Es wurde ja mehr Bezug der Theorie zum tatsächlichen Spiel gefordert. Ich möchte euch daher drei Situationen berichten, die sich in meiner Aventurien-Unisystem Lite-Runde zugetragen haben, und dem dann gegenüberstellen, wie dieselben Situationen mit Primetime Adventures als System gelaufen wären. Ich will dabei nicht werten, sondern nur auf die Unterschiede, und auf ein Problem des klassischen SL-gelenkten dramaturgischen Spiels hinweisen.
Zur Runde: Die Runde spielt, mit Unterbrechungen, seit 1995 zusammen, zunächst lange Star Wars d6, dann DSA4 und, nachdem das System nicht gefiel, Aventurien mit dem Unisystem Lite. Ich bin SL, damals waren es noch vier SpielerInnen (davon drei Mädels), alle aus meinem alten Abi-Jahrgang.
Hier habe ich was über die Mädels erzählt und
hier was über unseren Spielstil. "Atmosphärisches Rollenspiel" mit dem SL als Alleinunterhalter, der versucht, einen dramatischen Plot einzufädeln, während die Spieler sich über das Spielen ihrer Charaktere einbringen.
Zur Kampagne: Die Runde bestand aus einem Krieger, einer Magierin, einer Zwergin und einer Diebin. Schön klassisch. Ich hatte es mit einiger Mühe so gedreht, dass alle vier einen Grund hatten, eine gewisse Hexe zu verfolgen und zu stellen, die ein verbotenes Buch und ein mächtiges Artefakt gestohlen und das Volk der Zwergin mit einem mächtigen Fluch belegt hatte.
Szene 1: Die Charaktere stellen die Hexe und einige ihrer Handlanger in einem Geheimversteck in Gareth, wo diese den entführten Hofübersetzer des Kaisers festhalten, da dieser die altechsischen Passagen in dem Buch übersetzen soll. Mein Plan: Ein dramatischer Kampf, an dessen Ende die Hexe entkommt. Mein Pech: Die Spieler waren zu gut. Sie haben mir solange Details über den Ort aus den Rippen gefragt, bis sie die Kiste wasserdicht machen konnten und die Hexe keine Chance mehr hatte, rauszukommen. Eine Spielerin war besonders begeistert und frohlockte triumphierend. Ich meinte: "Ups, so war das nicht geplant..." Der Spieler des Kriegers machte schließlich absichtlich einen Fehler, um mir die Chance zu geben, die Hexe entkommen zu lassen, worauf die erstgenannte Spielerin richtig ein bisschen sauer wurde.
Hier sieht man schön, was das Unisystem kann und was nicht: Es kann die Spieler herausfordern und gibt ihnen, durch die Regeln und den vorgesehenen Spielablauf, die Chance, sich gegen den SL durchzusetzen und so effektiv die Pläne der "Bösen" zu durchkreuzen. Es kann eine Situation entsprechend der cinematischen Grundprämisse adequat abbilden, so dass die Entscheidungen der Spieler sich relevant auf die Entwicklung der Situation auswirken. Es kann
nicht für Dramatik sorgen. Wenn der SL und die Spieler Dramatik wollen, müssen sie das ohne Hilfe vom System, ja im Falle des SL sogar
gegen das System, durchsetzen.
Umgekehrt, was wäre gewesen, wenn wir PtA gespielt hätten? Die Szene wäre keine Herausforderung gewesen. Die Spieler hätten nicht über mich triumphieren können, bzw. dem Triumph nahe kommen. Es wäre von vornherein klar gewesen, dass die Hexe entkommt, und man hätte sich dann in dem entsprechenden Konflikt andere Stakes überlegt: Schafft sie es, das Buch mitzunehmen? Wird sie verwundet? Werden die Charaktere verwundet? Lässt sie einen Hinweis auf ihre Pläne zurück? Mit den sich aus dem Konfliktausgang ergebenden Vorgaben hätte man dann ein dramatisches Ende der Szene erzählt.
Szene 2: Mehrere Abenteuer später hat die Hexe den heiligen Angroschquarz aus dem Zwergenkönigreich Lorgolosch gestohlen und ist mit dabei, als die Streitkräfte des Dämonenmeisters Borbarad bei Mendena ihre Invasion beginnen. Die Charaktere gehören zu den Verteidigern Mendenas. Die Hexe gehört zur ersten Welle der Invasoren und reitet auf einer geflügelten Dämonenschlange. Es gelingt den Charakteren tatsächlich, die Schlange mit einer (gesegneten) Walfängerharpune vom Himmel zu holen und die Hexe in die Enge zu treiben (alles fair und offen gewürfelt). Dieses Mal macht keiner absichtlich einen Fehler, und da ich die Spieler nicht ihres Triumphes berauben will, lasse ich es zu, dass sie die Hexe töten und den Angroschquarz an sich nehmen. Dieses Ergebnis war aber nun irgendwie total undramatisch, und das gefiel den Spielern auch nicht so wirklich, bzw. sie waren total überrascht davon. (Mit PtA wäre die Hexe wohl wiederum entkommen, vielleicht hätten die Charaktere den Angroschquarz erbeuten können.)
Das Problem:
Entweder ich setze als SL meine Vorstellung von Dramaturgie durch,
oder ich gebe den Charakteren eine faire Chance. Natürlich hätte ich verdeckt würfeln können und sagen, dass die geflügelte Schlange ausgewichen ist. Natürlich hätte ich irgend einen Trick aus dem Hut zaubern können, der die Hexe im letzten Moment rettet. Aber das würde bedeuten, dass egal was die Spieler tun, sie sowieso keine Chance auf Erfolg haben. Irgendwann werden sie sich wahrscheinlich fragen, warum sie sich überhaupt noch anstrengen sollten? Umgekehrt,
wenn ich den Spielern eine echte Chance einräume, muss ich auch damit rechnen, dass sie sie nutzen.
Szene 3: Mit dem erbeuteten Angroschquarz stellen sich die Charaktere der Übermacht von Feinden, die auf gigantischen Dämonenarchen den Hafen angreifen. Als das Blut eines sterbenden Angrosch-Priesters den Quarz berührt, verwandelt sich dieser in eine in allen Regenbogenfarben schimmernde Axt. Die Charaktere fassen sich ein Herz und entern die Dämonarche, um sich in das innere der gewaltigen Monstrosität vorzukämpfen und den Steuermann zu töten.
Diese Szene wurde nicht nach den Regeln des Unisystems ausgewürfelt, sondern ich habe die Spieler ein paar Präzedenzwürfe machen lassen und den Rest der Geschichte, inklusive des Lichtens der Reihen von NSC-Begleitern der SCs, einfach so in freier Rede vorgetragen. Am Ende kam es dann zu einem total dramatischen Höhepunkt, als die heilige Axt das lenkende Zentrum der Arche durchtrennte und die Charaktere verzweifelt von dem sinkenden Monster flohen.
Bei dieser Szene habe ich mich über alle Regeln hinweggesetzt. Der Ausgang stand von vornherein fest, die Spieler hatten keinerlei Einfluss darauf. Und: Die Szene hat den Spielern deutlich besser gefallen als Szene 2.
Wie wäre es mit PtA gelaufen? Es wären wahrscheinlich 3 Szenen mit 3 Konflikten gewesen, und verschiedene Leute hätten die einzelnen Konfliktausgänge erzählt, aber ansonsten wäre wohl das gleiche dabei rausgekommen.