Autor Thema: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite  (Gelesen 2992 mal)

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Offline Arkam

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Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« am: 3.04.2008 | 12:56 »
Hallo zusammen,

unter http://tanelorn.net/index.php/topic,40508.0.html wird ja derzeit über die Abgründe der Menschheit im Rollenspiel diskutiert.
Also darüber wie das ausspielen von menschlichen Extremerfahrungen wie Vergewaltigung, Folter und ähnlichem im Rollenspiel zu beurteilen sind.
Innerhalb der Diskussion tauchten auch immer wieder Fragen auf wie:
Warum ist dieses System für das Ausspielen von extremen Erfahrungen geeignet oder nicht geeignet?
Wie sollte ich meine Mitspieler auf ein solches extremes Abenteuer vorbereiten?
Was sollte der Spielleiter beim Leiten beachten?
Hier sollen solche technischen Fragen behandelt werden. Zum Pro oder Contra von solchen Extremsituationen einfach im oben genannten Thread diskutieren oder einen neuen aufmachen.

Ich möchte dabei den Blickwinkel auf ein ernsthaftes Spiel lenken. Also nicht die berühmten pubertierenden Jugendlichen die ihre sexuellen Fantasien ausleben und auch nicht die coolen Kerle die versuchen über das Ertragen von extremen Medien ihren Status zu beweisen.
Sondern auf ein Spiel indem versucht wird solche Grenzsituationen ins Spiel zu bringen um damit eins oder mehrere der folgenden Ziele zu erreichen.
Es soll Kritik an einem realen Vorgang geübt werden, also etwa Folter um das Thema ins Blickfeld zu bringen.
Die Situation soll im Spiel bearbeitet werden um sich dem eigenen Standpunkt und dem Standpunkt der Mitspieler klar zu werden und Diskussionen anzuregen.
Es sollen Randgruppen ins Blickfeld gebracht werden. Ob man das jetzt tut um Verständniss für ihren Standpunkt zu erlangen oder um ihre Verderbheit ins Blickfeld zu rücken ist hier erst Mal unerheblich.
Die Situation wird in den Focus geschoben damit die Spielrunde daran moralisch / menschlich wachsen kann.
Einer der Spieler versucht durch das Einbringen ins Spiel ein Thema zu verarbeiten.

Am Anfang sollte man die Grenzen des jeweiligen Systems austesten. Denn wenn in den Regeln direkt von Folter oder wenigstens der Folter widerstehen die Rede ist oder im Bezug auf den Hintergrund von sexuellen Exzessen die Rede ist habe ich schon einen Rahmen denn ich eventuell noch nicht Mal ausweiten sondern nur tatsächlich ins Spiel bringen muß. Ganz anders beim Fantasysystem mit einer klaren Aufspaltung zwischen den guten Helden und den bösen was auch immer, beliebt sind ja Orks aber auch Nekromanten oder böse Usupatoren sind ja beliebte und anerkannte Gegner.
Hier kann schon das reine Erwähnen von Folter oder Verstümmelung die Erwartungen der Spieler übertreffen und zu negativen Reaktionen führen.

Je nach Runde kann sich jetzt noch ein Blick in die Spielregeln, ausdrücklich auch mit den eigenen Hausregeln lohnen. Denn meiner Erfahrung nach werden Dinge die auch eine regeltechnische Relevanz besitzen deutlicher und ernsthafter wahrgenommen. Wenn ich etwa bei einem System mit einem Schwertstreich nicht getötet werden kann und auch keine Dauerschäden davontrage wird die Relevanz von Gewalt eine andere sein als wenn ein Schwertstreich meinen Charakter töten oder verstümmeln kann. Ähnliches vermute ich auch bei anderen Themen.
Gegebenenfalls sollte man also je nach angestrebten Thema und dem Willen der Runde Hausregeln zu akzeptieren auch einen anderen Regelsatz in Betracht ziehen.

