Fredi macht mir ein schlechtes Gewissen. Ich muss ran. Also:
Name: Dogs in the Vineyard
Verlag: lumpley games
Autor: D. Vincent Baker
Preis: ???
Format: Softcover, A5-ähnlich, oder PDF, 101 Seiten (Englisch)
Diese Rezension bezieht sich auf die vergriffene Erstauflage. Inzwischen gibt es eine Revised Edition, viel hat sich aber wohl nicht geändert.
In DitV sind die Spielercharaktere Wachhunde im Rebengarten des Herrn. In einer Welt, die an die frühe mormonische Siedlerzeit im US-Bundesstaat Utah angelehnt ist, in der jedoch Dämonen und Hexerei Wirklichkeit sind, ziehen sie im Auftrag des „Tempels des Lebens“ von Dorf zu Dorf. Ihre Aufgabe ist es, die Sünde zu bekämpfen, die es Dämonen erlaubt, in die Gemeinschaften der Gläubigen einzubrechen. Sie sind Richter und Henker, mit unanfechtbarer Autorität ausgestattet. Sie entscheiden, wem Gnade zuteil wird und wem Strafe.
PräsentationWie man es von den Forge-Spielen schon kennt, handelt es sich um ein eher kleines Büchlein. Vom Stil her ist es wie ein Buchdruck aus dem 19. Jahrhundert aufgemacht. Innen gibt es keine Illustrationen, dafür aber ein wie ich finde sehr gelungenes Cover Art. Dazu bekommt man ein paar Blätter mit Regelzusammenfassungen und Verweisen auf die zugehörigen Seiten im Regelwerk.
Sehr praktisch.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, das DitV phantastisch geschrieben ist. Der Autor hat das Talent, sich elegant und zugleich verständlich auszudrücken. Der Text ist hervorragend strukturiert und vermittelt dem Leser ganz genau, was der Autor ihm sagen möchte. Die Beschreibungen und Beispiele vermitteln mit wenigen Worten unheimlich viel Atmosphäre und Leidenschaft. Jedes Wort scheint wohl überlegt und am rechten Platz.
InhaltDas Buch enthält, wie man es von den Forge-Spielen ebenfalls gewohnt ist, alles, was man zum Spielen braucht. Das gesamte Setting und alle Regeln. Man muss nie wieder irgendwas über Dogs lesen (obwohl es auf der Homepage und auf der Forge jede Menge interessante Szenarios gibt, die nichts kosten und sich durchaus lohnen).
SettingFrühwestern mit einem Schuss Übernatürlichem. Wie stark dieser übernatürliche Schuss ist, das entscheiden die Spielenden gemeinsam. Vielleicht ist es nur ein etwas zu dunkler Schatten, ein Windstoß. Augen, die das Licht reflektieren. Oder aber ein Dog lässt mit den Worten der heiligen Schrift die Erde erzittern, blockt Kugeln mit seinem Mantel ab und tritt dem leibhaftigen Todesengel gegenüber. Ganz wie es beliebt.
Jedes „Abenteuer“ spielt in einer neuen Siedlung von Gläubigen, armen, bescheidenen Menschen, die sich in diesem wilden, atemberaubend schönen Land niedergelassen haben. Mit den „mountain people“ haben auch Indianer Eingang gefunden. Der Glaube ist an das Mormonentum angelehnt, doch absichtlich trägt er einen anderen Namen. Die
Spieler entscheiden, was genau der Glaube ist. Ja, die Spieler. Auf keinen Fall der Autor des Buches oder der SL.
Man kann das Spiel auch auf andere Settings übertragen, dafür stehen sogar ein paar Tipps im Buch. Entscheidend ist immer, dass die Charaktere Recht sprechen und vollstrecken, und zwar in kleinen, isolierten Gemeinschaften. Mein persönliches Lieblings-Alternativ-Setting ist Apocalypse Now, mit den Charakteren als einer Art irregulärer Militärpolizei.
