Für mich ähnelt ein gutes Setting einem guten Charakter; ein Setting zu entwickeln hat für mich viele Parallelen zur Charaktererschaffung.
Dazu würde ich mir folgende Gedanken machen:
Ein gutes Setting braucht eine
pfiffige Grundidee, etwas, das es aus der Masse anderer Settings hervorhebt oder es für eine besondere Zielgruppe interessant macht. Dabei muss das Rad nicht neu erfunden werden; es gibt kaum ein Setting, das nicht schon einmal auf die eine oder andere Art und Weise da war. Dennoch gelingt es immer wieder, altbekanntes neu aufzubereiten und spannend zu machen. Als Beispiel dafür nenne ich mal Harry Potter: Geschichten von Kids in Privatschulen gibt es wie Sand am Meer, aber
magische Kids in einer Privatschule, das ist etwas neues (gewesen). Den hundertsten Abklatsch von Herr der Ringe wird hingegen kaum jemand als spannendes Setting empfinden.
Wird die Grundidee dann auch noch um einige weitere ungewöhnliche (oder geschickt zusammengeklaute ^^) Details angereichert, hat man schon ein solides Gerüst für ein gutes Setting.
Es muss eine
"Seele" haben. Diesen Begriff kann ich nur sehr schwer in Worte fassen. Es handelt sich um das Flair, um das "feeling", das ein Setting beim Leser/Spieler erzeugt. Das Gefühl, dass diese Story "echt voll Shadowrun" oder diese Figur "absolut Earthdawn" oder jene Nachricht "total Unknown Armies" ist. Es ist eine einzigartige Stimmung, die nur dieses Spiel erzeugen kann (und zwar
relativ unabhängig von der persönlichen Interpretation des Settings durch Spieler und Spielleiter).
Es muss eine schlüssige
Backstory haben. Damit ist ein gewisser Einblick in die jüngere Vergangenheit der Spielwelt gemeint; wir alle wissen, wie sehr die Geschichte eines Volkes seine Gegenwart bestimmt. Hierbei will ich persönlich keine 100 Seiten detaillierten geschichtlichen Aufzeichnungen; ein kurzer Überblick mit den wichtigsten Ereignissen und deren Bedeutung für den Jetzt-Zustand des Settings reicht.
Es muss
Konfliktpotential haben. Für mich der Dreh- und Angelpuntk eines guten Settings. Konflikte zwischen Parteien, Fraktionen, Personen, Göttern, Clans, Häusern - zwischen Repräsentanten verschiedener Interessen. Je stärker dabei die Unterschiede der Interessen, desto besser, denn dann steigt auch das Konfliktpotential.
Die Zahl der beteiligten Parteien hat einen großen Einfluss auf die Intensität und die Komplexität des Konfliktes (oder der Konflikte!). Weniger Parteien können einen Konflikt vermutlich stärker und intensiver, für Außenstehende deutlicher ausfechten; ein Setting mit wenigen Parteien neigt aber oft zu argen Stereotypen und Schwarz/Weiß-Malerei.
Viele Parteien hingegen sorgen dafür, dass ein Konflikt eher dezent und subtil ausgetragen wird; der Konflikt wird facettenreicher, kann aber auch schnell unübersichtlich und für Außenstehende nur schwer nachvollziehbar werden.
Man sollte sich hier, genau wie bei der Charaktererschaffung, nicht verzetteln. Bei einem Charakter ist es in der Regel auch besser, sich auf einen zentralen Konflikt der Figur zu konzentrieren, als auf hundert kleine.
Es muss
etwas Edles und
etwas Verabscheuungswürdiges haben (vielleicht vergleichbar mit den Stärken und Schwächen eines Charakters). Hierbei dürfen ruhig alle Register der bekannten Stereotypen gezogen werden. Die noblen Elfen, die bösen Drow, der gütige König, der fiese Erzmagier, die machtgierigen Konzerne, die friedliebenden Umweltschützer... wie auch immer man diese Repräsentanten von schwarz und weiß nennen will - ein gutes Setting muss sie haben. Warum? Weil sie für etwas stehen, mit dem man sich
schnell identifizieren kann, das man sofort versteht. Die ältesten und erfolgreichsten Geschichten der Welt handeln vom Kampf Gut gegen Böse, und ein Setting, in dem weder das eine noch das andere vertreten ist, ist unvollständig.
