So, hier mal
meine Ansicht zu Immersion. Ich weiß, ich bin kein Fachmann für Immersion.
Aber dafür habe ich mich mit ein paar Sachen beschäftigt, die hier evtl. helfen könnten. Ich hoffe, dass dieser Ansatz und diese Definition etwas mehr Licht in die ganze Angelegenheit „Immersion“ bringt. Natürlich ist das erst einmal nur eine Diskussionsgrundlage, aber ich hoffe, eine produktive Basis liefern zu können.
Also werden wir gleich psychologisch und postulieren:
GrundannahmeImmersion ist ein durch Suggestion und Autosuggestion herbeigeführter Bewusstseinszustand, der vom Konzept her Ähnlichkeiten z.B. mit Hypnosezuständen oder durch Meditation oder Autogenem Training hervorgerufenen Zuständen hat.Der Bewusstseinszustand „Immersion“ ist durch drei Komponenten gekennzeichnet:
1.
Die Person hat das subjektive Gefühl „jemand anders zu sein“. Dies schließt das Gefühl ein, Gedankengänge einer (spezifischen) anderen Person zu denken, ihre Emotionen zu fühlen, ihre Wahrnehmung zu haben und insgesamt in einer anderen Situation zu sein. Schwächere Zustände der Immersion können auch einen Ausschnitt der genannten Bereiche umfassen – das Gefühl „jemand anders zu sein“ ist allerdings zentral.
2.
Die Person hat ein (stark) vermindertes Gefühl des eigenen Selbst. Sie verwendet keine Aufmerksamkeit auf die eigenen Emotionen, Wahrnehmungen und Denkprozesse. Sie vergisst die Situation, in der sie sich selbst befindet. Vor Allem verwendet sie keine Aufmerksamkeit darauf, in welchem Zustand sie sich gerade befindet (also kein „sich selbst beobachten“) und welche Techniken sie evtl. zum Erlangen des Zustands einsetzt.
3.
Der Zustand ist temporär (wir reden hier von keiner chronischen Störung)
und durch Techniken der Autosuggestion (sich selbst in „Stimmung“ bringen, wie jemand reden, Mimik, versuchen wie jemand zu denken, usw.)
und Suggestion (Interaktion mit einer Gruppe von „immersiven“ Spielern, „Stimmung“ in der Gruppe, Kommunikation „in Charakter“, usw.)
herbeigeführt. Damit man von „Immersion“ sprechen kann, ist eine
gewisse zeitliche Stabilität allerdings Vorraussetzung.
Immersion ist also ein veränderter Bewusstseinszustand, gleichzeitig gekennzeichnet durch verstärkte (auf das „jemand anders sein“) und verminderte (bezogen auf das Gefühl des „Selbst“) Aufmerksamkeit, der temporär, aber doch zeitlich etwas stabil ist.
Das wäre meine Sicht zu Immersion.
Vorteile der SichtIch sehe bei meiner Sicht von Immersion mehrere Vorteile:
Flow. Immersion wird von Immersionsspielern fast immer als positiv beschrieben (ach nee, sonst würden sie es ja nicht machen
). Dies ließe sich mit dem veränderten Bewusstseinszustand, dem Flow nicht unähnlich, erklären, der ähnlich auch bei Meditation oder Autogenem Training auftritt.
Empfänglichkeit für Emotionen. Der Bewusstseinszustand geht ebenfalls mit der verstärkten Empfänglichkeit für Emotionen (die der „gefühlten“ Person) einher, währen eigene Emotionen ausgeblendet werden. Auch dies wird von Immersionsspielern oft beschrieben.
Ähnlichkeit zu „Story-Immersion“. Ich habe den Bereich „Hineinversetzen in eine Story“ bewusst aus der Definition ausgeklammert, da ich denke, dass das was vom Konzept her anderes ist. Allerdings sind auch bei einem „Hineinversetzen“ oder „Mitfiebern“ oft ein Flow-Effekt und eine erhöhte Empfänglichkeit für in der Story angesprochene Emotionen gegeben, auch wenn nei das Gefühl „jemand anders zu sein“ erreicht wird und auch das Gefühl des Selbst nur begrenzt geschwächt wird. Die Konzepte sind also anders. Mein Ansatz würde aber erklären, wo sie ähnlich sind und warum sie deswegen gerne mal verwechselt werden.
Suggestionstechniken. Veränderte Bewusstseinszustände werden häufig mit bestimmten Techniken erreicht. Passend dazu erklärt mein Ansatz, warum Gestik, Mimik, sprechen mit der Stimme des Charakters usw. oft mit Immersion verbunden sind: diese Techniken können helfen, sich wie jemand anderer zu fühlen.
Störungen. Auch würde der Ansatz erklären, warum bestimmte Dinge, die die Aufmerksamkeit binden, den Zustand stören können. Wenn die Aufmerksamkeit auf das Selbst oder auf die eigene Situation erhöht wird, entsteht leicht das Gefühl „herausgerissen“ zu werden.
Übungseffekte. Mit der Zeit müsste es Spielern, die häufig Immersion erreichen, leichter fallen, sie erneut zu erreichen, die „Anlaufzeiten“ müssten kürzer werden, die „Verweildauer“ in der Immersion länger. Auch dieser Effekt wird beschrieben.
Unterschiede zwischen Personen. Zu guter Letzt würde der Ansatz erklären, warum es manchen Spielern leichter fällt Immersion zu erreichen bzw. warum sie mehr Spielspaß aus dem Zustand ziehen. „Hypnotisierbarkeit“ ist eine nur schwer zu verändernde Persönlichkeitsvariable, die die Empfänglichkeit für bestimmte Suggestionszustände kennzeichnet.
Nachteile der SichtEinige Nachteile gibt es aber doch:
Introspektiv. Der Bewusstseinszustand ist dem Beobachter kaum zugänglich. Man kann zwar das Verhalten beobachten und über bestimmte Indikatoren (eben Gestik und Mimik) auf den Zustand schließen. Aber wirklich zugänglich ist der Zustand nur der Introspektion der Person selber.
(Un)Genauigkeit. Gerade weil der Bewusstseinszustand subjektiv ist, kann man zwar bestimmte Vergleichspunkte aufstellen und Indikatoren finden, aber einen wirklich vergleichenden Maßstab für Immersion kann man nicht finden bzw. nur über die Introspektion errichten.
So, das wäre mein Ansatz, den ich für deutlich sinnvoller halte, also den Ansatz in diesem Thread:
[Offen] Immersion - Der Klebstoff des Rollenspiels?Konstruktive Nachfragen und Diskussion erwünscht.