CharaktereAlle Charaktere sind „Dogs“, auserwählt, um das Land der Gläubigen zu bereisen und Recht zu sprechen und zu vollstrecken. Sie sind jung und zur Keuschheit verpflichtet. Sie werden nicht etwa im Tempel aufgezogen, sondern nur kurz „angelernt“, so dass jeder von ihnen seinen persönlichen Hintergrund, seine eigene Geschichte, in den Dienst mit einbringt. Entsprechend beginnt die Charaktererschaffung auch mit der Auswahl eines Hintergrundes (wie z.B. „komplizierte Geschichte“ oder „starke Gemeinschaft“).
Ein Charakter hat vier „Stats“ (Attribute) sowie eine Anzahl von frei definierbaren „Traits“ und „Relationships“. Die Stats sind immer W6, die Traits und Relationships können eine variable Anzahl von W4, W6, W8 oder W10 haben. Dabei bedeutet mehr Würfel nicht notgedrungen, dass ein Charakter etwas besser kann. Es bedeutet aber, dass es ihm in einem Konflikt mehr helfen wird. Es geht hier um thematische Ausrichtung des Spiels durch die Regeln, nicht um Simulation irgendwelcher „Naturgesetze“.
Ferner gibt es noch die „Belongings“ des Charakters, die ebenfalls Würfel zugewiesen bekommen.
Konflikte und ErfahrungIch habe lange überlegt, wie ich das Konflikt-System von Dogs in drei Sätzen erklären kann. Es geht nicht. Bzw. jeder Versuch führt nur zu restloser Verwirrung. Das Regelwerk sieht deshalb auch als Abschluss der Charaktererschaffung einen Konflikt für jeden Charakter, das sogenannte „Accomplishment“, vor, so dass die Spieler sich schon mal an die Konflikte gewöhnen können.
Das System ist sehr würfelintensiv und gibt eine klare Erzählstruktur vor, bei der sich die Beteiligten an dem Konflikt gegenseitig die Bälle nach einem festen Procedere zuspielen. Die Würfel liegen offen auf dem Tisch, und man erkennt genau, wann man zu verlieren droht. Ebenso steht zu Beginn des Konflikts fest, was dabei auf dem Spiel steht. Um eine Niederlage zu vermeiden, kann man Traits und Belongings aktivieren (indem man sie in den Konflikt einbringt). Man kann den Konflikt eskalieren, so dass es zum Kampf oder sogar zur Schießerei kommt. Man kann auch freie Relationship-Dice einsetzen, um nachträglich eine Relationship zu dem Gegner zu wählen.
Wenn es hart auf hart kommt, muss man in einem Konflikt jedoch auch Schläge einstecken. Je härter der Schlag, desto höher die Würfel. Diese werden nach dem Konflikt gewürfelt und nennen sich „Fallout“. Sie sind Verwundungs- und Erfahrungssystem in einem. Wer zu viel Fallout nimmt, kann daran sterben. Wer die richtige Menge Fallout nimmt, entwickelt die Werte auf seinem Charakterbogen weiter.
Durch seine Transparenz und die Möglichkeit der Eskalation, verbunden mit der Gefahr von Fallout, ist das System extrem gut darin, dem Spieler seine Optionen und die Konsequenzen seiner Entscheidungen immer wieder neu vor Augen zu führen.
Das Konfliktsystem ist durch und durch thematisch ausgerichtet, d.h. es geht nicht so sehr darum, irgendwelche physikalischen Wahrscheinlichkeiten zu bestimmen, sondern es geht vielmehr darum, was dem Spieler wichtig ist und welche Aussage der Spieler durch seinen Charakter hindurch in der erzählten Geschichte treffen möchte.
