Aus aktuellem Anlass hier mal ein Beispiel für story-orientiertes Spiel, wie ich es mag. Es stammt aus der Westeros/Riddle of Steel-Runde bei Dirk auf dem Großen Wintertreffen 2008 in Büdingen. Vielleicht gebe ich nicht alles 100% in der richtigen Reihenfolge wieder, da bin ich mir nicht mehr sicher.
Achtung, enthält geringfügige Spoiler für „Ein Lied von Eis und Feuer“
Mein Charakter war ein ziemliches Arschloch, ein Ritter ohne Moral oder Manieren, ganz im Sinne der Vorlage von George R.R. Martin. Zuletzt hatte sich sein Herr, Ser Berric Dondarrion, zu einer Art düsterem Robin Hood im Dienste des Feuergottes R’hlorr gewandelt, und mein Charakter nahm dies mit dem Fanatismus des klassischen Mitläufers an. Was ihn aber etwas aus dem Gleichgewicht brachte, war die Begegnung mit einer Frau, die er vor 16 Jahren vergewaltigt hatte, und der daraus entstandenen Tochter, die inzwischen eine Hure war. Also, starker Tobak.
Das Abenteuer begann mit meinem Charakter und seiner Tochter in Gefangenschaft eines Flusslords (gespielt von Jörg). Feinde in Form von keinem geringerem als dem Reitenden Berg waren im Anmarsch, die Burg platzte mit Flüchtlingen aus allen Nähten (davon gar nicht so wenige R’hlorr-Anhänger), und die Situation glich einem Pulverfass. (Es gab auch noch andere Probleme mit den übrigen SCs, aber die lasse ich jetzt mal weg.)
Punkt eins story-orientiertes Spiel: Jörg, der ja den Burgherren spielte, sorgte dafür, dass mein Charakter aus dem Kerker raus und ins Spiel rein kam. Das war vorher mehr oder weniger absgesprochen, sonst wäre die Ausgangssituation für meinen Charakter ja auch blöd gewesen. Er ließ mich also frei, um im Kampf gegen den Reitenden Berg zu helfen, nachdem er mir einen Schwur auf meinen Gott abgenommen hatte. Das war alles andere als unglaubwürdig: Mein Charakter war einer der besten und schlachterprobtesten Kämpfer in der Burg, und jedes Schwert wurde bitter benötigt. Dennoch war Jörgs Motivation bei der Aktion ganz klar, meinen Charakter ins Spiel zu bringen.
Nach einer kleinen Kommandooperation nebst Scharmützel (gnadenlos ausgespielt nach leicht vereinfachten TRoS-Kampfregeln) hatte ich bewiesen, was ich im Kampf wert war. Am Vorabend der Schlacht spazierte ich durch die Reihen der verbleibenden Ritter und notdürftig bewaffneten Bauern und Fischer und machte einen auf Messias, segnete die Leute im Namen R’hlorrs usw. Aber nichts da: Dirk ließ mich knallhart auflaufen. Ein Unsympath wie mein Charakter, noch dazu gerade erst auf Bewährung aus dem Kerker entlassen… die Reaktion der Leute war alles andere als freundlich. In diesem Sinne: Man bekommt nicht immer alles, was man will, und das ist auch gut so.
Dann Punkt zwei story-orientiertes Spiel: Dirk rückte gezielt die Beziehung zu meiner Tochter in den Brennpunkt, indem er eine Szene beschrieb, in der sie Anzüglichkeiten mit zwei Soldaten austauschte. Ich war voll in meinem Element und spielte meinen Charakter als den unbeholfenen Klotz, der er war: Der irgendwie ein Vater sein wollte, ohne zu wissen, wie das geht, und sich daher auf das einzige zurückzog, von dem er was verstand: Aggressivität. Einen schlug ich nieder, den anderen schüchterte ich ein, als er sein Schwert gegen mich ziehen wollte, dann verbot ich meiner Tochter, sich je wieder einem Mann für Geld anzubieten, was sie alles andere als witzig fand.
Daran anknüpfend, entspann sich der Konflikt weiter, meine Tochter wurde freigelassen und in den Dienst der Fürstin (Jörgs Ehefrau) aufgenommen. Mein Charakter war hin und her gerissen: Einerseits wollte er, nachdem hier alles überstanden war, zu seinem Herrn und seinen Leuten zurückkehren, andererseits wollte er sich um seine Tochter kümmern und versuchen, sich zum erstem Mal in seinem Leben die Liebe eines Menschen zu verdienen. Also betete er zu R’hlorr um ein Zeichen (Gebet von mir in wörtlicher Rede vorgetragen).
Punkt drei story-orientiertes Spiel: Er erhielt das Zeichen. Dirk beschrieb, wie in diesem Moment ein Feuer in einem der Türme ausbrach, das schnell wieder gelöscht wurde. Offenbar war eine Kerze umgefallen. Diese Art von „Zusammenspiel“ meine ich: Nicht vorher geplant, ohne mein Gebet hätte die Szene gar keinen Sinn gehabt, sie war ein direktes Eingehen auf meinen Beitrag, doch ganz klar mit der Entwicklung der Handlung im Auge und nicht als Produkt einer „Spielweltlogik“ – eher ein unwahrscheinlicher Zufall als alles andere. Es war auch keine zwingende oder auch nur nahe liegende Wendung, wenn man die Vorlage beachtet. Es war Dirks eigene, kreative Leistung, sein Beitrag zur Geschichte in diesem Moment, der von mir aufgenommen und weitergesponnen wurde. Also bot ich Jörgs Charakter an, in seine Dienste zu treten, und er akzeptierte.
Die anderen Charaktere hatten auch ihre persönlichen „Subplots“ und Konflikte, bei denen ich hauptsächlich Zuschauer war (mein Charakter war zwar in einigen Szenen dabei, spielte aber keine Schlüsselrolle). Das alles verband sich jedoch, es wäre nicht das Gleiche gewesen, wenn ich nur mit Jörg und Dirk und nur meine persönliche Geschichte gespielt hätte, ohne die anderen (Azz und der Herr Rabe). Dann hätte ich unter anderem verpasst, wie Jörg seine über alles geliebte Frau mit einer Axt erschlug, weil sie ihn betrogen hatte, und auszog, um sich dem Reitenden Berg im Zweikampf zu stellen und zu sterben.
Alles in allem spielten wir von ca. 14-20 Uhr, einschließlich kurzer Spielwerteverteilung und Regeleinführung sowie Pause für das Abendessen. Nach der Runde war ich total geflashed, high auf Endorphinen, und das Erlebte hat mich noch eine ganze Weile bewegt und zum Nachdenken angeregt.