Ganz besonders wichtig ist das man seine Mitspieler auf ein solches Abenteuer vorbereitet. Im ersten Schritt gehört dazu überhaupt das angestrebte Thema zu nennen. Schütteln jetzt schon alle einhellig den Kopf muß man aben verzichten oder für dieses Abenteuer anch anderen Spielern suchen.
Stimmen die Spieler zu sollte geklärt werden wie man das Thema angehen möchte. Vor allem ob die Charaktere das Thema als Täter, Opfer oder eher aus einem neutralerem Standpunkt etwa als Ermittler erleben sollen.
Auch die Art wie gespielt werden soll ist eine Überlegung wert. Ob man beim "Ich tue ... ." bei Spielen aus Täter oder Opferperspektive bleibt oder sich doch mit "Mein Charakter tut ... ." vom Geschehen distanzieren kann spielt sicherlich eine Rolle.

Auch Sonderregeln was zu tun ist wenn ein Spieler eine Auszeit braucht und falls räumlich möglich eine geklärte Ausruhzone können hilfreich sein.
Denn auch wenn alle Spieler zugestimmt haben so können sie nie wissen wie belastbar sie tatsächlich am Spieltermin sind. Eine persönliche schlechte Nachricht, ein schlechter Traum oder auch nur eine gezogene ungewöhnliche Querverbindung können da einen ganz plötzlichen Bedarf nach Abbruch des Spiels, der Möglichkeit zur klaren und starken Distanzierung oder auch nur einer Auszeit aufkommen lassen.
Kommentare wie "Du Weichei" oder auch Fragen "Was war daran nun so schlimm?" sind nicht hilfreich.

Gruß Jochen
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Joe Dizzy

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #1 am: 3.04.2008 | 13:22 »
Ich denke, es fehlt das wichtigste weil weit verbreitetste Ziel solche Themen in das Spiel zu bringen:

...weil man so eine intensivere Reaktion auf das Spielgeschehen hat.

Man wird emotional gepackt, weil es ein Thema ist, dass eben nicht trivial ist. Die "technische" Umsetzung dieses Ziels, hat so gut wie nichts damit zu tun, wie man die Würfel benutzt oder welche Werte man hinzuaddiert. Das sind bestenfalls Mittel um die emotionale Reaktion zu dämpfen.

Wenn man solche "heißen Eisen" in das Spiel bringt, muss man sehr viel stärker Verantwortung für das Wohl seiner Mitspieler übernehmen. Man muss auf die kleinsten Hinweise achten, die ein Mitspieler gibt, dass ihm diese Inhalte das Spielgefühl nicht verstärken, sondern Unbehagen bereiten. Man muss erkennen wann eine schreckliche Horrorszene "wohlige Schauer" bereitet und wann sie Leute abstößt oder gar verstört. Alles andere würde ich als zweitrangig sehen.

Ich würde sowas immer ganz oder gar nicht handhaben. Als SL geht es mir allein darum, dass das Spiel gefällt. Sobald es da Momente des Unbehagens gibt, wird der Inhalt aus dem Spiel entfernt. Von Kompromissen in solchen Belangen halte ich gar nichts. Kein Spielinhalt ist mir so wichtig, dass ich deshalb das Wohlbefinden meiner Mitspieler in irgendeiner Form beeinträchtigen müsste.

oliof

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #2 am: 3.04.2008 | 18:52 »
Hallo Jochen,

als ein Beispiel für ein Spiel, bei dem es schnell um Extreme gehen kann, will ich mal Dogs in the Vineyard nennen. Dort werden unreife Jugendliche mit der Autorität und Aufgabe betraut, isolierte Gemeinschaften mit einem Problem, dass im Kern das Weiterbestehen der Gemeinschaft bedroht. Das Maß, dass die Gemeinschaften an eine 'funktionierende Gesellschaft' legen, wird zwar als Bestandteil der Welt beschrieben, aber nicht mechanisch repräsentiert: Es gibt kein Attribut 'Piety' oder sowas.

Und da trifft das Spiel den thematischen Kern, in dem die Extrema auftreten können, indem es ihm einen Raum läßt, den jede Gruppe selbst ausfüllen muß. Der Autor des Spiels nennt dies 'Fruitful Void', die fruchtbare Leere.

