Okay, ich versuche mal, sinnvoll zu differenzieren. Ich bleibe erst mal bei DSA, ob man das 1:1 auf Vampire übertragen kann, bezweifle ich.
1) Differenzierung zwischen Verbreitung und echter Beliebtheit. Also, wird es gespielt, weil es einfach
da ist, weil man dafür Gruppen und Mitspieler findet, weil eben der Typ in der Schule, der andere zum Rollenspiel angestiftet hat, es im Schrank hatte – oder weil man das Material tatsächlich besser findet als das vorhandene Material anderer Rollenspiele?
2) Differenzierung zwischen guten Runden und schlechten Runden. Ich glaube schon, dass es von letzteren in DSA-Land so einige gibt. Daran ist auch das umständliche und widersprüchliche Regelwerk schuld. Daran sind auch Texte schuld, die den Meister zu Täuschung und Bevormundung anstiften. Es läuft wirklich viel schief, sonst hätte DSA ja nicht so viele Gegner und so viele zerstrittene Gruppen. Andererseits wäre es aber auch albern zu glauben, dass nicht eine Vielzahl von langjährigen DSA-Gruppen wirklich Spaß am Spiel hat, oder dass all diese Gruppen sich weit vom offiziellen Material entfernt haben. In diesem Sinne: DSA muss schon auch was richtig machen. Über den „funktionalen DSA-Spielstil“ hatte ich mal gebloggt und ihn als den
bombastischen Plot beschrieben.
3) Differenzierung zwischen dem Setting, den Spielregeln und den Abenteuerbänden. Hotzenplotzigkeit mag ein Aspekt sein, andererseits ist durchaus auch vorgesehen, dass Helden früher oder später die Herrscher und Lenker der aventurischen Geschicke kennen lernen und den größten Helden ihres Zeitalters zur Hand gehen. Da muss man sich doch nur die großen Abenteuer-Anthologien ansehen, da werden ja alles andere als kleine Brötchen gebacken. Der Punkt ist aber einfach, dass das Setting wirklich liebevoll und, wage ich es zu sagen, stimmungsvoll ausgearbeitet ist. Die Regionalspielhilfen machen einfach Spaß zu lesen. Wie gut man das dann als geneigter Meister im Spiel an den Mann bringen kann, steht auf einem anderen Blatt, aber da oft der Enthusiasmus des Meisters für den Erfolg der Runde entscheidend ist, sind diese Setting-Texte sicherlich das größte Plus. Hier kann ich auch, was den Spielstil angeht, keine Widersprüche ausmachen (dazu später mehr).
Die Spielregeln andererseits... schwierig. Ich bin ja kein Insider, bewege mich nicht in DSA-Foren, die als repräsentativ anzunehmen auch ohnehin töricht wäre. Meine völlig subjektive Vermutung ist, dass die meisten Leute diese grauenhaft umständlichen und oft genug unbefriedigende Ergebnisse liefernden Regeln als notwendiges Übel in Kauf nehmen. Was man dem Regelwerk zugute halten mag, ist, dass über das Talentsystem den Rassen und Regionen zusätzliche Färbung verliehen wird, hier wird in Regeln gefasst und plastisch gemacht, was man eben so lernt, wenn man, beispielsweise, im Hinterland von Thorwal aufwächst. Das Kampfsystem mit den Sonderfertigkeiten bietet demjenigen einen Vorteil, der sich gut damit auskennt und gleichsam weiß, wie man das System „schlägt“. Wer sich also einmal reingefuchst hat, kann durchaus Erfolgserlebnisse verbuchen, allerdings vor allem deshalb, weil das System broken ist und er weiß, inwiefern. Das würde ich nicht als „richtig gemacht“ ansehen, aber es könnte ein Grund dafür sein, warum diejenigen, die das System gut kennen, es verteidigen.
4) Differenzierung zwischen alternden DSA-Nostalgikern und Neu-Spielern. Mir geht es da wie Jörg, ich kenne fast ausschließlich erstere. In diesem Zusammenhang wäre es sicher auch interessant, mal die Bedeutung der Romane zu untersuchen.
Zusammenfassend ist sicherlich ein wesentlicher Grund für die fortgesetzte Beliebtheit von DSA einfach seine Verbreitung. Man hat hier im ganz positiven Sinne die Pionierstellung in eine solide Marktführerschaft umgewandelt und über die Jahre immer genug neues Material ausgeworfen, um die Leute bei der Stange zu halten. Darüber hinaus ist es aber schon so, dass DSA auch einiges richtig macht, nämlich vor allem beim Setting.
Ich finde die meisten der im OP genannten Punkte richtig, meine aber, dass meine Differenzierungen darüber hinaus wichtig sind. Zu zwei Punkten möchte ich noch konkret was sagen:
Casual Play: Das findet statt, sicher. Aber gewiss nicht, weil die DSA-Regeln dafür auch nur ansatzweise geeignet wären. Allein einen DSA4-Helden zu generieren, ist für einen Casual Player ein Albtraum (und übrigens auch für einen absolut nicht Casual Player wie z.B. Morvar, oder mich). Nein, soweit Casual Play bei DSA stattfindet, liegt das an den enthusiastischen Meistern und Vielspielern, die den Casual Players einfach die ganze lästige Regel-Arbeit abnehmen, damit sie nur mitspielen.
GNS-Invalidität: Nun ja, der Spielstil, den ich in dem weiter oben verlinkten Blog-Post beschrieb und der wahrscheinlich der verbreitetste in den „guten“ DSA-Runden ist, lässt sich mit GNS schon auch als funktional begreifen. Es handelt sich um „High Concept Simulationism“ in der Ausprägung „Participationism“. Ron Edwards beschreibt ihn in seinem Artikel „Setting and emergent stories“ als „Story Before“. Die Betrachtung von Katharina Pietsch, die aus den alten GNS-Artikeln zitiert, hinkt da etwas dem „Stand der Lehre“ hinterher, was ihr aber kaum vorzuwerfen ist. Was insbesondere fehlt, sind „celebration of source material“ und „constructive denial“. Das ändert nichts an den Vorbehalten, die man zurecht gegen GNS hegen kann. Und ebenso wenig ändert es etwas daran, dass Katharina richtig die Widersprüchlichkeit von Spielanleitungen und Regeln von DSA aufzeigt.
Ein Trugschluss ist jedoch die Annahme, das Setting sei (etwa aufgrund bestimmter Logik-Schwächen) nicht „kohärent“ im GNS-Sinne. Im Gegenteil, das Setting schafft es erfolgreich, jeder Region ein bestimmtes, lokales „Erlebnisgefühl“ oder „Thema“ zu geben. Das atmosphärisch dichte und detailreiche Erleben der Spielwelt steht dabei jederzeit im Vordergrund, die Konflikte sind abseits des Metaplots relativ statisch und drängen sich nicht nach vorn, und es gibt gibt auch keine „Dungeons an jeder Ecke“ oder andere „spielige“ Aspekte. Wildtiere greifen Menschen nicht an, wenn sie nicht provoziert werden, etc. Die vielen erlernbaren Setting-Details verfestigen das Gefühl für eine bestimmte Region und das, was sie ausmacht. Dass diese Regionen nebeneinander existieren, obwohl das unlogisch ist, ist ganz problemlos hinnehmbar. Constructive denial funktioniert hier trotzdem super. Wollt ich nur mal angemerkt haben.