Wie bereits im
Grundkonsensthread angekündigt, möchte ich unsere bisherige Orientierung an Begriffen wie "klassisches Rollenspiel", "Abenteuerrollenspiel", ARS und "aufgabenorientiertes Rollenspiel" beim Spieldesign durch sog. Spielstile ersetzen.
Der Grund: Nicht nur sind die vier Begriffe mehr oder minder schwammig und alles andere als identisch - sie suggerieren auch, man bräuchte bloss zu wissen, dass man ein "klassisches" RPG/ARS entwerfe, und schon könne man problemlos und relativ unabhängig voneinander Regeln, Hintergrund, Abenteuer, Spielhilfen, ... entwerfen.
Und das ist nicht der Fall. Hinter Abenteuerrollenspiel & Co. verbergen sich mehrere Spielweisen, die alles andere als miteinander kompatibel sind. Der grösste Hammer aber ist, dass gerade in sog. klassischen RPGs oftmals Spielregeln, Hintergrund und Abenteuer ohne jeden Abgleich auf zwei oder gar drei dieser Spielstile ausgerichtet sind und sich dabei so richtig gründlich in die Quere kommen.
Haben schon alte Rollenspielhasen oft genug Ärger mit solchen Scherzen, so möchte ich gerade Einsteigern einen derart verwirrenden und spielspasshinderlichen Murks ersparen. Im restlichen Text führe ich zwei Spielstile als Beispiel ein, die einerseits unter die Rubrik Abenteuerrollenspiel passen, andererseits auch auf unsere Zielgruppen.
Danach lasse mich ein wenig über die Konsequenzen auf das Spieldesign für Punkte wie Regeln, Hintergrund- und Abenteuergestaltung sowie SL-Hilfen-Design & Co. aus. Das sollte meine Eingangshypothese untermauern helfen. Wer den Text aus dem Thread
SL-Hilfe bereits kennt, kann jetzt zu den Abschlußfragen am Ende springen.
Ein BeispielNehmen wir an, wir führen für unseren Fantasy-Hintergrund eine Gruppe mächtiger Zaubermeister ein, die einst in grauer Vorzeit herrschten, aber schon seit langem von der Bildfläche verschwunden sind. Ihre Hinterlassenschaften haben jedoch bis heute noch Auswirkung auf die Welt.
Eine dieser Hinterlassenschaften sind ihre weitverzweigten, gut gesicherten Nekropolen auf einer Inselkette - Katakomben voller Wunder, Geheimnisse und unbekannter Schrecken. Soweit zur Beschreibung, jetzt zu den Plotmöglichkeiten: Klar, das riecht nach Dungeoncrawl. Nur: Wie ziehe ich sowas auf? Worum gehts da? Was ist wichtig?
Mir fallen hier auf Anhieb zwei Methoden der Plotgestaltung ein, beide klingen ähnlich, sind im Grunde aber verflucht unterschiedlich. Und jede Wette, es wird massenhaft Leute geben, die beides als Abenteuerrollenspiel bezeichnen.
Spielstil 1: Strategiespiel und SpielarenaBei der ersten Methode bastele ich eine Spielarena in Form eines Katakombensystems voller Fallen und Hindernisse, je tiefer man eindringt desto schlimmer. Gleichzeitig statte ich die Arena mit Belohnungen aus: Wertvolle Gegenstände (= vereinfacht das Vorankommen in tieferen Schichten), feste XPs für das Lösen von Rätseln, Umgehen von Fallen, Erschlagen von Gegnern, ...
Kurz: Ich habe hier so etwas wie ein Strategie-/Taktikspiel mit realen Gewinn-/Verlustmöglichkeiten. Dem SL in spe muss man zeigen, wie man so etwas baut und leitet (Motto: "Hart aber fair"); man kann als Spieldesigner den Fokus auf ein stark regellastiges System legen, das das Zusammenstellen von Abenteurergruppen und Steigern von SCs als strategische Aufgabe mit hohem Bastelfaktor begreift. Man kann die Regelecke aber auch weniger hoch schrauben (erleichtert das Eintauchen in die Fiktion) und den Fokus eher auf angewandte Intelligenz legen (Stichwort: Rätselspiele, taktische Planung).
