In letzter Zeit wird (bedingt durch ein gewisses Ereignis, welches nicht näher bezeichnet werden braucht) immer wieder über die angebliche Entwertung von Spielerleistung durch „vorgekaute“ Optionen gesprochen. Und das überdies in vorhersagbar falscher Weise, so dass es angebracht wäre, einmal Klartext zu reden.
Um zu verstehen, wovon wir eigentlich reden, gehen wir zurück in die Rollenspiel-Steinzeit: verschiedene Gruppen spielen so vor sich hin, mit Regeln welche gerade das notwendigste abdecken und eigentlich relativ phantasielos sind. Dann passiert es: einer der Spieler macht etwas Cooles. Ehrfürchtiges Staunen, dann frenetisch zum 2001-Thema in die Luft geworfene Würfel: das ist es, was das Rollenspiel spielenswert macht. Die Gruppe nimmt möglicherweise aufgrund dieses Schlüsselerlebnisses selber einige Merkmale dieser Spielweise an, diese Art zu spielen wird zu einer Art „group identity“ für diese Gruppe und alle Mitglieder derselben verstehen intuitiv, warum es cool ist so und nicht anders zu spielen.
Da liegt aber auch gleich der große Haken: die auf diese Weise „erlernte“ Spielweise ist emulierbar, aber sie ist nicht replizierbar. Die Gruppe ist mit dieser Art zu spielen vertraut und hat sie als Konstante akzeptiert- es bedarf keiner weiteren „Erweckungsmomente“ um diesen Spielstil zu festigen, er wird als Gewohnheit übernommen und daher für gut befunden. Jemand neues der zu der Gruppe dazu stößt hat jedoch höchstwahrscheinlich Probleme den Sinn dieses Spielstils zu sehen, einfach weil er diesen nicht gewohnt ist und nicht am Ereignis beteiligt war, welches zur Übernahme desselben geführt hat. Wenn er Glück hat, so findet während er in der Runde ist ein weiterer dieser seltenen Momente statt und er versteht den Spielstil der Runde und kann sich einfügen. Wahrscheinlich aber eher nicht.
Problematisch wird die ganze Angelegenheit, wenn die Spieler von damals selber Rollenspiele schreiben und darin ihre Erfahrungen verarbeiten. Rollenspiele, welche eine ganz bestimmte Herangehensweise erfordern, um sie „richtig“ zu spielen und die dementsprechende SL-Hinweise enthalten. Gut, viele Gruppen ignorieren ohnehin das SL-Kapitel und kommen auf anderen wegen zu ihrer Interpretation (bzw. in diesem Fall: Neudeutung) des Spiels, aber einige stolpern auch relativ hilflos über die darin enthaltenen „Widersprüche“.
Der Versuch die Spieler durch bestimmte Spielmechanismen in eine bestimmte Spielweise zu drängen ist nichts neues, jedoch wurde er in der Vergangenheit allzu oft auf zu krude Weise umgesetzt und lief letztendlich auf ein „Tauziehen“ zwischen Spieler und SL heraus. Hinweise in der Art wie:
„Wenn die Spieler „schlecht“ Rollenspielen bekommen sie weniger EP“
„Wenn ein Spieler seine Geistesstörung ignoriert verliert er einen Punkt Willenskraft.“
„Wenn die Spieler sich zu viel Zeit mit der Bewältigung des Dungeons nehmen, so taucht (unabhängig von der Spielweltlogik) eine zweite Heldengruppe auf, die sich den Schatz unter den Nagel reißt, während die SC noch rasten.“
- all dies sind Artefakte aus dieser Zeit.
Langsam aber sicher sickerte dann doch die Erkenntnis durch, dass bestimmte Regeln oft auch zu einer bestimmte Spielweise führten. Die Forge sprach dann lediglich aus, was einige schon erkannt hatten und gab dem Ganzen einen schicken Namen: Belohnungsmechanismen. Jetzt wusste jeder worüber man redete und konnte einigermaßen einschätzen, wie ein bestimmtes Spiel wahrscheinlich gedacht war, aber die extreme Fixierung auf diese Ressourcenkreise als definierendes Merkmal der Spiele nahmen dem Hobby auch einen Teil seiner Unschuld.
Trotzdem sind Belohnungsmechanismen an sich nichts grundsätzlich Schädliches: wenn eine Gruppe wirklich auf eine bestimmte Weise spielen will, dann hält sie auch dieser Mechanismus nicht davon ab. Eine Überbewertung dieser Hilfsmittel sollte man ebenfalls vermeiden: wenn die eigene Gruppe sich bereits auf einen Spielstil eingependelt hat der ohnehin mit dem übereinstimmt was die Belohnungsmechanismen erreichen wollen, so sind diese überflüssig pressen sie doch etwas in künstliche Bahnen, was (in diesem sehr speziellem Fall) sowieso geschieht.
In meiner (derzeit inaktiven) Vampire-Runde konnte ich immer davon ausgehen, dass die Spieler „runde“ Charaktere erschaffen, die nicht perfekt sind und die ihre Schwächen auch im Spiel berücksichtigen, ohne dass sie dran erinnert werden müssten. Und das unabhängig davon, ob sie für die entsprechende Schwäche jetzt Punkte vorgeschossen bekommen hätten oder (wie bei TSOY oder der nWoD) dafür im Spiel Punkte bekommen oder sonst einen Vorteil deswegen genießen würden. Einfach weil sie so zu spielen gewohnt sind und wissen, dass diese Spielweise (zumindest bei mir als SL) zu interessanten Abenteuern führt.
Aber da liegt auch der Hund begraben: wir reden hier von einer Gruppe die sich gut kennt. Die Spieler wissen, wie ich leite und ich weiß wie die Spieler sich ins Spiel einbringen (und kann mich dementsprechend auf das Spiel vorbereiten). Wenn Unterschiedliche Voraussetzungen da sind dann stirbt das Spiel (z.B. wäre im erwähnten Fall nur ein einziger ExEx-Vollprofi oder ein Opfer eines sadistischen Djinn-SLs eher schädlich für die Gruppendynamik). Ich kann mich zwar relativ schnell auf die Spielerbedürfnisse einstellen, aber selbst ich möchte nicht vor jedem One-Shot meine Spieler analysieren müssen, um zu sehen womit ich es zu tun habe. In diesem Fall sind Belohnungsmechanismen wirklich ein nützliches Hilfsmittel, um einen schnellen Einstieg ins Spiel zu gewährleisten.
Die Faustregel lautet also: man sollte als SL keine Erwartungen an das Spiel stellen, bei denen man nicht davon ausgehen kann, dass die Spieler diese (ob nun aus Veranlagung oder durch Hinterherjagen nach dem „Spielziel“) auch erfüllen werden.