Oben in meiner Antwort bezog ich mich auf die "gängigere" Auslegung von Immersion als "Eintauchen in den Charakter" bzw. "Eintauchen in die Spielwelt".
Mit diesem Immersionsbegriff habe ich SCHON LANGE "Bauchschmerzen", weil diese Art des Eintauchens (und dabei des Wahrnehmungsverlustes!) nicht das ist, was ich am GEMEINSAMEN Spiel in der Gruppe so besonders schätze. (Eintauchen kann ich auch in die Hauptfiguren eines Romans, das ist aber NICHT die "Immersion" beim SPIELEN.)
Immersion ist für mich das Eintauchen in das Spiel, nicht zwangsweise das Eintauchen in den Charakter^^.
Das ist eine SEHR INTERESSANTE Sicht auf Immersion.
Dieses Eintauchen INS SPIEL ist es nämlich, was man bei Brettspielen, Computerspielen usw. auch erleben kann. Da ist man auch "drin" und in einem Fluß-Zustand, der einen die Zeit und das Drumherum vergessen läßt.
Und so auch beim Rollenspiel. Man gerät in "Resonanz" mit der Gruppe an Spielern, man ist mit der Konzentration, seinen Überlegungen, seinem Wollen IM SPIEL und hat so ein Gruppenerlebnis, welches mehr ist als das "egoistische" in den Charakter Hinabtauchen.
Danke für diese Sichtweise, da sie mir jetzt gerade zum rechten Zeitpunkt kommt, eine Erklärung dafür zu geben, warum ich so gut wie überhaupt NICHT das Gefühl bekomme, daß beim Spielen von Rollenspielen, die Handouts, Würfel, Miniaturen, Battlemaps, Karten, Poker-Chips und dergleichen mehr Spielmaterial verwenden, irgendwie meine Immersion "beeinträchtigt" wäre.
Bei den Miniaturenallergikern kommt es ja immer wieder zu den - für mich wirklich nicht nachvollziehbaren - "Begründungen" für ihre Ablehnung dieser Visualisierungsmöglichkeiten, daß ihnen dabei die Immersion flöten ginge.
Also scheint diese Art der Immersion eine "hochsensible" zu sein. Niest mal einer nicht in-character, dann hat er die Immersion kaputt gemacht. Nimmt man die laut Regelsystem zu verwendenden Würfeln im Spiel in die Hand, ist die Immersion TOT und kommt die nächsten Wochen nie wieder. - So oder so ähnlich hört sich das für mich als GEJAMMER ankommende Immersions-Predigen an.
Wenn ich in einer Rollenspielrunde mit einer Handvoll Leuten zusammen spiele, dann wechseln wir STÄNDIG durch unterschiedliche Ebenen der bewußten und unbewußten Aufmerksamkeit. Man ist IN den Regeln, IM Charakter, IN der Spielwelt und: IN der Gruppe an FREUNDEN, mit denen man gerade spielt. - Und das STÄNDIG während des Spiels. Und ebenso STÄNDIG und OHNE ANSTRENGUNG wechselt man mit seiner Aufmerksamkeit mal hier hin, mal dort hin - und man BLEIBT dabei aber "drin".
Man ist IM SPIEL eingetaucht.
Und das ist es, was ermöglicht, daß Leute mit unterschiedlicher Schwerpunktslage ihres Spielinteresses auch problemlos MITEINANDER spielen können. Es stört nämlich NICHT Würfel in die Hand zu nehmen, es stört NICHT mal kurz eine Regelklärung anzusprechen, es stört NICHT ein paar Szenerie-Elemente auf den Tisch zu stellen, es stört NICHT die Teekanne mitten in einer spannenden Kampfszene kurz rüberzureichen, ...
Wem beständig bei solchen NORMALEN Spielaktivitäten die "Immersion" abgeht, der ERWARTET vielleicht ZUVIEL von sich und - schlimmer noch - von ALLEN ANDEREN in der Spielgruppe.
Man kann nicht einfach da sitzen und auf Krampf "herumimmergieren". - "Ich WILL aber Immersion!" "Ich MUSS meine Immersion haben!" "Warum immergiere ich denn immer noch nicht?" - Das funktioniert so NICHT!
Man verkrampft sich dabei, weil man etwas WILL, statt das VON SELBST sich einstellende Eintauchen ZUZULASSEN.
Das ist wie mit Meditation oder Entspannung - auf Krampf, nur mit hartem Willen da geht das NICHT. - Loslassen. Sich lockern. Nichts wollen, sondern einfach nur mitmachen.
Im Rollenspiel: Loslassen, sich Lockern, einfach nur Mitspielen und schauen, was es alles Tolles in dieser Spielsitzung so gibt.
Wenn man sich schon VOR der Spielsitzung unter "Immersions-Leistungsdruck" setzt, dann ist man im Spiel unzufrieden, und das MERKEN auch die Mitspieler! Man mindert somit den anderen Spielern die Spielqualität! Und das aus purem EGOISMUS.
Das ist es, was ich mit den "Immersions-Predigern" immer so an Problem habe. Die Grundannahme, daß NUR mit maximaler Immersion, ohne jegliches out-game Geschehen am Spieltisch, und unter geradezu indianischer Schwitzhütten-Intimität spielend, betreibe man Gutes Rollenspiel (tm) ist schuld daran, daß solche "Immersions-Leistungssportler" anderen Mitspielern deren entspannten Spielgenuß stören. Es ist EGOISMUS, weil es wirklich nur auf das EIGENE Immersionsgefühl (meist IM Charakter aber NICHT in der Gruppe an Spielenden) ankommt.
Immersion ist für mich das Eintauchen in das Spiel, nicht zwangsweise das Eintauchen in den Charakter^^.
Das formuliert für mich genau das GEGENTEIL zu diesem Egoismus. - In das Spiel einzutauchen ist etwas, was man ZUSAMMEN tut. Das erfordert Rücksichtnahme, Achtsamkeit und Lockerheit bei allen Beteiligten. Einfach einen entspannte Spielatmosphäre und KEIN "Leistungsrollenspiel", bei dem jede Minute die "Immersions-Tiefenmesser" abgelesen werden.
Im Übrigen: Wenn man sich ständig an seiner Immersions-Tiefe orientiert, dann MISST man etwas, statt mittendrin zu sein. Allein das Überprüfen, ob man denn gerade auch schön hochwertig immergiert ist, stellt schon einen Verlust der Immersion dar.