Vermi’s Rezept für glückliche Spielleiter, oder wie man die Spieler das Spielgeschehen tragen lässt und sich trotzdem gar nicht langweilt, im Gegenteil
EinleitungFrüher, früher war ich Erzählonkel. Illusionist. Entertainer. Ich hielt die Fäden in der Hand, ich manövrierte die Spieler in Position, und dann ließ ich die Action sich entfalten. Irgendwann wurde ich es müde, die Last für das Gelingen des Spielabends allein auf meinen Schultern zu tragen. Ich war gelangweilt von meinen eigenen Ideen, wollte mich von den Ideen der Spieler befruchten lassen. Seither habe ich mit vielen Spielern und bei vielen SLs gespielt. Habe viel gelesen, viel ausprobiert. Viele Fehler gemacht, viele durchwachsene Runden erlebt, aber auch viele großartige. Und habe schließlich zu einem neuen Spiel- und Leitstil gefunden, mit dem mir Rollenspiel mehr Spaß macht als je zuvor. Die
Potter-Runde auf dem Großen Treffen war sozusagen mein Meisterstück in dieser neuen Disziplin. Hier ist mein Rezept.
Respektiere deine Spieler als ebenbürtigMach dich frei von der Vorstellung, dass du deine Spieler beaufsichtigen, bevormunden oder erziehen musst, damit sie keinen Unfug machen. Unterstelle, dass ihre Ideen und Vorstellungen genau so kreativ, stimmig und interessant sein werden wie deine eigenen. Deine Spieler sind dein Widerpart. Stell es dir wie ein Doppel beim Badminton vor. Spiel keine absichtlich schwachen Bälle, weil du glaubst, die Gegner kriegen sonst keinen Punkt. Nimm keine Bälle an, die deinem Partner gehören, weil du glaubst, es besser zu können. Hab Vertrauen, und hab Geduld. Suche die gemeinsame Wellenlänge mit den Spielern.
Leite die Kampagne, die du willstKlar kannst du deine Spieler nach ihrer Meinung fragen. Aber
du sollst die Kampagne leiten. Du sollst diese Kampagne
sein. Jeden NSC verkörpern, der auftauchen könnte, die Konsequenzen jeder Handlung eines Spielercharakters beurteilen, die Umwelt der Charaktere immer wieder interessant gestalten. Deine Begeisterung für Setting und Prämisse der Kampagne ist dafür essentiell. Geh hier keinen faulen Kompromiss ein. Leite nur Kampagnen (oder Abenteuer), auf die du sofort richtig Lust hast und die sofort in deinem Kopf Gestalt annehmen. Mach ruhig enge Vorgaben, was die Wahl der Spielercharaktere angeht.
Lass die Spielercharaktere das Kampagnenkonzept ergänzenDas Kampagnenkonzept ist das Fundament, aber was die Spieler darauf aufbauen, ist ihre Sache. Sie sollen sich nicht unterordnen. Sie dürfen, ja sollen dem Gesicht der Kampagne ihren Stempel aufdrücken. Ihre Charakterkonzepte sollen richtungweisend sein, aber sie sollen nicht den ursprünglichen Geist der Kampagne konterkarieren. Arbeite mit den Spielern zusammen, um dieses Ergebnis zu erzielen. Erkläre deine Idee, modifiziere sie ggf., wenn du dich gut dabei fühlst. Sage nicht einfach nein, wenn dir etwas nicht ins Konzept zu passen scheint. Sei konstruktiv, frage nach, mache Vorschläge. Animiere die Spieler, ggf. durch gezielte Fragen oder Vorgaben, ihren Charakteren Ziele, Wünsche und Probleme zu geben.
Spiele NSCs, die du geil findest, und spiele sie mit HerzDein wichtigster Beitrag zum gemeinsamen Spiel ist das Spielen von NSCs (und Monstern). Überfrachte das Spiel nicht mit NSCs, aber sieh zu, dass du genug NSCs zur Hand hast, die du gut spielen kannst und magst. Diese können so komplex oder klischeehaft sein wie du willst, schlau oder bräsig, freundlich oder Arschlöcher, können extrem detailliert ausgearbeitet sein oder nur aus einem Namen und drei Stichworten bestehen. Aber du solltest dich über diese NSCs freuen, während du sie spielst. Du solltest ihnen dein Herz schenken und sie mit Leben erfüllen, sodass die Spieler verstehen, wer diese NSCs sind und worum es ihnen geht. Nicht alles NSCs werden von den Spielern mit Interesse und Begeisterung aufgenommen werden: Biete ihnen mehrere an und konzentrier dich auf die, bei denen der Funke überspringt.
