien.
An diesem Punkt habe ich begonnen, die gleichzeitigen Ereignisse ein wenig zu jonglieren, um an interessante Züge zu kommen, bei denen der Turm zusammenbrechen konnte. Resultate der Züge habe ich zunächst außer Acht gelassen. Der Professor entfernte den Staub von der Mumie und sah das Symbol des Omega-Wortes mit allen zugehörigen Folgen (das sichere Wissen, dass Gott tot ist und dies seine Mumie ist); fast zeitgleich schaute Samuel in den Spalt, aus dem sich ihm eine ledrige Hand mit klauenhaften Fingernägeln entgegenstreckte; Irem und Aylin sahen ebenfalls das Symbol; Samuel prallte zurück, und aus der engen Öffnung wand sich auf unmögliche Weise (Kults liberalem Umgang mit Raum und Zeit sei Dank) ein völlig verzerrter, aber trotzdem menschlicher Körper mit einem unmenschlichen Gestöhn; Samuel griff nach dem Professor, der sah den Angreifer (?) ebenfalls, riss die Damen mit sich zum Ausgang, aber Irem drehte sich noch einmal um, sah den Angreifer ebenfalls, zog eine Pistole und schoss...
All diese Ereignisse brachten Züge mit sich und der Turm war schon verdammt wacklig, aber weder fiel er, noch verweigerte ein Spieler den Zug. Die Kugeln aus Irems Waffe töteten den Angreifer. Der Professor verhinderte, dass weitere Personen sich die Mumie genauer ansehen.
Weil das ein momentaner Höhepunkt war, beendeten wir die Sitzung hier und werden beim nächsten Mal mit einem frischen Turm weitermachen, denn ein Kollaps des Turms wäre jetzt antiklimaktisch. Weil die SC den Turm nicht zum Einsturz gebracht haben, haben die drei Spieler, die das Symbol gesehen haben, jetzt die Möglichkeit, das Ergebnis dieses Anblicks selbst zu bestimmen. Sie haben zwei weitere Fragen für den Fragebogen bekommen (was bei Dread so etwas wie eine Entwicklung des Charakters ermöglicht):
- Durch das Omega-Wort weißt du nun unzweifelhaft, dass Gott tot ist. Welche Auswirkung hat das auf dich und deine Weltanschauung?
- Du entdeckst, dass du das Omega-Wort nachzeichnen und auch aussprechen kannst, wodurch du das Wissen um Gottes Tod ebenso unzweifelhaft weitergeben kannst. Was machst du mit dieser Fähigkeit?
Sollten die drei SC dieses Wissen an die anderen weitergeben, bekommen natürlich auch diese die Fragen. Wir haben vorsorglich schon mal für diesen Fall gezogen, der Turm ist weiter stehen geblieben.
Natürlich ist es ein bisschen schade, dass der Turm nicht umgefallen ist. Gerade im Fall von Schocks (mit meinem normalen System hätte es unzählige Würfe auf Stabilität gegeben) bietet Kult mit den Effekten auf der Tabelle der Mentalen Balance eine ganze Reihe netter Optionen, wie der Charakter vorübergehend oder dauernd außer Gefecht gesetzt werden kann.
Ein deutlicher Unterschied zu einem herkömmlichen System ist, dass Dread eigentlich nur für einen der beteiligten Charaktere hätte tragisch enden können, denn danach wäre der Turm für die anderen frisch aufgebaut worden. Stabilitätswürfe hätten vermutlich ein schlimmeres Ergebnis gehabt. Dennoch brachte der Turm einige Spannung ins Spiel, auch wenn die meist langsame, vorsichtige Herangehensweise an einen Zug bei wackligem Turm in ziemlichem Gegensatz zur Geschwindigkeit steht, mit der sich die Handlung in solchen Momenten entfalten sollte.
Was die Vorplanung weiterer Sitzungen angeht, bin ich auf den Input der Spieler gespannt, und es werden sich sicher mehr Möglichkeiten ergeben, PE ins Spiel zu bringen.
Robin