Es spricht absolut nichts gegen ein Baukastensystem für Edges. Gitb's ja für Rassen schließlich auch.
Rassen sind ein komplett anders gelagerter Fall. Rassen sind NUR für Spielercharaktere so ausgearbeitet, daß eine Balance untereinander vorkommen kann, um den jeweiligen Spielern einer Gruppe untereinander FAIRE STARTBEDINGUNGEN zu garantieren.
Edges hingegen sind im Verlaufe des Spiels und nicht nur vor Spielbeginn zu erwerben. Insbesondere die später erworbenen Edges zeichnen sich durch sehr deutlich spürbare Effekte aus. Die Funktion von Edges, insbesondere in der Adaption von Settingbesonderheiten, ist nicht einfach irgendwie mit einem Punktesystem zu bewerten, da ein und derselbe Edge-Effekt in Setting A bestens paßt und keinerlei Probleme mit sich bringt, aber in Setting B übermächtig wirkt.
Man könnte jetzt natürlich noch jede Menge komplexer Berechnungen der "Effektiven Settingwirksamen Kompetenzwertigkeit" eines Edges in Abhängigkeit von Genre und Setting anstellen, doch ist hier die Frage: Wozu den Aufwand?
Was mit einem "verpunkteten" Systembaukasten so passiert, sieht man sehr schön bei GURPS. Die GURPS-Adaptionen sind rechnerisch wunderbar gleichwertig. - Nur ist die rechnerische Gleichwertigkeit überhaupt nicht auf die BEDEUTUNG IM SETTING bezogen! - Daher sind GURPS-Adaptionen auch so hölzern im Gegensatz zu BRP-Adaptionen, wo genau wie bei SW die Einführung (z.T. sogar recht umfangreicher) settingspezifischer Regeln zum Adaptionsprozess dazugehört. Dieser Schritt, der jenseits jeglicher Baukasten-Punkte-Äquivalenz arbeitet, ist der Schlüssel zu einer Setting-Adaption, die eben nicht ohne jeglichen "Geschmack", nicht aufgesetzt, nicht am Kern des Settings vorbei erstellt wirkt.
Die BESTEN Hilfestellungen bei der Entwicklung eigener Edges und auch Hindrances, Powers, Ausrüstung, usw. geben einem BEISPIELSETTINGS, in denen man sehr schön sehen kann, welche Schwerpunkte wie gesetzt wurden, und wo Abstriche gemacht wurden. Diese Beispiele sind - anders als die pseudo-rationale Punkteberechnungsvorgehensweise - tatsächlich FUNKTIONIERENDE Settings. Lebensfähig, spielenswert. - Nicht nur "korrekt berechnet", aber am Spielwert vorbei gerechnet.
Ein Zitat
aus dem Pinnacle-Forum (nicht genau zum Thema Punkte-Baukastensystem für Edges, aber genau passend):
The big issue I see is what Lee noted; not all Edges and Hindrances are balanced for cross-setting use. SW isn't a universal system; it's a core system. That is a significant difference there.
Saw a perfect example in the another topic where a GM allowed a Deadlands Edge in Solomon Kane that proved to be noticeably unbalanced in the use described.
Das ist auch meine Erfahrung mit der Verwendung von Edges, Hindrances und Powers aus Settingbüchern in anderen, nicht sofort als "unverträglich" auffallenden Settings.
Diese Edges werden - anders als SC-Charakterrassen für Novice-Rank-Einsteigercharaktere - nicht gegeneinander ausbalanciert. Da ist eher das Gespür für das Setting wichtiger als der Wille nach maximaler Effizienz oder Vollständigkeit. Diese letzteren Motivationsgründe sind es, warum man in vielen SCHLECHTEN Conversions ständig unpassende Edges findet, die jeglichen Rahmen sprengen (Beispiel: Savage Sword of Conan - Nothing but a Loincloth; trifft nicht die Vorlage, ist "überpowert", stellt einen Hartholzharnisch dar).