(das heißt übrigens nicht, dass das
ganze Setting von diesem Kontrast gut-böse, schwarz-weiß bestimmt wird; es darf durchaus sehr grau und schwammig sein, aber irgendwo muss da
der Gute sein und
der Böse)
Es muss einen aussagekräftigen
Namen haben, der sofort Assoziationen weckt (der Name wird sowohl bei Spielen als auch bei Charakteren oft unterschätzt! ;-))
Beispiel: Primetime Adventures, All Flesh must be eaten, Dungeons&Dragons
Es muss einen
"Trigger" haben, ein Problem oder eine Problemstellung, die als Ausgangspuntk für Handlungen und Konflikte dienen kann.
Beispiel: Es gab einen großen Krieg, der das Land verwüstet hat. Ein Asteroid bedroht die Welt. Ein Schwarzmagier hat eine finstere Schreckensherrschaft errichtet. Die Sonnen verfinstern sich.
Solche "Trigger" findet man in sehr vielen Rollenspiel-Settings, sie sind oft Teil dessen, was Spieler und Autoren als "Metaplot" des Settings bezeichnen.
Detailgrad: Ein Faktor, der stark von den persönlichen Präferenzen des Autors abhängt. Manche Settings gewinnen unheimlich durch ihren hohen Detailgrad, bei anderen schreckt er geradezu ab.
Hier würde ich mal sagen: je pfiffiger die Grundidee eines Settings ist, desto mehr Detailgrad kann man sich erlauben. Man kann ein Setting durch zu viele Details tot schreiben (Reiseführer-Charakter); unter "tot" verstehe ich spannungsarm, vor allem aber: zu wenig Platz für die eigene Vorstellungskraft des Lesers/Betrachters lassend. Eine gut gewählte Andeutung ist meist hundertmal wertvoller, als eine präzise Schilderung.
Thematischer Fokus: Zu allem oben genannten schätze ich Settings, die einen bestimmten Fokus haben, ein Thema, das immer wieder in verschiedenen Varianten aufgegriffen wird und das Setting durchdringt; sowohl vordergründig als auch hintergründig.
Zur Frage, ob man ein Setting unabhängig von Regeln entwerfen lässt von mir ein: Ja.
Allerdings ein Ja, aber...
Buchautoren, Theater- und Drehbuchschreiber entwickeln Tag für Tag Settings, die uns bezaubern, begeistern, verführen und erschrecken. Keiner von ihnen macht sich (ein Glück ^^) Gedanken um eine Spielmechanik.
Solche Settings werden häufig "rollenspieltauglich" gemacht, also mit irgendwelchen Regeln versehen, die mehr schlecht als recht funktionieren und selten dazu beitragen, am Spieltisch die Stimmung des Buches oder des Films zu transportieren. Regeln wirken hier oft als Zusatz, als notwendiges Übel, das in Kauf genommen wird, weil "Regeln nun mal zu einem Rollenspiel dazu gehören".
Genau das selbe Gefühl habe ich oft auch bei Rollenspielen, die von Anfang an Rollenspiele waren (also nicht zuerst Film oder Buch): tolles Setting, miese Regeln. Mein Lieblingsspiel, Fading Suns, fällt in diese Kategorie. Mir geht es da genauso wie Jasper; die Spielwelt ist faszinierend, aber die Regeln sind... drangeklatscht. Der Autor hat sich ein wundervolles Setting ausgedacht, dabei aber übersehen, dass es ja mal ein Spiel werden sollte, kein Buch.
Daher das Ja, aber.
Man
kann ein Setting unabhängig von Regeln entwerfen, aber dabei kommt nicht unbedingt ein gutes
Spiel heraus.
Bei einem guten Spiel bilden Regeln und Setting imho eine Einheit; die Regeln
unterstützen das Setting, arbeiten seinen Fokus heraus. Dazu müssen Regeln und Setting aber Hand in Hand entwickelt werden (und nur wenige Autoren sind gute Regeldesigner).
Bevor man ein Setting mit "irgendwelchen" Regeln versieht weil es "halt dazu gehört", sollte man also lieber ehrlich sein und ein Setting
als Setting stehen lassen.