Woanders ging es gerade um Immersion, und es kam mal wieder der Einwurf, Immersion sei so ein böses Wort das man nicht mehr benutzen solle, weil jeder sowieso was anderes drunter verstehe und es auch total subjektiv sei. Und selbst wenn es Immersion wohl gebe, so sei doch der Begriff gar nicht mehr sinnvoll nutzbar. Da ist sicher was dran, das ist eben ein Schicksal vieler aufgeladener Begriffe, auch wenn ich es persönlich bei Immersion noch nicht für so schlimm halte wie bei Railroading oder gar GNS.
Andererseits habe ich ein recht klares Verständnis von Immersion, das gar nicht wirklich kompliziert oder schwer zu verstehen ist, von dem ich glaube dass es die meisten auch kennen und verstehen. Deswegen möchte ich das hier mal vorstellen. Es geht dabei natürlich speziell um Immersion im Rollenspiel, also eine Immersion die für Rollenspiel, und hier insbesondere das Vorstellen von fiktiven Situationen, spezifisch ist .
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Ich sehe im Wesentlichen
einen Hauptpunkt der Begriffsverwirrung: Das Verhältnis von Immersion und Flow, bzw. manchmal deren Gleichsetzung.
Die beiden Erlebnisse haben durchaus was miteinander zu tun, auch wenn der Zusammenhang nicht sofort ganz klar ist. Sie sind schon mal nicht das Gleiche.
Flow bezeichnet einen Zustand, bei dem man sich völlig in eine Tätigkeit vertieft, dabei die Umgebung vergisst, Zeit verändert wahrnimmt, und sich allein dadurch gut fühlt nur diese Tätigkeit auszuführen. Abhängig ist das Erreichen von Flow nach der Theorie u.a. vom Grad der Herausforderung der Tätigkeit, der muss genau den Fähigkeiten des Handelnden entsprechen, er darf weder gelangweilt noch überfordert sein.
Immersion als Begriff ist nun ganz allgemein erst mal einfach nur ein Fremdwort für Eintauchen oder Vertiefen. Wenn man es also so betrachtet, ist diese allgemeine Form von Immersion eine notwendige Bedingung für Flow, denn ohne Vertiefung in die Tätigkeit kein Flow. Von dieser Immersion sprechen Leute die meinen sich in das Rollenspiel als Tätigkeit selbst zu vertiefen. Die sagen eigentlich nichts weiter, als dass sie sich intensiv mit dem Spiel beschäftigen und ihre Aufmerksamkeit darauf richten, um damit dann eventuell einen Flow beim Spielen zu erreichen. Hierunter fällt auch jede Konzentration auf bestimmte Aspekte des Spiels die einen (gerade) besonders interessieren, wie das System, Taktik, erschaffen von Dramaturgie, spielen von Charakteren u.s.w.
Diese Art von Vertiefung ist nicht besonders spezifisch für's Rollenspiel. Vertiefen kann man sich in nahezu jede Tätigkeit und jeden Gedanken, gerade wenn es eventuell Spaß macht, da ist Rollenspiel keine Ausnahme. Deshalb sollten wir das tatsächlich nicht Immersion nennen, ich denke aber auch dieser Gebrauch des Begriffs ist eher die Ausnahme, obwohl es natürlich erlaubt ist den Begriff so zu benutzen (gerade im Englischen wird Immersion so benutzt, weil es nun mal da kein wirkliches Fremdwort ist und deshalb so was wie Vertiefen bedeutet).
Flow allein ist also nicht gleich Immersion im Rollenspiel. Natürlich kann aber auch die Immersion um die es hier geht zu Flow führen, genauso wie eine Vertiefung in jede andere Tätigkeit auch zu Flow führen kann. Deshalb wird manchmal das Spezielle mit dem Allgemeinen verwechselt.
Was ist also Immersion, wenn nicht Flow?
Es ist das Eintauchen in die fiktive Situation selbst, das hat einen situativen, also auch räumlich, zeitlichen Aspekt. Ein Charakter kann dazu als Vehikel verwendet werden, muss aber nicht. Die Hauptsache ist:
Die Vorstellung der fiktiven Situation nimmt dabei, zu einem gewissen Grad, den emotionalen Stellenwert einer quasi-realen Wahrnehmung der Situation ein. Diese Form der Immersion ist spezifisch für alle Präsentationen fiktiver Situationen, also nicht nur für's Rollenspiel. In Filmen, Erzählungen, und virtuellen Realitäten ist das ebenso möglich.
Auch ist ein Flow für diese Immersion nicht notwendig, aber natürlich häufig angestrebt, wenn es der Unterhaltung dient. Die Immersion selbst kann aber ohne Flow beginnen und auch bestehen. Insbesondere hat die Immersion selbst nichts direkt mit Leistung und gar nicht vordergründig mit der Handlung selbst (Vorstellen, Kommunizieren) zu tun. Auch muss sie nicht mal in jedem Moment als positiv empfunden werden, obwohl man sie dann wahrscheinlich lieber aufgibt (eventuell reflexartig).
Man kann natürlich versuchen einen klareren Begriff als Immersion für dieses spezielle Phänomen zu finden. Die im anderen Thread verlinkten Artikel sagen eigentlich ansonsten nichts neues, aber in einem wird ein Begriff für das Phänomen genannt, den ich sehr passend finde, und so noch nicht kannte:
Telepräsenz. Dieser Begriff betont den situativen Charakter und ist damit eventuell sogar besser geeignet als das allgemeine Immersion. Ich weiß allerdings nicht wirklich, ob nicht dem Begriff dann das gleiche passiert wie allen anderen. Ich kämpfe auf jeden Fall nicht groß für seine Einführung.
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Jetzt würde mich natürlich interessieren, ob es da extreme Widersprüche gibt, oder ob ich mit meinem Verdacht richtig lag, dass das was ich da beschrieben habe, schon immer das war was alle meinten. Und natürlich ob alle überhaupt verstehen wovon ich spreche.