Ein anderes Beispiel ist Unknown Armies mit seinen Madness Meters, die genau anders funktionieren. Man entscheidet sich bei jedem schockierenden Erlebnis (einer gewissen Spielart), ob es einen abstumpfen läßt oder psychotischer macht. Hier gibts zwar keine fruchtbare Leere, aber eine aussagekräftige Skala, die der Spieler selbst kontrolliert.

Drittes Beispiel ist Artesia – die Comics sind voll von Gewalt, Sexualität, Folter, Knechtung und Verrat, aber auch Liebe, Treue, Ehre, Mut, Stolz. Im Rollenspiel schlägt sich das in den Arkana wieder, die eben auch Entwicklung zulassen, wenn man sich der Niedertracht und Ruchlosigkeit verschreibt.

Diese Spiele lassen (oder geben) Freiheiten, diese Extrema zu werten, und entsprechend auf sie zu reagieren – auf Charakter- wie auf Spielerseite, weil sie mechanisch keine Aussage über richtig und falsch treffen. Und deswegen funktionieren sie auch (oder gerade) mit extremen Inhalten.
« Letzte Änderung: 3.04.2008 | 19:40 von oliof »

Offline Dr.Boomslang

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #3 am: 3.04.2008 | 18:54 »
Regeln haben mit Sicherheit eine Auswirkung auf die Behandlung eines Themas, auch Mechanismen.

Folter ist z.B. so ein Thema das sicher bereits in vielen Runden vorkam und auch eine Rolle gespielt hat und das nicht nur als Stilmittel, sondern vielleicht weil Charaktere wirklich was wichtiges rausfinden wollten, oder selber zu was gebracht werden sollten was sie eigentlich nicht tun wollen.
Ich warte noch auf ein Folter-System das wirklich interessant ist.

Auch andere Extreme, grade emotionale Extreme von Charakteren sind noch nie so richtig gut verarbeitet worden. Angst und Schmerzen, aber auch sowas wie Unwille und Trägheit der Charaktere sind häufig nichts mit dem man sich als Spieler auseinandersetzen muss, weil es schlicht auf der Ebene der Regeln nicht vorkommt, oder nur als -X Modifikator der genauso gut bedeuten kann dass die Sicht grade schlecht ist oder man das falsche Werkzeug benutzt.

Preacher

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #4 am: 3.04.2008 | 19:36 »
Man entscheidet sich bei jedem schockierenden Erlebnis (einer gewissen Spielart), ob es einen abstumpfen läßt oder psychotischer macht. Hier gibts zwar keine fruchtbare Leere, aber eine aussagekräftige Skala, die der Spieler selbst kontrolliert.

Da muss ich dich korrigieren. In meinem Regelwerk steht, daß es vom Stresswurf abhängt, ob man eine Härte- oder iene Traumakerbe erhält. Bestehen des Verstand-Wufes bedeutet Härte, Scheitern bedeutet Trauma.
Oder hast Du ne andere Edition (Ich hab die deutsche, die AFAIK auf der englischen 2. Edition basiert).

@Georgios:
Du hast mit allem was Du da schreibst völlig recht. :d
Aber ich verstehe unter "die technische Seite" eben auch Techniken abseits von Regelmechaniken - das hat Jochen im Eingangspost ja auch angedeutet.
Die Art, wie man die betreffenden Elemente ins Spiel einbringt - ich will es in Ermangelung eines besseren Wortes mal provisorisch "Erzähltechnik" nennen, spielt sicherlich auch eine große Rolle.
Kann man diese Techniken nicht auch abstrahieren und bündeln? Oder muss das auf jede Gruppe von Grund auf neu angepasst werden?

Offline Woodman

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #5 am: 3.04.2008 | 19:47 »
Zitat
Kommentare wie "Du Weichei" oder auch Fragen "Was war daran nun so schlimm?" sind nicht hilfreich.
Blöde sprüche sind sicher fehl am platz, aber die frage "was" gerade eine grenze des spieler überschritten hat finde ich in dem fall wichtig zu klären, allerdings sollten sich dafür alle beruhigt haben.