SzenariosDitV enthält ein ganz genaues Formular für die Erschaffung eines Szenarios (= einer Siedlung). Eng am religiösen Kontext ausgerichtet, wird der SL Schritt für Schritt angeleitet, sich zu überlegen, was in der Sieldung nicht stimmt. Stolz und Sünde sind der Anfang, und von dort geht es direkt weiter zu dämonischen Angriffen. Dabei entstehen ganz automatisch NSCs mit interessanten Motivationen und jeder Menge Konfliktpotential.
Hinzu kommen eine Menge Beispiele und hervorragende Tipps für das Spiel, die es einem wirklich ausgesprochen leicht machen, sich in den (doch eigentlich eher ungewohnten) Spielablauf hineinzudenken.
Die Szenario-Regeln, wenn konsequent angewandt, führen zwangsläufig zu interessanten moralischen Entscheidungen für die Spieler. Da der SL niemals Gottes Willen vorgeben darf, sondern die Spieler selbst darüber entscheiden, sind die Spieler hier gefragt, sich wirklich zu positionieren. Und durch die Konfliktregen wird diese Positionierung immer wieder auf die Probe gestellt. „Wie weit bist du bereit, dafür zu gehen?“ fragen die Regeln. Immer wieder.
Das Spiel im EinsatzAm Anfang sind die Konflikte schon etwas stockend, weil sie sehr hart strukturiert sind und man das nicht so gewohnt ist. Und auch, weil das Procedere nicht ganz unkompliziert ist. Dafür ist es aber sehr logisch und universell, und wenn man es einmal verstanden hat, gibt es keine Probleme mehr. Lediglich der Spieler, für den „freies Ausspielen von sozialen Szenen“ ein Muss ist, wird hier Probleme kriegen. Denn ein sozialer Konflikt in Dogs unterscheidet sich von einer Schießerei nur darin, dass es weniger harten Fallout gibt.
Aber die Konfliktregeln sind äußerst inspirierend und führen die Spieler darin, ein interessantes, dramatisches und thematisch auf die Charaktere zugespitztes Spielgeschehen zu erschaffen. Die Regeln machen das von ganz alleine. Man kann sich gar nicht dagegen wehren. Dabei unterscheidet sich das Spiel im Ansatz gar nicht so sehr von klassischen Rollenspielen. Man muss keine Szenen wünschen und keine langen Diskussionen auf Metaebene führen. Man spielt einfach drauflos, und *peng*, es passiert.
Siehe auch meinen Spielbericht
Des Wollüstigen Abschwur.
Meine MeinungDogs in the Vineyard ist das beste Rollenspiel, das ich kenne. Punkt.
Warum? Es ist klassisch genug, dass ich noch wirklich „meinen Charakter“ spiele. Es ist leicht zu spielen. Man kann sich darauf verlassen, dass die Regeln ihren Job machen. Das Konfliktsystem macht richtig Spaß, man kann mit den Zahlen taktieren und zeigen, dass man es draufhat. Das Setting spricht mich total an, ich liebe Frühwestern und allein bei den Landschaftsbeschreibungen kriege ich eine Gänsehaut. Und all diese richtig komplexen Fragen zum Thema Glauben und Gerechtigkeit finde ich hochinteressant. Sie geben dem Spiel eine angenehme Schwere, ohne es zu überfrachten.
Außerdem bewundere ich die Vollkommenheit dieses Spieldesigns und des Textes. Die Detailgenauigkeit. Der Mantel eines Dogs, zum Beispiel. Oft genug in den Regeln angesprochen. Nicht aufdringlich, aber mit ausreichender Redundanz. Auch auf dem Charakterbogen taucht er auf. „Vergiss nicht, deinen Mantel zu beschreiben.“ Und noch
jedes Mal, wenn ich einen Dogs-Charakter gesehen habe, brauchte ich nur die Beschreibung des Mantels anzusehen und hatte schon ein erstes Gefühl für den Charakter. Es
funktioniert einfach.
Fazit: Dieses erstklassige Rollenspiel sollte in keinem Regal fehlen.