Kann mir also hier mal einer MIdgard erklären, und ein paar worte zum Basis-Spiel-Stil den es fördert, so wie komplexität verraten?
Sehr komplex und überreglementiert obwohl viele Regeln wohl freiwillig sind.
Der jüngste laufende Gag bei uns sind die Zeitangaben dafür wie lange man braucht, um eine Tür zu öffnen.
Midgard ist ein System ganz alter Schule wie eben D&D, DSA oder auch Rolemaster und könnte vom Spielgefühl her nicht weiter weg von Wushu und Liquid sein.
Hier mal die DORP-Rezension:
Ein ganz schöner Brocken liegt diesmal vor uns. Aber noch immer knallt die Sonne erbarmungslos auf uns nieder, noch immer sind die Tagestemperaturen über 30 Grad … was gibt es da Besseres als sich in sein kühles Zimmer zu hocken und diesen mehr als 350 Seiten umfassenden Wälzer durchzuackern.
„Einiges“ mag man sagen, war mir egal, ich habe es getan und hiermit geht die lange überfällige Rezension des Midgard-Grundregelwerks.
Aber vorher ein kurzer Ausflug in die Welt der Geschichte:
Anno 1981, als die Welt noch jung, ich ungeboren und selbst „Conan the Barbarian“ noch nicht im Kino war, erschien ein neues Spiel in Deutschland. Es hieß „Midgard“, und es war das erste eigenständige Rollenspiel in deutscher Sprache.
Ja, dieser Thron, den viel wohl unterbewusst DSA anerkennen, gehört Midgard. Und obschon das System niemals die Verbreitung des großen Konkurrenten erreicht hat, wurden doch beständig neues Material und auch neue Regeleditionen veröffentlicht.
2001 dann, 20 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Buches, sah man die Zeit gekommen für eine neue, eine vierte Edition, jene Edition, die nun vor uns liegt.
Von der Produktion her sicherlich ein sehr schönes Buch geworden. Hardcover, stabile Bindung, matter Einband. Das Papier ist stark und von guter Qualität, das Druckbild kräftig und die beiden Lesebändchen erscheinen nur noch als zusätzliche Sahnehäubchen.
Das Cover hingegen, so muss man leider sagen, ist wiedereinmal ein waschechter Öckl.
Das ich kein Fan der Bilder von Werner Öckl, das schrieb ich ja schon öfter, und auch das diesmalige Motiv ist nicht wirklich erfüllend, sehen wir doch eine doch eine eher seltsame Heldengruppe (Krieger in Vollplatte, ein weniger Gerüsteter im Hintergrund, eine leicht bekleidete, elfische Falknerin (oder so) und ein Halbling) in einem Märchenwald, einen ominösen Schädel zu ihren Füßen und ein Schloss Marke Neuschwanstein im Hintergrund.
Wäre nicht mal mehr weiter erwähnenswert, gäbe es nicht noch eine ganze Reihe Farbtafeln des gleichen Künstlers, von denen ich mal nur „komischer Krieger gegen blutigen Riesenpinguin noch explizit erwähnen will. Könnte schlimmer sein, könnte aber auch deutlich besser sein, wenn man mal den Blick zu Konkurrenz wagt.
Das Innenartwork ist dann gehobener Standard zu nennen. Anders als noch bei „Das Abenteuer beginnt“, der Anfängerbox, wurde hier nichts wiederverwehrtet oder wild gemischt, das neue Artwork ist modern und von gleichbleibendem Stil, nur eben auch nicht wirklich überragend. Das Layout ist dagegen ziemlich gut und der Gesamteindruck ist eben doch trotz kleiner Einzelmakel relativ stimmig.
Das Vorwort lehrt uns dann schon, dass die Zielgruppe des Spiels klar erfahrene Rollenspieler sind und man gar nicht in der Illusion lebt, unzählige Newbies anzulocken, weshalb auch schon klar wird, in welche Richtung es geht: hier werden Profis bedient.
Dementsprechend erstrecken sich über das Buch die komplette Regeln des Spiels in ihrer vollen Komplexität, ohne das Platz für große Erläuterungen bewahrt wird.
Das hat klar eine Sache zur Folge, auf die ich auch direkt hinweisen will: „Midgard – Das Fantasy-Rollenspiel“ ist das Regelwerk. Eine Weltenbeschreibung sucht man hier vergebens, wenn sich auch einige Textkästen bemühen, einen gegenteiligen Eindruck zu vermitteln.
Das gesamte Buch steckt nur voller Regeln und wer gerne mehr über die Spielwelt erfahren will, der wird einfach mal an diverse Quellen weiter verwiesen … wer gedacht hat, mit diesem Buch alleine einsteigen zu können, der wird klar enttäuscht.
Außerdem ist man manchmal etwas verwirrt, etwa wenn es um die Herkunft des Charakters geht. Unzählige Länder stehen zur Wahl … doch bestehen sie aus nichts weiter als einem Namen...
Allgemein ist das Buch nicht für Leute geschrieben, die irgendwo einsteigen wollen, denn das Regelwerk von Midgard ist einfach nur komplex, obschon dem System auch noch sehr der Geruch eines klassischen Systems anhaftet. Wo DSA4 etwa schon in der Charaktererschaffung ganz neue Dimensionen erkundete, geht es bei Midgard klassisch zu. So werden die sechs prozentualen Attribute (Stärke, Geschicklichkeit, Gewandtheit, Konstitution, Intelligenz und Zaubertalent) mit zwölf W%-Würfen bestimmt, die jeweils paarweise erfolgen und deren höheren Ergebnis jeweils zählt.