Zur eigentlichen frage nach mechaniken fallen mir die mentalen nachteile bei GURPS ein, da habe ich einen wert und eine beschreibung, die ich auf meinen character anwenden kann. Damit habe ich eine möglichkeit die inneren verlangen des chars spielmechanisch abzubilden und die entscheidung des nachgebens oder widerstehens aus der hand geben um evntl. nötige distanz zu schaffen, das hat allerdings den nachteil, dass ein würfel mich in einer situation zum nachgeben zwingt in der ich als spieler das absolut nicht will, da müsste man eine art sicherung einbauen.

Weniger spielmechanisch sondern organisatorisch am tisch glaube ich das rituale helfen können eine trennung zwischen inplay und outplay zu schaffen, eine notwendige pause immer mit einem ortswechsel verbinden z.b. oder den beginn des spiels immer auf dieselbe weise einleiten.

Offline Arkam

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #6 am: 3.04.2008 | 22:02 »
Hallo zusammen,

@Woodman,
da ich teilweise in Runden mit Leuten spiele die ich kaum kenne ist die Frage nach dem "Was war los?" immer etwas kitzelig. Gerade wenn es ein einzelner Spieler oder eine einzelne Spielerin ist.
Da balanciert man dann auf dem schmalen Grad zwischen dem ernsthaften Wunsch zu helfen und einer gewissen Sensationslüsternheit.
Deshalb halte ich die Frage "Was war los?" nicht für hilfreich.
Wenn man mit seinen besten persönlichen Freunden spielt kann das sicherlich anders aussehen. Vielleicht muß man dann auch weniger Informationen anchreichen um den Anderen zu verstehen.

@Georgios
Das emotionale Erlebniss kann aber nur dann aufkommen wenn alle bereit sind sich darauf einzulassen.
Dazu sind aber durchaus nicht immer alle Spieler bereit. Ich bin bei den Runden die ich kenne schon froh wenn sich eine Runde findet die dann auch noch bereit ist sich auf ein extremes Thema einzulassen. Da will ich dann aber auch meinen Spielern Entspannungsräume bieten.
Ein möglicher Entspannungsraum der dazu noch nicht Mal das Spiel pausieren läßt oder die Spieler ganz auf die Metaebene bringt sind eben die definierten Spielregeln.

@Hendrik
Der Begriff Erzähltechniken gefällt mir sehr gut. Denn nicht alles was man regeln sollte muß auch eine Rollenspielregel sein.
Denn gerade wenn Spieler sich vom geschehen distanzieren wollen fallen häufig die "Heiligen Kühe des Guten Rollenspiels" und sie fallen meiner Ansicht nach zu recht.
Nur sollte man sich darüber auch klar sein um Mißstimmungen zu vermeiden die dadurch aufkommen das ein Mitspieler die "Heiligen Kühe des Guten Rollenspiels" pflegen möchte.
Auch als Spielleiter kann ein anderes Spielverhalten irritierend sein. Gerade auch wenn die einzelnen Spielercharaktere verschiedene Seiten eines Problems ausleuchten kann die Metaebene schon eine entscheidende Rolle spielen.

Ich habe etwa eine Cyberpunk 2020 Spielrunde mit dem Thema Snufferpornos mit Minderjährigen geleitet. Es gab eine Polizistin die eigentlich den gesetzlichen Part vertreten sollte, eine Konzernerin die eigentlich den kommerziellen Part + das egoistische Interesse, ihre Beförderung hing vom Erfolg des Konzerns auf dem Markt der Snufferpornos mit Minderjährigen ab, die sich aber für einen moralischen Standpunkt entschied und der Tochter des Konzernchefs die wirklich nur auf die Kosten / Nutzen Rechnung schaute.
Die Spieler haben versucht diese verschiedenen Standpunkte unter einen Hut zu bringen um als Gruppe agieren zu können und die Charaktere nicht gegenseitig in die Pfanne zu hauen.
Erst im Rückblick und nach der Erfahrung einer Runde mit den gleichen Spielern und dem gleichen System aber mit weniger extremen Thema kann ich etwas nachvollziehen was wohl passiert ist.