Spielstil 2: Schauspiel und ProtodramaDass diese Vorgehensweise sehr gut mit den Vorlieben eingefleischter Tabletop-/CoSim-/MMORPG-Spieler harmoniert, ist wohl ziemlich offensichtlich. Bei der zweiten Methode veranstaltet die Gruppe kein Strategiespiel, sondern ein Schauspiel - Grosses Actionkino wenn man so will. Das spricht v.a. Leute an, die mit Begeisterung in eine Fiktion abtauchen (egal ob per Film oder Buch) und fasziniert sind von der Möglichkeit, nicht einfach passiver Zuschauer zu sein, sondern selber eine solche Figur zu verkörpern, mittendrin im Geschehen zu sein.
Hier geht es nicht um Sieg oder Niederlage auf Spielerebene, sondern um die Inszenierung einer dramatischen Geschichte, bei der die Spieler wie improvisierende Schauspieler in ihre Rollen abtauchen und der SL in einer Mischung aus Geschichtenerzähler und Regisseur die Leute geschickt von Szene zu Szene, Höhepunkt zu Höhepunkt und einer Enthüllung von Mysterien zur nächsten geleitet.
Als ihre Augen und Ohren und mit Hilfe der flexibelsten Bühnenstaffage der Welt lotst er sie durch den Plot, eine Art Protodrama, das die SC durch ihr Handeln endgültig in eine fertige Fiktion giessen. Was für ein Unterschied zur Spielarena, sowohl was die Vorbereitung, das Leiten, ja den grundlegenden Sinn des Spieles angeht.
KonsequenzenDer Witz an der ganzen Geschichte: Ich kenne kein "klassisches" Rollenspiel, bei dem klar und deutlich gesagt wird, für welche der vielen Spielarten - das Beispiel oben stellt ja nur zwei von vielen möglichen Fällen dar - dieses Spiel gedacht ist und wie man dies am besten umsetzt. Schlimmer noch, oft dienen die Abenteuer zum FIlmemachen, der Hintergrund schwelgt vom detaillierten Erleben der Spielwelt - und die Regeln sind eigentlich für eine Spielarena gedacht.
Wenn es ganz dicke kommt, dann glauben die Spieleautoren auch noch, das Auflisten der Regeln, gefolgt vom Hintergrundkapitel, gefolgt vom Einstiegsabenteuer sei ernsthaft ausreichend, damit die Spieler sich anschließend erfolgreich selbst was zusammenzubasteln können. Okay, wenn man eh nur langjährige Rollenspieler anspricht, geht diese Rechnung i.a. sogar auf ...
Ich erwarte als Mindestmass, dass wir nicht in die gleichen Fallstricke tappen wie ich sie gerade geschildert habe. Also: Klare Ansage, wie die Spielweise funktioniert, was den Spielspass ausmacht und wie man so etwas erfolgreich organisiert, sei es nun beim Führen des Charakters, beim Leiten oder dem Entwurf eines Plots/einer Spielarena/...
Besser wäre es, nicht nur eine einzige Spielart vor drei Hintergründen nebst Beispielabenteuer anzubieten ("3x Spielarena bitte!"), sondern mehrere mit praktischer Demonstration durch Beispielabenteuer, wie sowas bei den einzelnen Hintergründen aussieht. Auf diese Weise bieten wir eine Art bunte Rollenspielpalette und verhindern nebenbei den Standardirrtum "Rollenspiel = diese spezielle Spielart".
Abschlußfragen- Sollen wir den Spielstilbegriff statt der bisherigen Begrifflichkeit (Abenteuerrollenspiel/ARS/...) als Basis fürs Spieldesign nehmen?
Ich plädiere für ja, Begründung: Damit kann man ein ordentliches, stringentes Spieldesign durchziehen, mit den bisherigen Begriffen nicht, s.o. für Belege. Wer anderer Meinung ist: Bitte begründen. - Wenn wir umsteigen: Was nehmen wir?
Bei der Begründung für die Wahl würde ich gerne unsere Zielgruppe als Argument sehen. Der Punkt enthält auch eine Diskussion darüber, ob wir uns auf einen Stil beschränken oder mehrere unterstützen wollen.
Was ich bisher noch nicht eingebracht habe: Andere Hintergründe als Fantasy. Das spielt bei einer evtl. Auswahl von Stilen jedoch durchaus eine Rolle - die obige Spielarena taugt z.B. gar nicht gut für die typischen "Call of Cthulhu"-Ermittlungsplots. Wäre ja für die Sparte Horror durchaus ein Kandidat.