Autor Thema: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern  (Gelesen 1823 mal)

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Offline Kriegsklinge

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Ausgehend von meiner Frage in diesem Thread würde mich interessieren, wann und wie im Rollenspiel zum ersten Mal Stadtabenteuer im engeren Sinn aufgetaucht sind.

Zur Erläuterung: Es geht um Kaufabenteuer, in denen eine Stadt den wesentlichen Handlungsschauplatz ausmacht. Unter "Stadtabenteuer" verstehe ich dabei auch, dass das Spielmaterial ein anderes Spielerlebnis nahe legt als bei einem Dungeon oder einem Wildnisabenteuer (also z.B. keine Ruinenstadt als Freiluftdungeon). Ich denke an Ermittlung, Intrigen etc., will den Berichten aber nicht zu sehr vorgreifen - vielleicht war bei damaligen Stadtabenteuern ja an etwas ganz anderes gedacht?

Kann man einen Ursprung festlegen? Gibt es etwas Überraschendes/aus heutiger Sicht Ungewöhnliches an diesen Abenteuern? Welche Spielgestaltung wurde von AutorInnenseite der Spielleitung nahe gelegt (gab es einen mehr oder weniger geplanten Plot? Oder zielten die Texte auf ein freieres Spiel?)

Ich selbst komme als erstes auf Call of Cthulhu - aber da gab's doch sicher was bei D&D, Rune Quest und den ganzen anderen früheren Sachen?

Pyromancer

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #1 am: 5.05.2011 | 16:34 »
Braunstein I, also das allererste Rollenspiel in unserem Sinne überhaupt (gespielt 1967), spielte komplett in dem fiktiven deutschen Städtchen Braunstein.
Überraschend aus heutiger Sicht ist die hohe Anzahl an Spielern (es war für 9 vorbereitet, gespielt haben es wohl knapp 20) und dass die Grundlage des "Abenteuers" das war, was man heute wohl ein C-Web nennen würde.
Ach so, und keine bzw. kaum NSCs! Alle entscheidenden Charaktere wurden von Spielern gespielt.

oliof

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #2 am: 5.05.2011 | 16:36 »
Das erste klassische Abenteuer/Modul in einem Stadt-Setting war City State of the Invincible Overlord von 1976

Braunstein war ja eher früher und so wie Junta in Freeform, wenn ich mich recht erinnere.

Humpty Dumpty

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #3 am: 5.05.2011 | 16:41 »
In der Breite kamen Stadtabenteuer in Deutschland so Mitte der 80er an. Vorher hatte es eine zeitlang einen Hype um sogenannte Wildnisabenteuer gegeben. Die Leute merkten damals, dass es auch Alternativen zum Dungeon gab. Und nachdem Wildnisabenteuer hinreichend durchgenudelt worden waren, kamen Städte hinzu. Havena machte damals den Anfang bei DSA, relativ zeitnah kam auch Corinnis von Midgard raus. Parallel wurde das in den damaligen Rollenspielzeitschriften diskutiert. ZauberZeit gab es meines Wissens zu Beginn dieser Diskussionen noch nicht, aber in Fantasywelt und vor allem Spielwelt war das ein Riesenthema. International habe ich das nicht verfolgt, aber dazu haben sich ja die Weisen des Morgenlandes schon vor mir geäußert.

Offline Kriegsklinge

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #4 am: 5.05.2011 | 16:47 »
Danke, das sind schon mal interessante Antworten!

Zu Braunstein: Cool, ist mir vollkommen neu. Hat dieses Spiel die weitere Rollenspielentwicklung beeinflusst? War es den amerikanischen D&D-Erfindern bekannt, wurde es Richtung Magira/DSA weitergetragen? Oder ist das ein einzeln stehender Vorläufer?

City State: oliof, hast du das gespielt? Kann sonst jemand etwas mehr aus der Praxis erzählen? Und: War das ein einflussreiches Modul oder eher ein Exot im frühen D&D-Kanon?

@TAFKAB: Ich erinnere mich aus den ersten ZZ-Nummern noch gut an die Wildnisabenteuer-Diskussion; Stadtabenteuer wurden dort aber auch bald prominent, bis hin zum eigenen Setting "Ommei" (Schreibweise?) und dazugehörenden ABs im Heft. Ich erinnere mich, dass die Diskussion damals schon sehr stark mit dem Begriff des "richtigen" oder "besseren" Rollenspiels befasst war, inkl. Abgrenzung zum "Hack'n'Slay" und D&D-Bashing. Auch in den Rezensionen fand iirc diese Abgrenzung statt.

Daher weiterführende Frage: Galten Wildnisabenteuer und später Stadtabenteuer schon früh in den deutschen Rollenspielmedien wie ZZ als "Besserspiel"? Wie habt ihr das in Erinnerung, gibt es Belege dafür?

Offline Oberkampf

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #5 am: 5.05.2011 | 16:54 »
Hmm, dank der von EE im anderen Thread aufgeführten Abenteuer habe ich den Eindruck, dass wohl auch DSA sehr schnell auf den Zug aufgesprungen ist. B6 (Unter dem Nordlicht) hat zumindest mal dörflichen Charme, B13 (Der Streuner soll sterben) ist mir als Stadtabenteuer in Erinnerung geblieben (nachdem ich den Dunkelelfen mit einer Feuerlanze geröstet hatte) und bei den Ausbau-Set Abenteuern sticht einem ja die Verschwörung von Gareth ins Auge.
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oliof

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #6 am: 5.05.2011 | 16:55 »
Dave Arneson hat bei Braunstein mitgespielt, und es heisst der Name hat eben auch die Namen der frühen D&D-Kampagnen Inspiriert (Arneson Blackmoor, Gygax: Greyhawk, also Farbe+irgendwas). Es gibt auch eine ausführliche Abhandlung zu Braunstein

Ich hab Invincible City State of the Overlord nie gespielt, aber die Judge's Guild war einer der ersten grossen Produzenten von D&D-Modulen (so ähnlich wie Paizo für Wizards vor Pathfinder vielleicht), und ihre Publikationen recht verbreitet (auch weils sonst kaum was gab).