Gruß Jochen
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Offline Woodman

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #7 am: 3.04.2008 | 22:27 »
Auch bei spielern die ich weniger gut kenne will ich in so einem fall wissen was sie gerade genau gestört hat, denn nur wenn ich das weiß kann ich den trigger in zukunft vermeiden. Es geht ja nicht darum eine detaillierte psychoanalyse durchzuführen, dafür hab ich von der thematik viel zu wenig ahnung, und wenn es nicht gerade gute freunde sind fehlt auch die vertrauensbasis. Aber festzustellen wo die grenze überschritten wurde finde ich wichtig um beim nächstenmal einen großen bogen drum zu machen, unter umständen war die grenze ja garnicht das was ich dachte sondern ein kleines detail am rande, dass mir garnicht groß aufgefallen ist und in einem anderen zusammenhang dieselbe reaktion hervorruft. Jeder für sich hat halt sehr persönliche und individuelle trigger, die heftige emotionale reaktionen auslösen und die können eine ansonsten zwar harte aber verdaubare szene unerträglich machen, oder im extremfall sogar szenen die man für relativ harmlos hält an eine grenze bringen.
Deswegen finde ich, dass wenn man wirklich extreme ausprobieren will eine gewisse offenheit unter den spielern nötig ist um jeden einzelnen zu schützen. Für das spielgeschehen sind ja nur die eigentlichen tabus der leute wichtig, deren begründung ist irrelevant, da wäre eine einfache liste der no-gos praktisch. Jeder schreibt auf was er nicht haben will, daraus macht man eine große liste, die die definitiven grenzen aufzeigt und die jeder dauernd erweiten kann.

Joe Dizzy

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #8 am: 3.04.2008 | 22:54 »
Das emotionale Erlebniss kann aber nur dann aufkommen wenn alle bereit sind sich darauf einzulassen. Dazu sind aber durchaus nicht immer alle Spieler bereit.

Welchen Grund gibt es sich mit einem Spiel zu beschäftigen, wenn man nichts dabei empfinden will? Aber wenn es allein um die Reaktion auf die Fiktion geht, dann kann man natürlich niemandem das Recht absprechen diese überhaupt nicht an sich ran zu lassen. Ob man sich damit nicht vielleicht den eigenen Spielspaß abgräbt, das ist eine andere Frage. Aber hier über Extreme überhaupt nachzudenken ist vergebens.

Ich denke, du siehst das Thema womöglich etwas komplizierter als es nötig ist. Extreme Inhalte sind nichts anderes als Dinge, deren Vorstellung mit einem gewissen Unbehagen verknüpft sind. Solange sich das Ganze in einem sicheren Rahmen abspielt, kann man daran Spaß haben (vgl. eine Filmszene in der der Sympathieträger dem Bösewicht scheinbar hilflos ausgeliefert ist). Diese Sicherheit zu etablieren, kann man denke ich nicht mit irgendwelchen Regeln oder Techniken erreichen.

Man muss sich das Vertrauen (Anm.: einer der am häufigsten missbrauchten Begriffe beim Rollenspiel) seiner Mitspieler erspielen. Solange jeder die Gewissheit hat, dass die anderen die Grenzen der eigenen Vorstellung wahren und respektieren, d.h. keine Inhalte einbringen die unangenehm sind, lassen sich Inhalte jeder Art einbringen. In einer WFRP-Runde in der ich mitspiele, habe ich den SL darauf hingewiesen, dass ich die Vorstellung sehr unangenehm finde, Opfer eines tötlichen Critical Hits zu werden. Es ging mir nicht darum, im Kampf verschont zu werden. Aber mir wurde im Laufe der Runde klar, dass es mich störte mir evtl. vorstellen zu müssen, wie mein Charakter in typischer WFRP-Manier einen grausamen und blutigen Tod stirbt. Ich wollte sicher gehen, dass wenn der Charakter demnächst das Zeitliche segnen wird, das in sachlicher und nüchterner Manier passiert und ohne den in dieser Runde typischen Humor, der bei einem Film wie Brain Dead oder so typisch wäre.

Wenn man mit extremen Inhalten spielen will, dann muss man in der Lage sein zu erkennen wann andere Spieler ihre persönlichen Grenzen erreicht haben. Man muss ihnen vor allem zu erkennen geben, dass man diese Grenzen akzeptiert, respektiert und darauf achten wird sie nicht zu verletzen.

