So, jetzt komme ich auch endlich mal dazu meine Spielerfahrungen vom Wochenende zu teilen.
Bevor ich in die Vollen gehe, noch ein kleines Trostpflaster für die Entwickler.
Im Vorwort des Cortex Plus Hacker's Guide (vorab einsehbar
hier) beschreibt Rob Donoghue ganz ähnliche Phänomene, wie sie im Rahmen dieses Spieltests auftreten, als völlig normal bzw. erwartbar für das komplexe Unterfangen der Spielentwicklung. Insbesonderen den Abschnitt "Does ist work without you?" fand ich da erhellend
Nun aber zu meiner Erfahrung. Ich habe in der Runde von David/Tsu am Samstag gespielt zusammen mit Frank/Zornhau und Günther/Taysal. Gespielt wurden die Feuermagierin (Frank), der Varg (Günther) und der Zwergenpriester (ich). David und Oliver haben im Vorfeld keine Mühen gescheut, das Abenteuer (online) spielbar zu machen (Bodenpläne mit Tickleisten, wichtige Ergänzungen auf den Charakterbögen etc.). Im Verlauf des Abenteurs haben wir als Spieler immer wieder darauf gepocht, "by the book" zu spielen. Wir haben das Abenteuer in 4-5 Stunden komplett durchgespielt und es habe alle Charaktere überlebt. Danach haben wir etwa 2 Stunden auf ausführliches Feedback verwandt.
Für alle, die das Abenteuer noch spielen wollen, habe ich Spoiler gesetzt, wenn es um konkrete Spielsituationen geht.
Was mir gut gefallen hat:
- Die Atmosphäre war für mich stimmig. Insbesondere so schöne deutsche (!) Begriffe wie "Krahorst" oder "Seelenmoor". Da enstehen bei mir schnell Assoziationen.
- Die Grundprämisse des Abenteuers fand ich auch gut. Insbesondere die angelegten Anschlussmöglichkeiten für weitere Abenteuer. Ganz im Sinne einer Startregion.
- Die vielen Sonder- und Spezialfähigkeiten der Charaktere machen Lust aufs Ausprobieren. Das die Charaktere dadurch im Spiel aber auch nicht übermächtig werden sollen, gefällt mir ebenfalls.
Eine der schönsten Szenen im Spiel war für mich, als der Varg seinen Falken hat aufsteigen lassen, um durch dessen Augen die Burgruine auszukunschaften. Da griffen Spielmechanik und Settingbeschreibung nahtlos ineinander und es entstand sofort ein Bild.
- Die Idee zwischen Sicherheits-, Normalwurf und Risikowurf zu unterscheiden. Also die Möglichkeit auf mehr oder weniger Risiko/Sicherheit setzen zu können. Auch das Anliegen hinter der Würfelmechanik, eine Skalierbarkeit zu ermöglichen (Ein höherer Wurf setzt sich sofort in bessere Ergebnisse / mehr Schaden um ), kann ich auch würdigen. Auch die Chance bei schlechten Werten mit einem Risikowurf doch noch punkten zu können, ist hier zu nennen.
Was mir nicht so gut gefallen hat
- Im Spiel haben wir fast nur Risikowürfe gemacht. Und gefühlt gab es keinen Grund, das nicht zu tun. Dabei ist zu bedenken, dass sich bei mehreren Würfeln eine Normalverteilung bzw. ein Häufigkeitshügel bei mittleren Werten ergibt. Dieser ist bei mehr Würfeln ausgeprägter. Das mag erklären, warum es gefühlt meist besser erschien, einen Risikowurf zu machen.
- Rattling-Speere schicken sich an der neue Hartholzharnisch(TM) zu werden
Ich kann verstehen, dass ihr die kleinen Biester gefährlich und nervig machen wollt. Aber dann bitte mit fiesen Rudeltaktiken oder speziellen Rattlingwaffen (Netze, Fangschlingen). Sonst muss der arme Ritter sein teures Schwert wegwerfen und sich verstohlen einen Rattling-Speer nehmen.
