Zunächst einmal: weder gewaltfreies Spiel, noch Zufallstabellen, weder Oldschool noch Indy oder Artsy-Fartsy sind in irgendeiner Form Indikatoren für Qualität; sei es beim Regeldesign, sei es beim Spiel. Es sind ebenfalls nur höchst subjektive Kriterien für Spaß am Spieltisch. Ich wehre mich also gegen jede Form der Abwertung von Gewaltspiel oder Oldschool oder Oldschool-Revival. Alles hat seinen Platz und ein tiefgründiges Spiel, bei dem Charaktere ausgereizt und moralische Grenzlinien erforscht werden ist nicht besser als eine rülpsende Bier- und Brezelrunde. Tut mir leid: ist sie nicht!
Du willst gewaltfrei spielen? Tu's halt. Ist das 90er oder New Age? Ist das Retro oder Basta? Wayne interessierts? Inwiefern ist der historische Hintergrund eines Spielstils oder eines Regelwerks spielrelevant? Gar nicht.
Bei aller Freude über die Retro-Spiele (die ich persönlich lieber mag, als die üblichen Platzhirsche oder Geheimtipps) hat die Diversifikation, haben die vielen anderen Rollenspielansätze doch eines gebracht: inzwischen ist doch für Jeden was dabei. Die Vielfalt ist riesig! Probier was aus und bleib bei dem, was dir gefällt.
Das finde ich halt den entscheidenden Punkt. Es gibt doch inzwischen alles nebeneinander, und ständig kommen neue Dinge hinzu. Da muss sich ein Lord Verminaerd auch nicht über Oldschool-Revival aufregen, weil die Mehrheit der Spieler hierzulande immer noch DSA, Cthulhu und Shadowrun spielt und Oldschool genauso doof findet wie er.
Aber es gibt daneben halt auch Oldschool und Indy und im Grunde fast alles, was des Spielers Herz begehrt.
Insofern würde ich auch behaupten, dass das Merkmal der 90er ein Monolithismus (gibt's das Wort überhaupt?) war. Nach einer Experimentierphase in den frühen 80ern wurde ab Mitte der 80er eine Spielweise entwickelt, die in den 90ern ziemlich alleinig und unangefochten existierte.
Ich sehe darin auch eine folgerichtige Entwicklung: Nachdem mit dem Weltenbau erst einmal angefangen wurde, mussten diese Welten ja auch ausgespielt werden, und ganz automatisch landet man dann bei Stimmungsspiel, Sightseeing, Metaplot und den ganzen Stichworten. Erst nachdem diese Entwicklung ausgeschöpft war, entstand das Verlangen nach neuen Experimenten oder einer Rückbesinnung.
Jedenfalls deckt sich das mit meinem rollenspielerischen Werdegang und den Beobachtungen, die ich damals so machte: Erst hatte man Spaß mit den oldschooligen, unzusammenhängenden Abenteuern. Doch je mehr Welt beschrieben wurde, desto mehr Welt wollte man auch. Die Verschwörung von Gareth ist hierfür tatsächlich ein gutes Beispiel. Es entstand eine Fluff-Geilheit, und in diesem Zuge immer mehr der Wunsch, die Welt, in der man spielte, zu erleben, geradezu zu bewohnen. Und der Höhepunkt dieses Strebens war dann in meinen Augen auch die WoD.
Und wie SLF das immer wieder treffend darstellt, musste man sich mit den damaligen Systemen gewisse Tricks einfallen lassen, um dieses Erleben zu ermöglichen, und diese Tricks hießen Scripting, RR, Sightseeing, Mary Sues, Würfeldrehen, "gutes Rollenspiel", Kampfvermeidung etc.
Kleine Bemerkung zu Oldschool: Man kann auch zwischendurch mal einen Dungeon ganz oldschool durchpöbbeln und Spaß haben und am nächsten Spielabend wieder gediegenes Indy-Metaspiel oder Weltschmerz-Stimmungsschleuder spielen. Muss heutzutage ja nicht immer alles gleich ausschließlich sein.
Kleine Bemerkung zu Gewalt: Da ich im wirklichen Leben ständig nach gewaltfreien Lösungen suche, empfinde ich es im Sinne eines kathartischen Eskapismus zuweilen sehr wohltuend, im Rollenspiel einen Char zu spielen, dessen flinker Degen böse Halunken, womöglich noch in Monsterform, fällt. Und aus diesem Grund finde ich es auch äußerst kreativ, schließlich denke ich mir dabei krasse Ding aus, die so gar nicht meiner Alltagserfahrung entsprechen.
Kleine Bemerkung zu lebensechten Chars: Da bin ich ganz tartex' Meinung. Ich bin im wirklichen Leben schon so lebensecht, da will ich es im Spiel doch lieber mit Spielfiguren zu tun haben.