Oder auch einfach noch Charakterklassen gewählt. Kein kompliziertes, aber Freiheiten gebendes Generierungssystem, sondern die simple Wahl aus einem Pool von 13 Kämpfern (Assassine, drei Barbarenarten, Ermittler, Glücksritter, Händler, Krieger, Kundschafter, Seefahrer, Söldner, Spitzbube und Waldläufer), drei zauberkundigen Kämpfern (Barde, Ordenskrieger und Tiermeister) sowie 14 Zauberern (Beschwörer, Druide, Heiler, Hexer, Magier, sieben Arten von Priestern, Schamanen und Thaumaturgen).
Von diesem Grundsatz an entfaltet sich nun ein System, dass in seiner Komplexität hier gar nicht erfasst werden kann, aber eben doch beide Erwartungen erfüllt: es ist recht klassisch, und es ist differenziert.
Es ist ganz klar ein System für Regelliebhaber, denn Midgard ist in vielem einfach aufwendiger als andere Systeme.
Illustres Beispiel seien hier einmal die Erfahrungspunkte: wo andere Systeme einfach EP vergeben, vergibt Midgard mit den KEP, den ZEP und den AEP gleich drei verschiedene Sorten. KEP sind Kampferfahrungspunkte, die ZEP sind Zaubererfahrungspunkte und die AEP eben allgemeine Erfahrungspunkte, die man naturgemäß für verschiedene Taten bekommt und die auch verschiedene Einsatzgebiete haben. Ist ja an sich auch logisch, dass man fürs Orkhauen keine neuen Zauber kaufen kann … aber eben aufwendig.
Ob man das braucht oder nicht sei dahingestellt, die Frage ist aber eher exemplarisch zu sehen: will man bzw. braucht man ein System, dass das alles so genau nimmt?
Die Kampfregeln sind ebenfalls ein passendes Beispiel. Gerade die komplexeren Manöver sind wohl nur anhand der enthaltenen Diagramme zu deuten und es wird wohl viel Einarbeitungszeit erfordern, bis man mit diesem System sauber spielen kann.
Dabei kann man dem System jedoch auch nicht sagen, dass es dadurch übermäßig realistisch wird, einige Dinge gehen dann schon wieder klar ins rein phantastische Genre. Etwa die Fertigkeit „Kampf in Vollrüstung“, mit der ein geschulter Krieger auch in Vollplatte unbehindert akrobatische Leistungen vollbringe, minimal behindert schwimmen oder laufen kann … man kann, das ist korrekt, den Kampf in schwerer Rüstung lernen. Aber so gut wohl kaum...
Auch am Umfang wird die Wucht der Regeln übrigens sehr deutlich. Denn wer glaubt, die über dreihundert Seiten hätten, wenn schon kein Hintergrund, wenigstens alle Regeln gesammelt, der irrt gewaltig.
Das vorliegende Grundregelwerk erspart noch jeden Ausflug in die Welt der Magie, dafür ist nämlich „Das Arkanum“, ein weiterer Wälzer von gut 300 Seiten.
Mehr als selten zuvor ist es hier klar der Geschmack des Konsumenten, der zum Kauf treibt oder eben nicht. Das Midgard-Regelwerk ist eine exzellente Umsetzung dessen, was man vermutlich auch erreichen wollte: es ist ein sehr detailliertes, sehr komplexes und weitestgehend eben durchaus durchdachtes Regelwerk für Leute, die so etwas mögen.
Wem es weniger um Regeln geht als um einen schnellen, sauberen Spielfluss und eben das Erzählen von Geschichten, der ist bei Midgard falsch – aber das kann man dem System natürlich nicht wirklich vorwerfen.
Was man allerdings konstatieren muss ist das nahezu vollkommene Fehlen von Hintergrund. Zur Welt gibt es nur ein paar Textkästen und die sind kundenfeindlich noch quer durch das Buch verteilt, an Kreaturen und Wesenheiten gibt es gerade mal eine etwas mehr als eine Seite umfassende Übersicht an Werten.
Da konnte auch das Starterset besser punkten, dort wurde dem geneigten Leser doch zumindest noch gesagt, was Orcs und Oger sind.
Midgard ist ein Regelwerk für Leute, die Welt und Wesen ohnehin schon kennen und nur ein Regelupdate wünschen … und dafür gibt es von mir durchaus einen Punkteabzug.
Als Fazit kann man sagen, wer Midgard kauft, erwirbt sicher keine Mogelpackung. Das Buch hat eine nette Optik und vor allem: viel Textinhalt. Doch wer zugreift sollte wissen, was er bekommt: nämlich fast ausschließlich anspruchsvolle Regeln, die viel Einarbeitungszeit erfordern werden … und vermutlich die Investition in den einen oder anderen weiteren Band, mit Sicherheit das „Arkanum“ für die Magieregeln, aber wohl auch den einen oder anderen Hintergrundband.
Wem das Zusagt, der macht bei „Midgard – Das Fantasy-Rollenspiel“ in seiner vierten Edition sicherlich keinen Fehler.