- Bewegung im Ticksystem: Zum Gegener hinlaufen, um dann erstmal "aufs Maul" zu kriegen macht keinen Spaß. Warten darauf, wer sich zuerst bewegt auch nicht. Wenn der Gegener dann noch "Vorstürmen" (Spezialfähigkeit) beherrscht, machts überhaupt keinen Spaß mehr
Das Abenteuer ist auch so knüppelhart, dass es auf taktische Bewegung ankommt, wenn man es überleben will...
Meinen Zwergenpriester hat es da zu Beginn der Begegnung mit den Rattlingen im Haus böse erwischt. Da waren dann ruckizucki 27 LP weg und ich musst mich auf die Treppe zurück ziehen. Frank hat es natürlich kommen sehen. Aber das war auch ein Dilemma. Zum Gegener bewegen und ihn binden, kriege ich erstmal eingeschenkt, abwarten, kriege ich erst recht ordentlich eingeschenkt.
Der Varg steckte sofort in der gleichen Zwickmühle. 3 Rattlinge wischen danach den Boden mit ihm auf (den blutigen Boden wohlgemerkt... und wir sind auf der Treppe gebunden...) Zusätzlich gerät der Varg durch dauernde "aktive Abwehr" schon tickmäßig in eine Todesspirale. Dafür kann er dann aber einfach weglaufen...
Das liest sich so in der Beschreibung ja noch halbwegs spannend. Wenn man drin steckt, hat man das Gefühl, das es total willkürlich ist und mit den eigenen Entscheidungen herzlich wenig zu tun hat, weil Aktion und Auswirkung derart intransparent erscheint...
- Koordination von Aktionen im Ticksystem fand ich auch eher schwierig. Warte ich jetzt darauf, dass der Zauber von X funktioniert oder töte ich den Gegener vorher.
Bei uns hat der Varg probiert Willbald den wildgemachten Ochsen zu besänftigen. Warte ich jetzt darauf, das der Zauber wirkt oder machen wir parallel Hackfleisch aus Willbald. Willbald hat dann auch gut geschmeckt. Eine schönere Szene hatte ich gefunden, wenn es uns gelungen wäre, durch vereinte Kräfte, den Ochsen einzufangen. Bis man raus hat, wie das in einem Ticksystem funktionieren könnte, ist aber eine der Parteien vorher tot. Für die erste Begegnung mit dem Ticksystem ist diese Szene dann vielleicht auch einfach zu komplex.
- Vorstürmen und Umreißen waren die Überspezialfähigkeiten. Ich frage mich, warum die Rattlinge nicht einfach Vorstürm-Ketten gebildet haben (die berüchtigte "Rattling-Dreierkette"). Da wären Abklingzeiten vllt doch angezeigt, sonst werden solche Fähigkeiten missbraucht.
Dies wurde im Endkampf deutlich. Wir haben das Federvieh einfach durch Umreißen beschäftig, wärend die Magierin puzzeln durfte (97 Ticks lang oder so). Günther hat sich in der Zwischenzeit ein Brot geschmiert, Frank war kurz davor sich ein Bad einzulassen und ich konnte endlich mal in Ruhe aufs Klo gehen. Spannung ist was anderes... Auch das "Nippel-durch-die-Lasche-ziehen" am Ende war reines Glücksspiel... Schafft er es... nein... nochmal umreißen... Brot schmier... schafft er es jetzt... Wenn wir 2 Charaktere mit Umreißen gehabt hätten, wäre das Vieh gar nicht mehr auf die Füße gekommen...
Soweit erstmal mal. Ich hoffe, das war einigermaßen konstruktiv und bringt euch weiter. Wenn ich die Wahl hätte zwischen: das Grundregelwerk erscheint zeitnah und das Grundregelwerk wird noch ausgibiger spielgetestet und optimiert, würde ich mich für letzteres entscheiden.