Mal ein weiteres Beispiel: In Necropolis, wo man als etwas erfahrener Truppenkommandeur öfter mal in Massenschlachten gerät, sind die entsprechenden Anführer-Talente, die einem für Massenschlachten einen Vorteil verschaffen, wirklich sehr wertvoll und können sich als geradezu kampagenenbestimmend erweisen. In Rippers, wo man keine offenen Massenschlachten von Armeen, die gegeneinander antreten, zu leiten hat, sind dieselben Talente völlig nutzlos und nichts wert.
Wenn man einen Edge-Baukasten analog den SC-Rassen-Baukästen erstellte, so ist die Frage, welche "Wertigkeit" nun diese Edges im betreffenden Setting bekommen. - In Rippers müßten diese Edges NULL Wertigkeit haben, während sie in Necropolis einen vollen Level-Up auf jeden Fall kosten sollten (eher mehr, wenn die Charaktere entsprechend hohen Rang im Militär haben).
Die SC-Rassen können auch untereinander nicht gut vergleichbare Eigenschaften aufweisen. Die eine hat auf einer von einem Doppelstern fast immer hell erleuchteten Welt als Rassen-Merkmal "Nachtsicht", was sie eigentlich nie brauchen wird, während die andere auf einer Wüstenwelt ein Wasserwesen darstellt, das prinzipiell schnell und gut schwimmen könnte, doch gibt es hier keine ausreichend großen Wasserflächen.
Aber ist das wirklich so?
SC-Rassen werden IMMER FÜR EIN SETTING erschaffen!
Baut man sich eine Wüstenwelt, so wird dort KEINE Rasse aus Wasserwesen mit Kiemen und tollen Tauch- und Schwimmeigenschaften zu den SC-Rassen gehören. - Eine Gleichwertigkeit dieser für das Setting UNPASSENDEN Merkmale ist nämlich allein aus Gründen der Setting-Fakten nicht gegeben! Unsinnige Rassen wird man nicht für sein Setting verwenden.
Es gibt MISCH-Settings wie Slipstream, wo es zum Setting dazugehört, daß man bunteste und exotischste Rassen in diesem Setting verwenden kann und auch soll. - Dafür bietet das Setting auch Welten an, wo keine der Rassen-Merkmale irgendwie unnütz wären. Es gibt Wasserwelten, Wüstenwelten, Dunkelwelten, usw. - das gehört eben zu den Settingelementen, die das Besondere dieses Settings darstellen.
Einen Edge-/Hindrance-Baukasten analog den Rassen-Baukästen (wie z.B. in den Toolkits aufgeführt) einzuführen ist demnach UNNÖTIG und auch NICHT HILFREICH, weil er eben NICHT den settingspezifischen Besonderheiten Rechnung tragen kann.
Für ein Rollenspiel, welches mit dem Anspruch ein "generisches, universelles Rollenspielsystem" zu sein auftritt, mag es noch angehen einen "One-Size-Fits-All"-Baukasten-Ansatz zu fahren.
Savage Worlds tritt jedenfalls NICHT unversell auf. Es bietet einen Regelkern, der sehr robust ist, so daß man darauf aufbauend ohne viel Rechnerei oder sonstige regeltechnische Hürden abgelenkt, mit voller Konzentrationsmöglichkeit auf das Setting, das Besondere der Spielwelt herausarbeiten kann.
Andere Systeme haben einen anderen Anspruch. Diese stellen Symmetrie in allen Dingen als einen Wert an sich dar, was natürlich bestenfalls die Autoren noch empfinden werden, aber sonst niemand, der ein Spiel kauft, um es zu SPIELEN!
Der SPIELWERT einer Regelung ist es, der darüber entscheidet, ob sie benötigt wird. - Bei Savage Worlds ist eine analog zur Spieler-zu-Spieler-Balance-Absicht mit einem Berechnungssystem ausgerichtete Edge-Baukasten-Erzeugung von so geringem Spielwert, daß man zurecht darauf verzichtet hat.