Spiele mit den SpielernIhr spielt dieses Spiel zusammen. Du bist nicht das Spielfeld, auf dem die Spieler spielen. Die Spieler sind nicht die Schauspieler in einem Stück, bei dem du Regie führst. Ihr spielt zusammen. Dein Kampagnenhintergrund (bzw. Abenteuerhintergrund) und deine NSCs treffen auf die Spielercharaktere, und keiner gibt nach oder verbiegt sich. Sie sind wie ein Paar auf der Tanzfläche, und mal führt der eine, mal der andere. Sie befruchten sich, bereichern sich gegenseitig. Sei nicht zu passiv, sei nicht zu dominant. Du führst etwas ein und gibst es dann an die Spieler ab. Sie machen etwas damit, spielen es vielleicht untereinander hin und her, und geben es dir dann zurück. Ganz zwanglos, ganz selbstverständlich. Es ist keine Frage von miteinander oder gegeneinander. Mal kannst du ihnen knallhart contra bieten, ein andermal ihnen die Welt zu Füßen legen. Aber immer zieht ihr gemeinsam an einem Strang. Ihr spielt einander zu, nicht aneinander vorbei. Ihr baut aufeinander auf, statt euch gegenseitig zum Einsturz zu bringen.
Sei gut vorbereitet, sei konzentriert, sei flexibelLeiten macht am meisten Spaß, wenn man fest im Sattel sitzt und sein bestes geben kann. Sei souverän. Kenne deinen Kampagnenhintergrund, kenne die Spielregeln, kenne die Spielercharaktere. Sei wach und konzentriert, wenn du leitest. Habe Namen, Orte und Personen zur Hand. Habe genug Ideen auf der hohen Kante, um das Spiel jederzeit zu befeuern, wenn die Spielercharaktere das gerade mal nicht tun. Plot Hooks oder Bangs, je nach Geschmack, um die Charaktere direkt und persönlich anzusprechen. Sei aber bei aller guten Vorbereitung nicht selbstverliebt. Sei jederzeit bereit, alles, was du vorbereitet hast, links liegen zu lassen, wenn die Spieler in eine andere, interessante Richtung gehen.
Gerade wenn du gut vorbereitet bist, solltest du auch darauf problemlos reagieren können und dabei die Stimmigkeit deines Hintergrundes wahren.
Gib den Takt anDu bist fürs Pacing verantwortlich. Sorge dafür, dass das Spiel weder zu gehetzt noch zu langatmig wird. Steuere, ohne zu drangsalieren. Indem du eine Szene zur rechten Zeit schneidest, einen Zeitsprung machst. Aber auch mal einfach laufen lässt. Indem du Konflikte durch Komplikationen verstärkst oder durch Eskalation verschärfst. Aber auch mal Druck rausnimmst, den Spielern einen Ausweg eröffnest. Natürlich kannst du deine Spieler auch mal fragen, ob du jetzt schneiden sollst. Aber sei kein Zauderer. Das gilt auch für deine Rolle als letzte Instanz in Regelfragen. Verunsichere die Spieler nicht durch Wankelmütigkeit. Denk nach und handle.
Lehn dich auch mal zurückMan muss nicht immer aktiv am Spiel teilnehmen, um Spaß zu haben. Manchmal kann man auch einfach nur Zuschauer sein. Das gilt für die Spieler, und das gilt auch für dich. Zolle deinen Mitspielern Respekt, indem du ihnen deine ungeteilte Aufmerksamkeit und deinen Applaus schenkst. Lass die Spieler untereinander spielen und hör ihnen aufmerksam zu. Und während du das tust, überlege, was das ändert, wie sich das auswirkt, was du damit machen, wie du da einhaken und einen draufsetzen kannst. Dein Einsatz kommt früh genug.
Gönn dir auch mal ein SoloDu schmeißt die Show nicht alleine und du darfst und willst auf keinen Fall den Spielern die Show stehlen. Aber der Spot ist mal auf jeden gerichtet. Auch auf dich. Wenn der Moment da ist, wenn etwas Spektakuläres passiert, bei dem die Spielercharaktere nur Zuschauer sind – dann sei da. Dann zieh deine Show ab, und rocke!