Pyromancer

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #7 am: 5.05.2011 | 16:58 »
Danke, das sind schon mal interessante Antworten!

Zu Braunstein: Cool, ist mir vollkommen neu. Hat dieses Spiel die weitere Rollenspielentwicklung beeinflusst? War es den amerikanischen D&D-Erfindern bekannt, wurde es Richtung Magira/DSA weitergetragen? Oder ist das ein einzeln stehender Vorläufer?
Dave Arneson, der Miterfinder von D&D, hat spätestens beim legendären Braunstein IV (das war das mit dem Junta-ähnlichen Setting) mitgespielt.
Erwähnenswert ist noch, dass es keine typischen "Abenteurergruppen" gab, sondern jeder Spieler hatte seine eigenen Ziele. PvP war üblich und erwünscht. Das war damals sehr stark von der Kultur des historischen Wargaming geprägt war, die sich meinem eher laienhaften Eindruck nach sehr stark von der heute in Deutschland anzutreffenden Tabletop-Kultur unterscheidet.

Offline Dirk Remmecke

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #8 am: 5.05.2011 | 17:13 »
Das war damals sehr stark von der Kultur des historischen Wargaming geprägt war, die sich meinem eher laienhaften Eindruck nach sehr stark von der heute in Deutschland anzutreffenden Tabletop-Kultur unterscheidet.

Wie ich gerade im Chat schrieb:
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Offline Dirk Remmecke

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #9 am: 5.05.2011 | 17:46 »
City State: oliof, hast du das gespielt? Kann sonst jemand etwas mehr aus der Praxis erzählen? Und: War das ein einflussreiches Modul oder eher ein Exot im frühen D&D-Kanon?

Die Judges Guild-Sachen (zu denen City State gehörte) waren enorm einflussreich, aber mehr in den USA als bei uns. Das Abenteuermodul Tegel Manor hat einen ähnlich hohen Kultfaktor wie bei uns Das Wirtshaus zum Schwarzen Keiler/Der Wald ohne Wiederkehr (für DSA) oder Festung im Grenzland/Burg Bernstein (für D&D) oder Unter den Nebelbergen/Das Hügelgrab bei Caetharlach (für Midgard).

Die Judges-Guild-Sachen waren auf sehr billigem Papier gedruckt, mit flächig colorierten Covern, und wegen ihrer "Wabbeligkeit" eingeschweißt, weshalb man sie im Laden nicht ansehen konnte. (Wenn man denn mal einen Laden fand, der diese Dinger führte.)

City State of the Invincible Overlord war Teil der Wilderlands of High Fantasy, der heilige Gral der Hexcrawl-Sandbox-Kampagnenwelten. Beide sind im Zuge der d20-Euphorie bei Necromancer Games für 3.x aufbereitet, modernisiert und neu aufgelegt worden - und bringen mittlerweile ebensolche Sammlerpreise wie das Original.
Im letzten Jahr ist mit Majestic Wilderlands eine sehr stark abgespeckte Version erschienen, die sozusagen die in jahrzehntelangem Spiel erzeugten Veränderungen und Hausregeln eines bestimmten DMs dokumentiert. Das Produkt ist nicht offiziell, aber von Judges Guild abgesegnet. (Der Autor war schon für die Umarbeitung der 3.x-Fassung der Wilderlands zuständig, kennt das Setting also wie seine Westentasche.)

Ist aber alles das Gegenteil von "Stadtabenteuern". City State war eben nur ein Fleck auf der Hexkarte den 18 Hexkarten.

Offline Kriegsklinge

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #10 am: 5.05.2011 | 18:30 »
Vielen Dank für diese ausführliche Antwort, Dirk!

Offline Dirk Remmecke

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #11 am: 5.05.2011 | 19:33 »
Da nich für.

Hier kannst du City State übrigens als PDF erwerben: http://www.rpgnow.com/product_info.php?products_id=56309&filters=0_0_0_0&manufacturers_id=31
(Und einige andere Dinge aus der Altvorderenzeit des Rollenspiels.)

Nachtrag:
Und hier gibt es eines der 18 Kapitel (inkl. Hexkarte) der 3.x-Version der Wilderlands zur Ansicht: http://www.judgesguild.com/downloads/index.html
(Scroll runter bis zum Download "Lenap")
« Letzte Änderung: 5.05.2011 | 19:48 von Dirk Remmecke »

Offline Sir Markfest

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Re: [Rollenspielgeschichte]Beginn von Stadtabenteuern
« Antwort #12 am: 5.05.2011 | 20:04 »
Daher weiterführende Frage: Galten Wildnisabenteuer und später Stadtabenteuer schon früh in den deutschen Rollenspielmedien wie ZZ als "Besserspiel"? Wie habt ihr das in Erinnerung, gibt es Belege dafür?

Nicht als "Besserspiel" oder "wahres Rollenspiel"TM, diese Grabenbezeichnungen gab es damals eigentlich noch nicht (zumindest in meinem Umfeld). Aber Stadtabenteuer waren einfach "in" oder "trendy". Plötzlich entdeckte jeder den "Zauber der großen Städte" (so hieß übrigens der ZZ-Artikel zum Boom der Stadtabenteuer), plötzlich wollte jeder in der Stadt spielen, eine Fülle NSCs treffen oder leiten, eine Menge Häuser, Bewohner und Geheimnisse verwalten oder bespielen :)