Dafür gibt es keine Regeln. Keine Techniken. Kein Hilfsmittel. Man muss ganz einfach lernen seine Mitspieler ggf. Freunde zu verstehen, ohne dass sie erst die richtigen Worte finden müssen um sich klar zu machen, was sie gerade stört. Es ist eher eine Frage der Empathie als irgendetwas anderes.

Da will ich dann aber auch meinen Spielern Entspannungsräume bieten.
Ein möglicher Entspannungsraum der dazu noch nicht Mal das Spiel pausieren läßt oder die Spieler ganz auf die Metaebene bringt sind eben die definierten Spielregeln.

Ich muss zugeben, hier komme ich nicht mehr ganz mit. Was meinst du mit Entspannungsräumen? Möglichkeiten die Intensität des Spiels abflauen zu lassen? Ich denke, dass fällt der Person zu, die diese Intensität ins Spiel gebracht hat. In vielen Fällen muss der SL dafür sorgen, dass er den Spielfluß richtig beeinflußt um mehr Spaß als Schauer zu verursachen.

Hier (und eigentlich nur hier) könnte man womöglich einen Blick auf die Erzähltechniken in Film und Fernsehen werfen. Aber auch da muss man sehr vorsichtig sein. Ich kenne genug Rollenspieler, die besonders clever sein wollten und die sich bei den "Hollywood"-erzählmuster bedienten um sie dann im großen Finale zu brechen. Das Ergebnis war (von den Antworten einiger hipper Poser mal abgesehen) eigentlich immer Frustration und Wut auf Seiten der Spieler, die diesem Rollenspieler mit Sicherheit nicht noch einmal vertrauen werden, extreme Inhalte ins Spiel zu bringen und verantwortungsvoll mit ihren Grenzen umzugehen.

Daher auch meine Ansicht, dass Techniken austauschbar sind. Aber das Fundament eben das Erkennen, Respektieren und Übernehmen dieser Vorstellungsgrenzen bildet.
« Letzte Änderung: 3.04.2008 | 22:58 von Georgios »

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #9 am: 4.04.2008 | 12:45 »
Hallo zusammen,

@Woodman
Die Idee mit der Liste der gesperrten Themen finde ich gut. Denn so eine Liste wäre auch nicht nur für mich als Spielleiter sondern auch für die Mitspieler bindend.

@Georgios
Es ist ganz klar Emotionen gehören auch für mich zu einem Rollenspiel das in Erinnerung bleibt dazu. Möglichst noch von beiden Seiten. Also sowohl der Spieler bangt um den Charakter als auch der Spieler kann sich so in den Charakter reinversetzen das er sich "von selbst spielt". Man muß also nicht mehr die Vorlieben und Abneigungen des Charakters auf dem Charakterdatenblatt nachlesen und sich eine passende Reaktion des Charakters übberlegen sondern die Reaktionen und Antworten des Charakters kommen automatisch und auch nachvollziehbar für Spielleiter und Mitspieler rüber.
Der große Unterschied den ich bei extremen Inhalten sehe das sie eben nicht nur ein gewisses Unbehagen hervorrufen können sondern das sich Mitspieler verletzt fühlen.

Bei dir lag die Grenze ja bei einer Beschreibung eines Vorgangs der nach den Regeln, ich kenne nur die 1. Edition, jederzeit passieren könnte.
Gerade Warhammer bietet da aber einen ziemlich harten Hintergrund:
Die Gewaltdarstellungen sind schon vom Regelsystem her recht drastisch.
Sexualität wird als bedrohliches / chaotisch / pervertiertes Element eingebracht.
Deutlicher Rassismus wird als Element geschildert das die Gesellschaft zusammenhält und ohne das die Gesellschaft zusammenbrechen würde.
Einzelne Berufsgruppen, Magier etwa werden als bedrohlich dagestellt entsprechend werden sie durchaus auch ein Mal Opfer von Verfolgungen.
Die Folter ist auf der Spielwelt eine anerkannte Methode.
Als Warhammerspielleiter könnte ich also durchaus die Grenzen meiner Mitspieler nur dadurch erreichen das ich den Hintergrund ausführlich ins Abenteuer einbeziehe.
Selbst wenn ich mich als Spielleiter zurückhalte kann es ja immer noch sein das einer der lieben Mitspieler die Grenzen anders setzt.

