Was ist eigentlich ein Storygamer? Was unterscheidet den von "traditionellen" Rollenspielern? Dieser Frage möchte ich mich an Hand von drei Themenkomplexen widmen. Vorwegschicken muss ich, dass die Einteilung der Szene in zwei Lager natürlich nur ein sehr unzureichendes Modell ist und hier verwendet wird, um grobe Züge nachzuvollziehen.
Die SL ist ein Spieler, kein Schiedsrichter
In älteren Rollenspielen wird die Spielleitung gelegentlich auch "Schiedsrichter" genannt. Diese Tradition setzt sich fort, wenn etwa von "Spieler und Spielleiter" die Rede ist. Die SL spielt also nicht; sie ist viel eher in einer Autorenrolle.
Ein Rollenspiel hat nach dieser Auffassung gleichsam zwei Entstehungszeitpunkte. Zunächst hat irgendjemand das verwendete Spiel geschrieben, dann aber kommt die SL und macht es zu ihrem Spiel. Die Autorschaft der SL zeigt sich im Diskurs darin, dass sie ihr ähnliche Attribute zugedacht werden, wie man sie auch mit Autoren assoziiert: Inspiration, Kreativität, Genie.
Als Opposition hierzu ist die SL für Storygamer nicht Schiedsgerichter, sondern eher Torwart, d.h. allenfalls eine Teilnehmerin mit besonderen Aufgaben. Zwar sind auch bei Storygames häufig gewisse Schritte nötig, bevor das Spiel gespielt werden kann, diese werden jedoch nicht als künstlerischer Prozess, sondern als möglichst klar umrissenes Setup verstanden.
Die Autorschaft kommt entsprechend vor allem den Urhebern des geschriebenen Rollenspiels zu. Grob gesagt finden sich bei Storygamern die gleichen Hinweise für "Wie mache ich ein Rollenspiel?", welche im traditionellen Bereich als "Wie organisiere ich eine Spielrunde?" an die SL addressiert werden.
Die enge Verknüpfung von Creator Owned Games, Independent Publishing und den dank Internet kurzen Kommunikationswegen mögen diesen Perspektivwechsel erleichtert haben.
Techniken, Regeln, Hacks
Der angedeutete Perspektivwechsel hat auch in anderen Bereichen des Rollenspiels Konsequenzen. Der klassische Umgang mit dem geschriebenen Regelwerk kennt drei Varianten: Man benutzt sie, man ignoriert sie, man hausregelt sie.
Klar von den Regeln abgesondert, sind darüber hinaus andere aber nicht minder wichtige Formen der Anleitung, etwa Spieltipps, Spielleitertipps, Ratschläge. Diese gelten per se als unverbindlich und ihre Verwendung ist den Adressaten (gelegentlich die Spieler, meistens die SL) anheim gestellt.
Durch den Wegfall der Autorschaft bei SL findet sich im Diskurs der Storygamer auch die Trennung in zwei Formen von Anleitung nicht. Zwar wird man auch in Storygames Verwendungshinweise finden, aber diese sind dann auf das spezielle Spiel zugeschnitten.
Das gesamte Vorgehen und der Umgang mit dem Spiel wird dadurch zu einem ganzheitlichen Komplex. Wenn also ein Rollenspiel rät, zu Beginn des Spiels eine Kerze zu entzünden, so impliziert dies gleiche Verpflichtung, wie etwa die Aufforderung zwanzigseitige Würfel zu verwenden. Storygamer sprechen für mögliche Elemente und Vorgehensweisen gern allgemein über Techniken.
Der Zusammenbruch der Dichotomie Regelwerk / Spieltipp führt bei Storygamern zu zweierlei Vorgehensweisen: Entweder man spielt möglichst eng am Regelwerk oder aber ändert es gleich großflächig. Beide Vorgehensweisen werden dadurch begünstigt, dass die favorisierten Spiele im Vergleich zu herkömmlichen Produkten eher schlank sind. Es ist somit einfacher keine Teile zu vergessen als auch Zusammenhänge zu durchschauen und transparent zu ändern.
Ein geändertes Spiel wird dabei häufig nicht als "hausgeregelt" wahrgenommen, sondern als eigenständiges, von der Vorlage abgeleitetes, neues Spiel verstanden und häufig als "Hack" betitelt. Durch die geringe Einstiegshürde bei digitaler Veröffentlichung kann so jeder vergleichsweise leicht zum Autor werden. Inspirationen und Vorlagen anzugeben gehört in der Szene zum guten Ton.
Actual Plays, Immersion und "Metaregeln"
Ein weiterer Unterschied zwischen traditionelleren Ansätzen liegt in der Beachtung der Spielenden. Im Diskurs der Storygamer steht weniger die fiktive Handlung als die fiktional Handelnden im Fokus. Man interessiert sich weniger, dafür was passiert, sondern wie die Teilnehmer dafür gesorgt haben, dass es passiert.
Zentrale Textform für diese Auseinandersetzung ist das Actual Play. Diese Nacherzählung einer Spielrunde unterscheidet ich von traditionellen Rundentagebüchern gerade dadurch, dass sie auch das Handeln der Teilnehmer, die Anwendung von Spielmechanismen etc. nachvollzieht.
Auf Grund dieser Blickrichtung ist Immersion traditionell ein schwieriges Thema unter Storygamern. Die Vorstellung von Immersion bedingt, dass die Spielenden nicht mehr reflektieren, dass sie spielen. Dies stößt sich mit dem Bild der Teilnehmenden als bewusst Handelnde.
Leicht dagegen fällt das Einbeziehen von Mechanismen und Vorgehensweisen, welche für andere Spieler womöglich zu "meta" sind, beispielsweise abstrakte Ressourcen. Für Storygamer ist schlicht jede auf das Spiel bezogene Handlung in dieser Weise gestaltet. Eine Berücksichtigung realweltlicher Abläufe ergibt aus dieser Sicht keinen Sinn und wird dementsprechend nicht gefordert: Regeln sind nicht zufürderst eine Simulation, sondern unterhaltsame Anweisungen an die Teilnehmer.
Ich hoffe ich kann mit dieser Gegenüberstellung für etwas Klarheit sorgen, warum Storygamer im allgemeinen und ich im Besonderen auf gewisse Weise diskutieren. Ich freue mich sowohl über Fragen als auch über abweichende Darstellungen.