Mein Knackpunkt bei diesem Thema ist die Kampagnenrelevanz.
Fertigkeiten, die nicht kampagnenrelevant sind, sind Fertigkeiten, die ein Schattendasein fristen. Schon aus dramaturgischen Gründen ist das gar nicht vermeidbar. Es gibt einen Grund, warum im Rollenspiel wie auch im Film Action der dominierende Faktor ist. Mal im Ernst - würde irgendjemand außerhalb der pseudointellektuellen Elite ein Rollenspiel namens "Klerk: the paperworking" oder "Potter & Poltergeists" spielen? Eher nicht.
Kann Frodo töpfern? Wir werden es nie erfahren. Warum nicht? Weil er es nie gebraucht hat. Wir wissen, dass Gandalf gerne Pfeife raucht, ja sogar lustige Figuren paffen kann. Er könnte also Pfeifefigurenpaffen als Skill haben. Aber wollen wir das wirklich wissen? Und viel wichtiger: muss man sich regeltechnisch damit herumschlagen? Diese Info ist nicht kampagnenrelevant.
Eine Möglichkeit das Problem zu beheben ist kampagnen-irrelevante Fertigkeiten gar nicht anzubieten oder sie als Fluff quasi kostenlos zur Verfügung zu stellen. Da sie eh nicht relevant sind, kann man ja ruhig damit großzügig umgehen. Z.B. jede Stufe zwei kostenlose Fluff-Fertigkeiten. Der Witz ist aber, dass das Systemseitig nicht so ohne weiteres festgelegt werden kann. Spiele ich eine Kampagne, in der es magisches Pfeifenkraut gibt, so muss ich diesen Skill vielleicht doch ernster nehmen, als man dies normalerweise annehmen würde.
BESM hat das glaube ich ansatzweise erkannt und vergibt je nach Kampagnenstil unterschiedliche Punktekosten für die Fähigkeiten. Dies dient allerdings eher dem Balancing. Der Ansatz gefällt mir, lieber wäre es mir, wenn viele Fähigkeiten mehr oder weniger kostenlos würden.
Das bringt mich zum nächsten Punkt: warum haben wir hier eigentlich ein Problem? Ich sehe genaugenommen zwei Probleme hier. Das erste ist das bereits angesprochene Balancing. Ohne Rücksicht auf Kampagnenrelevanz verkümmern Fluff-Fähigkeiten. Ist das schlimm? Nur, wenn ich Punkte in Unwichtiges reingesteckt habe
und ich eine balancierte Gruppe möchte. Aber es gibt nicht wenig Spieler, denen Balance egal ist, da es ihnen fast ausschließlich um Interaktion geht. Die Balance ist also nicht immer ein Problem.
Das zweite Problem ist ein ganz anderes: Regelentschlackung. Diese Fähigkeiten belasten, ohne Gegenwert zu bringen. Kampf, Spurenlesen und Durchsuchen sind immer wieder geforderte Fähigkeiten. Aber ich schleppe in Regeln und auf dem Charakterbogen eben auch Töpfern, Blumenbinden und Patchworksticken mit mir rum. Das muss nicht sein. Hier kann Übersichtlichkeit gewonnen werden. Leider geht das nur bei sehr fokusierten Systemen, denn i.A. weiß der Systemersteller nicht, wo der Schwerpunkt der Kampagnen der Spieler liegt. Eine Vorauswahl wird zwar fast immer getroffen, diese ist jedoch eben meist so weit gefasst, dass man eben auch kampagnenunbedeutende Fertigkeiten mitschleppt. Ein Teufelskreis.
Ein Problem sehe ich bei der Umsetzung: Sonderregeln. Öhm... wie sag ich das jetzt am besten? Entweder ich behandle alle Skills gleich (Vorteil: leicht zu merken) oder ich sortiere Fluff-Skills aus und behandle sie anders (Vorteil: Balancing etc.). In letzterem Falle muss ich aber immer Sonderregeln einführen. Ich mag Extra-Regeln eigentlich nicht. Geht aber vielleicht nur mir so.
Fazit: um zu wissen, welche Fertigkeiten wichtig sind, muss ich die Kampagne kennen. In "Klerk: the paperworking" mag Kampf der unnötigste und Etiquette der wichtigste Skill sein. Bei "Conan the barbarian" würde ich das anders sehen. Beide Kampagnen ließen sich aber evtl. mit dem gleichen System wie z.B. GuRPS spielen.
Weiß ich, welche Kampagne(n) ich unterstützen will, so sollte ich mir überlegen, ob ich eine Gruppe mit ausbalancierten Fähigkeiten will. Ist das der Fall, so muss ich wohl eine eine enge Vorauswahl der tatsächlich (voraussichtlich) relevanten Fertigkeiten treffen. Alle anderen zählen mehr oder minder zu Fluff. Will ich diese anders behandeln
muss ich eine Sonderregel einführen. Mit diesen Fähigkeiten lege ich fest, in wie weit sich eine Spielfigur regelrelevant spezialisieren kann. Ist Kampf z.B. der einzig kampagnenrelevante Inhalt und gibt es dafür nur einen Skill / Talent / Trait / etc., so werden sich die Spielfiguren kaum unterscheiden. Oder eben nur im Fluff.
Aber sind wir einmal ehrlich: so war es doch immer schon
(alles imho)