Wo ich bei einem anderen Medium einfach aufhören kann, die entsprechenden Stellen überspringen kann und denjenigen der das Medium geschaffen hat demnächst meiden kann ist das im Rollenspiel schwierig.
Da kommen die Schutzräume ins Spiel. Sie sind ein Notnagel wenn ich eben ein Mal nicht erkenne das ein Spieler seine Grenze erreicht hat, der Spieler assoziiert so das für ihn eine Grenze erreicht wird oder die restliche Gruppe auf diesem Level weitermachen will.
In der wörtlichsten Form kann es tatsächlich ein anderer Raum sein. Dort gilt dann Rollenspiel Außzeit. Man kann also hier in Ruhe überlegen was man jetzt macht. Ob man einfach nur Mal eine Pause vom Geschehen braucht, mit der Gruppe über die Richtung und die Intensität des Abenteuers sprechen möchte oder von sich aus die Runde abbricht und dann später eine Diskussion sucht.
Es kann aber auch sein das ich einfach nur die Art der Erzählung herunterfahre. Also statt "Ich" schalte ich auf "mein Charakter" herunter um etwas zusätzliche Distanz zu bekommen.
Es kann auch sein das ich statt zu beschreiben wie mein Charakter foltert oder der Folter widersteht auf einen entsprechenden Wurf ausweichen kann.
Solches Verhalten sollte natürlich auch ein deutliches Signal an die restlichen Spieler sein.

Vertrauen und eine gewisse Empathie sind sicherlich besonders wichtig bei einem extremen Spiel. Bedauerlicherweise sind sie aber eben nicht in jeder Runde so vorzufinden. Dazu kommt noch das die Spieler untereinander noch einen ganz unterschiedlichen Level von extremen Rollenspiel verkraften. Was für den einen schon extrem ist kann für den anderen schon eine softe weichgespülte Geschichte sein.
Wenn ich also beabsichtige in meiner Geschichte an meine persönlichen Grenzen zu gehen dann sollte ich das nicht nur mitteilen sondern auch dafür sorgen das meine Mitspieler besagte Schutzräume bekommen ohne das deshalb das Spiel der anderen unbedingt unterbrochen werden muß.

Gruß Jochen
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Offline Merlin Emrys

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #10 am: 4.04.2008 | 13:01 »
Blöde sprüche sind sicher fehl am platz, aber die frage "was" gerade eine grenze des spieler überschritten hat finde ich in dem fall wichtig zu klären, allerdings sollten sich dafür alle beruhigt haben.
Und was, wenn der Spieler genau darüber nicht reden will?
Was, wenn einer einfach nur still wird, weil er gerade damit beschäftigt ist, sich innerlich abzuschotten, um zu "überleben" (oder zumindest nicht unangenehm aufzufallen, Stichwort Gruppendruck) - und genau über das, was ihm zu viel geworden ist, eben (jetzt erst recht!) nicht mehr reden kann?

Die Idee mit der Liste der gesperrten Themen finde ich gut. Denn so eine Liste wäre auch nicht nur für mich als Spielleiter sondern auch für die Mitspieler bindend.
Aber wer sagt, welche Themen zu sperren sind?
Im Grunde halte ich es so. Es gibt Dinge, die tabu sind, für mich als Spielleiter wie für die anderen Spieler - und die Liste würde hier sicher auf viel Unverständnis stoßen, weil sie bereits Topoi umfasst, die andere durchaus als "spaßig" empfinden.

Joe Dizzy

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #11 am: 4.04.2008 | 13:34 »
Da kommen die Schutzräume ins Spiel. Sie sind ein Notnagel wenn ich eben ein Mal nicht erkenne das ein Spieler seine Grenze erreicht hat, der Spieler assoziiert so das für ihn eine Grenze erreicht wird oder die restliche Gruppe auf diesem Level weitermachen will.
In der wörtlichsten Form kann es tatsächlich ein anderer Raum sein. Dort gilt dann Rollenspiel Außzeit. Man kann also hier in Ruhe überlegen was man jetzt macht. Ob man einfach nur Mal eine Pause vom Geschehen braucht, mit der Gruppe über die Richtung und die Intensität des Abenteuers sprechen möchte oder von sich aus die Runde abbricht und dann später eine Diskussion sucht.

