Vielleicht sind diese Grognards ja ebenfalls nur aufgrund der Konditionierung aus ihrer Jugendzeit so auf Attribute fixiert, weil das damals eben so gemacht wurde (meistens als Unterwürfelproben), und Skills werden halt als doof empfunden, weil man im langjährig gespielten System eben keine Skills hatte. Wenn jetzt Systeme mit Skills als besser hingestellt werden, würde das ja bedeuten, dass man selber all die Jahre falsch und schlecht gespielt hat.
Wenn ich so drüber nachdenke, scheint das wohl schlicht die Antwort auf deine Frage zu sein.
Ganz im GEGENTEIL!
Die ALTEN Rollenspiele (ja, Plural! - es gibt nämlich mehr als nur OD&D unter den alten Rollenspiel) hatten zum Teil KEINE Unterscheidung in Attribute und Fertigkeiten (die ersten beiden Versionen von Boot Hill z.B. stellten alles auf dieselbe Ebene - etwas, was später HeroWars/HeroQuest ja auch getan hat - dort jedoch ohne feste Vorgaben für diese Charakter-Eigenschaften). Und andere, ähnlich alte, waren durch und durch fertigkeitsorientiert wie z.B. Traveller.
Bei Traveller spielten die Attribute auch oft nicht direkt in den Erfolg oder Mißerfolg eines Skill-Einsatzes ein, sondern die Fertigkeiten gaben an, was man so alles in seiner Laufbahn gelernt hat, die Attribute gaben jedoch den aktuellen ZUSTAND des Charakters (gesundheitlich, geistig, sozial) an.
RuneQuest als BRP-System ist auch eines der "Altvorderen". Hier greifen die Attribute nur als - verglichen mit den Fertigkeitswerten - KLEINE Modifikatoren ein, aber man verwendet für die meisten Handlungen eben die passenden Fertigkeiten.
Es herrscht bei "Altrollenspielern" KEINERLEI "Scheu vor Fertigkeiten". Ganz im Gegenteil!
Moderne wie uralte Rollenspielregeln verwenden beides, machen in der einen oder der anderen Richtung keine Unterscheidungen, oder verwenden nur eines von beiden. - Nichts davon ist an sich besser oder schlechter, sondern man kann nur schauen, ob es hinsichtlich der Zielsetzung des betreffenden Rollenspiels GEEIGNET ist.
Es gibt ja auch Unterschiede: Das (auch schon veraltete) SpaceMaster (Sci-Fi auf Rolemaster-Basis) hatte ja eine FÜLLE von Attributen, auch noch unterschieden in aktuellen Werten und deren Potential, was eventuell erreichbar wäre. SOWIE eine FÜLLE von Fertigkeiten. - Dagegen nahm sich Traveller sehr sparsam aus.
Endlos lange Skill-Listen sind aber KEIN Garant, daß wirklich ALLES irgendwo in den Skills abgedeckt ist. - Hier kann man den Ansatz der BREITEN Skills wählen, der unter einem simplen Skill, einer kurzen Liste entnommen, einen weiten Bereich an Anwendungen ermöglicht. Beispiel: Savage Worlds mit den breiten Skills mit beinahe schon (aufgrund der Breite) MUST-HAVE-Charakter wie Notice, Fighting, usw.
Man kann aber auch Breite mit Attributen allein erreichen. Das sind die üblichen Attributs-Proben in Fällen, wo keine Fertigkeit modelliert wurde. Es wird hier entweder das Attribut als "Rückfallmöglichkeit" in einer Ad-Hock-Regelung, wenn das Fertigkeitsnetz eine Handlung nicht mehr erfaßt, verwendet, oder das Attribut ist gleich von Anfang an für diese bestimmte Art von Handlungen "zuständig" und die Regeln sehen hier die Anwendung ohnehin vor.
Oder man verwendet STATT Attributen ODER Fertigkeiten einfach Klischees. Nicht nur Risus, sondern auch das Weltenbuch oder Barbarians of Lemuria verwenden Klischees/Berufe/Laufbahnen entweder statt Attributen/Fertigkeiten oder zusammen mit diesen. - Ein Klischee ist, anders als die meisten Attribute und auch die Mehrzahl der Fertigkeiten, IMMER spielweltgetrieben. Mit dem passenden Klischee lassen sich auch völlig "geschmacksneutrale" Regelsysteme zum Spiel einer Spielwelt nutzen.
Klischees sind weder Attribute, noch Fertigkeiten, sondern sie umfassen, sie durchdringen solche Regelelemente mit einem durch das Klischee vorgegebenen Filter. - Beispiel: Ein Seemann eines Segelschiffes kann gut klettern und kennt sich mit Seilen aus. Aber er ist kein Bergsteiger. Verwendet man das Klischee "Seemann", dann kann man sehr gut erkennen, welchen Anwendungsbereich die volle Ausprägung des Klischees hat, und wo es grenzwertig wird. - Verwendet man eine Fertigkeit "Klettern" oder ein Attribut "Geschicklichkeit" oder beliebige Kombinationen daraus, so sind die Anwendungsbereiche nicht mehr zwischen Segelschiffbedienung und Alpinismus unterschieden. Es fehlt etwas, das klar entscheiden läßt, wie sich der erfahrene Segelschiff-Seemann beim Versuch mit einer Seilschaft im Hochgebirge mitzuklettern nun dort schlagen wird.
