Vorweg: Grey hat es mMn ziemlich gut getroffen.
1. Was ist Glaubwürdigkeit?
Glaubwürdigkeit ist für mich erst einmal innere Logik/Konsistenz.
Das kann sich dementsprechend auch auf völlig unrealistische Bereiche beziehen - prominentestes Beispiel etwa die Magie.
2. Was ist Realismus?
Realismus im Rollenspielkontext ist der Versuch/das Streben, Vorgänge (möglichst? oder nur praktikabel?) realitätsnah abzubilden.
Das bezieht sich oft auch auf die fiktiven Anteile, wie etwa die Magie:
Hier kann natürlich nicht der Anspruch bestehen, das Ganze realitätsnah abzubilden, weil es kein reales Vorbild gibt, an dem man sich orientieren könnte.
Dennoch wird dann versucht, das Magiesystem einigermaßen passend in den "realistischen" Rest einzufügen und ihm ein hohes Maß an Konsistenz zu verleihen.
3. Lohnt es sich, das zu unterscheiden, und wenn ja, welches würdest du im Rollenspiel als höherwertig betrachten?
Bei Rollenspielen, die realistisch sein wollen, lohnt sich die Unterscheidung nicht, denn da wird versucht, Glaubwürdigkeit durch Realitätsnähe zu erzeugen. Hier sind die Begriffe bzw. die Zielsetzung nicht zu unterscheiden (siehe auch meine Anwort auf 2: Ein realistisches Rollenspiel kann beim Thema Magie nur nach Glaubwürdigkeit streben, schreibt aber trotzdem "realistisch" dran).
Anders bei Rollenspielen, die nicht realistisch sein wollen:
Hier braucht es trotzdem Glaubwürdigkeit, also ein Maß an innerer Logik und Konsistenz, um sinnvolle Entscheidungen treffen, Vorgänge nachvollziehen und mögliche Ergebnisse von Handlungen abschätzen zu können.
Bei solch einer inneren Logik kann es sich auch um Genrekonventionen handeln, die nicht nur nicht realistisch, sondern auch aus der
Außenperspektive unglaubwürdig sind - intern sind sie jedoch konsistent und folgen einem bestimmten Schema; damit kann mit ihnen arbeiten und erlebt Brüche in der Glaubwürdigkeit bzw. im gemeinsamen Vorstellungsraum, wenn Genrekonventionen missachtet werden.
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe nicht unterschieden und es wird meist ausschließlich von unrealistisch gesprochen, auch wenn "nur" unglaubwürdig gemeint ist.
Als höherwertig möchte ich keins von beiden betrachten, wohl aber Glaubwürdigkeit als fast immer notwendig.
Realismus braucht einerseits Glaubwürdigkeit und erzeugt sie andererseits quasi "zwingend", da fallen die Begriffe wie gesagt ohnehin weitgehend zusammen.
Glaubwürdigkeit muss mMn immer in gewissem Maße vorhanden sein. Wenn jede Glaubwürdigkeit außer Acht gelassen wird, bewegt man sich in Bereichen, wo es auch keine Kausalität und keine Vergleichbarkeit mehr gibt.
Dann werden Abläufe vollkommen beliebig, nicht mehr abschätzbar und es ist nicht mehr möglich, sinnvolle Entscheidungen zu treffen.
4. Wie lässt sich Glaubwürdigkeit im Regelwerk eines Rollenspiels verankern?
Wenn das Rollenspiel realistisch sein will: offensichtlich durch die gleichen Mechanismen, die es realistisch machen - s.u..
Von diesem Sonderfall abgesehen:
Im Falle der Genrekonventionen z.B., indem es durch das Regelwerk lohnend gemacht wird, sich an selbige zu halten.
Aber auch, indem kein Fluff produziert wird, der Abläufe mit offensichtlichen Brüchen des Regelwerks beinhaltet.
Ganz banales Beispiel: Im Regelwerk steht irgendwo, dass es keine magischen Zeitreisen gibt - nicht nur für die SCs nicht, sondern für nichts und niemanden, auch nicht für Götter oder sonstwen. Null, nada, nix.
Und in irgendeinem winzigen Fluff-Textchen auf Seite 239 kommt ein x-beliebiger NSC daher und macht es doch, weil sonst die Kurzgeschichte nicht aufgeht - schon ist die Konsistenz dahin und wenn diese Aktion settingmäßige Auswirkungen hat, sind Teile des Settings unrettbar unglaubwürdig geworden.
Wenn das im Spielablauf geschehen würde, käme wohl recht sicher der Satz: "Das ist aber unrealistisch" - womit in diesem Fall natürlich "nur" unglaubwürdig gemeint wäre.
Man muss sich bei dieser Frage zunächst überlegen, was im fraglichen Spiel glaubwürdig sein soll, also was die jeweiligen Genrekonventionen usw. sind, dann kann man von da aus weitermachen.
5. Wie lässt sich Realismus im Regelwerk eines Rollenspiels verankern?
Durch Regelmechanismen, die Ergebnisse produzieren, die sich zumindest grob in Ausprägung und Häufigkeit in der Wirklichkeit wiederfinden lassen.
Letztendlich ist es dabei das Problem des Autors, sich zu überlegen, wie detailliert er das Ganze darstellen will.
Die obere Grenze für Detailreichtum ist die Spielbarkeit - irgendwann wird der nötige Aufwand für das realistische Abbilden eines bestimmten Ablaufs zu groß.
Eine untere Grenze gibt es aber nach meinem Dafürhalten nicht oder zumindest nicht in praxisrelevantem Maße.
Es gibt Rollenspiele, die sehr grobkörnig agieren, dabei aber trotzdem zumindest einigermaßen realistische Ergebnisse produzieren - bisweilen sogar, ohne dass das beabsichtigt gewesen wäre.
Ein mMn wichtiger Aspekt beim Erstellen "realistischer" Regeln ist es, sich bewusst zu sein, dass man keine vollständige Simulation erreichen kann.
Daher ist es auch ein Fehler, etwa durch Tabellen bestimmte Vorgänge abschließend behandeln zu wollen - das ist bei vertretbarem Aufwand nicht machbar, und damit werden andere Ergebnisse als die in der Tabelle genannten ausgeschlossen.
Hier ist es mMn unumgänglich, durch Zufallselemente und Unschärfe Frei- bzw. Spielraum für extrem seltene Ereignisse oder sonstige Sonderfälle zu lassen, die anders abzubilden i.d.R. nicht lohnt.