Wenn es zu so einer Situation kommt, würde ich das schon als Fehltritt werten. Wenn ein Spieler erst abwinken muss, bevor andere sich zurückhalten, hat man eine "intensive Spielatmosphäre" schon lange überschritten und ist bei "mir ist übel" angekommen.

Solche Räume halte ich eher für Schadensbegrenzung, als für Techniken um mit Extemen umzugehen. Andere mögen das anders sehen.

Es kann aber auch sein das ich einfach nur die Art der Erzählung herunterfahre. Also statt "Ich" schalte ich auf "mein Charakter" herunter um etwas zusätzliche Distanz zu bekommen.
Es kann auch sein das ich statt zu beschreiben wie mein Charakter foltert oder der Folter widersteht auf einen entsprechenden Wurf ausweichen kann.
Solches Verhalten sollte natürlich auch ein deutliches Signal an die restlichen Spieler sein.

Ich denke, dass so ein formaler Wechsel von "ich" zu "mein Charakter" kaum Auswirkungen auf die empfundene Nähe zur Figur hat. Entweder man tritt an das Spiel über das Mitfühlen mit seinem Charakter heran (wie es die meisten Rollenspielern beim Spielen zu tun pflegen) oder man achtet primär auf das Gesamtbild des Erspielten (wie es sich bei Dogs in the Vineyard und Primetime Adventures anbietet).

In letzterem hat man sicherlich mehr Freiraum sich mit Extremen zu beschäftigen, als in ersterem. Denn schließlich fühlt sich niemand gerne wie ein sadistischer Killer, hilfloses Folteropfer, etc. Aber sich Filme oder Geschichten anzusehen in denen so etwas vorkommt, kann schon mal ganz spannend sein (siehe Casino Royale, There will be blood, The Shining, etc.).

Vertrauen und eine gewisse Empathie sind sicherlich besonders wichtig bei einem extremen Spiel. Bedauerlicherweise sind sie aber eben nicht in jeder Runde so vorzufinden. Dazu kommt noch das die Spieler untereinander noch einen ganz unterschiedlichen Level von extremen Rollenspiel verkraften.

Wer nicht in der Lage ist, extreme Inhalte verantwortungsvoll ins Spiel einzubringen, sollte das auch nicht tun. Wem es an Vertrauen und Empathie mangelt, dem sind halt bestimmte Dinge verwehrt. Gerade weil eine Spielrunde nur so extrem werden darf, wie es der empfindlichste Spieler genießen kann.

Wenn man aber bedenkt wie nebensächlich extreme Inhalte im Vergleich zum Spielspaß sind, sollte das kein Verlust sein.

Offline Woodman

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Re: Extreme im Rollenspiel - Die technische Seite
« Antwort #12 am: 4.04.2008 | 18:38 »
Zitat
Und was, wenn der Spieler genau darüber nicht reden will?
Was, wenn einer einfach nur still wird, weil er gerade damit beschäftigt ist, sich innerlich abzuschotten, um zu "überleben" (oder zumindest nicht unangenehm aufzufallen, Stichwort Gruppendruck) - und genau über das, was ihm zu viel geworden ist, eben (jetzt erst recht!) nicht mehr reden kann?
Dann ist die gruppe schon vorher zu weit gegangen, dann fehlt die vertrauensbasis, die ich für absolut notwendig halte wenn es um extreme inhalte geht. Wenn ich meinen mitspielern nicht soweit vertraue, dass sie auf von mir unerwünschte elemente rücksicht nehmen funktioniert das ganze einfach nicht, eine genauere betrachtung warum ich diese elemente nicht möchte sollte zwar auch möglich sein, aber nicht notwendig.
Nur um das nochmal klarzustellen, das "was" in meinem satz bezog sich auf die elemente die zu weit gingen, nicht auf eine klärung des warum. Ein einfaches "Ich möchte kein element X" muss einfach reichen und alle anderen müssen das respektieren.