Mir wird hier zu sehr von einem "Gegensatz" Attribut - Fertigkeit gesprochen.
Je nach konkretem Regelsystem - egal ob so alt wie Boot Hill oder neu wie Barbarians of Lemuria - sind die ANWENDUNGSGRENZEN unscharf.
Woran soll man dann wirklich fest machen, daß es sich um eine Fertigkeit handelt, wenn sie wie in vielen Regelsystemen JEDER Charakter hat? - Jeder in BRP hat Dodge und ALLE Fertigkeiten mit festem Startwert (auf 5%, 10% oder mehr). - Was macht diese dann noch zu Fertigkeiten, wenn sie genauso allgegenwärtig verfügbar sind, wie die Attribute?
Fertigkeiten sind das Gelernte. - Stimmt. - Nicht ganz.
In den ZUGANG zu bestimmten Fertigkeiten geht auch die "Veranlagung" in manchen Regelsystemen mit ein. Ohne die Mindest-Intelligenz für Lesen/Schreiben darf der Charakter das nicht lernen oder gelernt haben. Ohne die Mindestgeschicklichkeit kann er nur Waffen führen, von denen der Autor des Regelsystems glaubte, sie seien mit geringer Anforderung an Koordination einsetzbar. - Zieht man aber Alltagserfahrungen heran, so kann man feststellen, daß solche "Lern-Verbote" realiter völlig UNSINNIG sind. Nicht nachweisbar. Nicht stimmig. Nicht plausibel genug.
Hier greift neben den "R"-Argumenten immer auch die - oft nicht offen zugegebene - Balance-Frage ein und entscheidet, über den Zugang oder die Lerngeschwindigkeit.
Balance spielt in mehr Rollenspielregelsystemen eine Rolle, als dort jeweils offen zugegeben wird.
Attribute hat jeder. Fertigkeiten sind das Erlernte. - Was ist mit dem ERLERNEN von Attributen bzw. dem Trainieren, dem Üben, dem Verbessern? - Oft läuft die Verbesserung sogar nach demselben Regelmechanismus wie das Verbessern von Fertigkeiten. - Z.T. gibt es auch Attribute "Erster Klasse" und solche der "Billigklasse", da von den Autoren als "wichtig" oder besonders "nützlich" eingestufte Attribute mehr Charaktererschaffungs- und Entwicklungs-Ressourcen kosten, als andere (typische "dump stat") Attribute.
Die Trennung in Attribute und Fertigkeiten in dieser Diskussion hatte schon die Klischees ausgelassen, aber es gibt ja noch weitere Systeme, die Charakterkompetenz tragen können: Vorteile/Edges/Perks/Feats/usw.
Diese können sich auf Attribute auswirken oder auf Fertigkeiten, oder sie "schalten Handlungsmöglichkeiten frei", die ohne diesen Vorteil überhaupt nicht bestanden (zum Handlungsmöglichkeiten-Ausklammern braucht es nämlich KEINE Fertigkeiten! - das geht mit Klischees, Vorteilen, Klassen usw. genauso gut).
Auch Vorteile, die man im Charakterverlauf erworben hat, sind ja "erlernt" (also Fertigkeiten?). Jedoch gibt es auch "angeborene" Vorteile (also Attribute?).
Nimmt man die ausgelassenen Klischees und Vorteile zusammen mit Attributen (oder auch ohne Attribute), so bekommt man VOLLWERTIGE, SPIELBARE Charaktere.
Man BRAUCHT also weder Attribute NOCH Fertigkeiten. - Keines von beiden ist "besser".
0D&D und AD&D verwenden das Klischee (Klasse), Attribute, Fertigkeiten (THAC0, Zauber, Diebes-Fertigkeiten, allgemeine Fertigkeiten wie das Entdecken von Geheimtüren, NSC-Reaktions-Modifikation, Turn Undead, Read Languages) und Vorteile (Gegenstände, meist magische Gegenstände, permanente Verzauberungen).
D&D 3E und später verwendet das Klischee (Klasse), Attribute, Fertigkeiten (Zauber, Skills, allgemeine Fertigkeiten wie die jedem ohne zu Lernen verfügbaren Skills), und unterschiedliche Arten von Vorteilen (Feats, Gegenstände, Templates).
Der Hauptunterschied ist nur, daß die Fertigkeiten der alten D&D-Fassungen über unterschiedliche, regeltechnisch "unsymmetrisch" gestaltete Subsysteme ausgedrückt wurden, während die "Errungenschaft" der neueren D&D-Versionen eine Vereinheitlichung der Mechanismen darstellt.
OD&D ist "diffus fertigkeitsorientiert", während neuere D&D-Versionen "teilweise offensichtlich fertigkeitsorientiert" sind.
Ob man nun durch Verstärkung der Ausprägung eines Klischees (Klassen-Stufenanstieg) oder durch "Ausgeben" von Skill-Punkten oder durch "Freischalten" eines Skills wie in 4E etwas hinzulernt, was man auch als Fertigkeit modellieren könnte, ist doch letztlich egal, solange es dem Erreichen der Ziele, die mit der konkreten Regelgestaltung verfolgt wurden, dient.