Autor Thema: Grenzen der Immersion?  (Gelesen 1849 mal)

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Offline Sephiron

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Grenzen der Immersion?
« am: 3.06.2007 | 02:58 »
Nabend :)
Ich überlege nun schon geraume Zeit, wann eine von Spielern benutzte Technik anfängt, der Immersion zu schaden, vor Allem in Bezug auf Player Empowerment.
Angeblich soll durch geringere PE-Regeln Immersion verbessert werden und eigentlich klingt das auch plausibel: Wenn der SL z.B. in einer Kampfszene genau festlegt, wo sich was im Raum befindet, kann das umständlich und störend sein. Weder ellenlange Erklärungen zu Beginn der Szene noch ständiges Nachfragen seitens der Spieler helfen dabei, sich in einen Charakter hinein zu versetzen. Auch nach eigenen Erfahrungen erhöht es den Spielfluss, wenn Spieler Details der Beschreibung selbst festlegen können - und fördert damit Immersion. Wenn ich kurz und knapp erkläre, dass sich die Charaktere in einem Speisesaal befinden, dann ist es mir nur recht, wenn sie Stühle, Kronleuchter, etc. dort platzieren, wo es ihnen gerade passt.
Auch wenn man Spielern mit abwesenden Charakteren zeitweilig die Kontrolle über NSCs zusteht, ist dies mE spielfördernd und schränkt auch keinesfalls Immersion ein.
Allerdings geht, wie mir scheint, größere Kontrolle über das Spielgeschehen auch mit häufigeren Brüchen mit der Rolle einher. Wenn ich zwei Charaktere gleichzeitig in der selben Szene spiele, muss ich sehr häufig hin und her springen und habe nie die Zeit, mich in einer bestimmten Rolle richtig einzufinden. Es scheint also nicht mit Immersion vereinbar, dass ein Spieler gleichzeitig seinen SC und einen NSC kontrolliert. Eine relativ gesichtslose NSC-Gruppe ohne gleichzeitige SC-Gruppe scheint allerdings wiederum ohne Probleme machbar, solange sie als Kollektiv handelt.
Beispiel: "Die Räuberbande umkreist euch. Der Anführer spricht: ..." Hier sind die übrigen Räuber eigentlich nur zusätzliche Arme des Anführers. Blöd wird es erst, wenn sich der Anführer nun mit dem SC des Spieler unterhalten soll.
Auch das Einfügen von Objekten in die Spielwelt scheint ähnlichen Regeln unterworfen: "Ich gehe in die Kirche" setzt voraus, dass in der Nähe eine Kirche existiert. Ein Übereinkommen, dass Spieler Objekte selbst in die Spielwelt einfügen können, scheint unproblematisch, so lange das Einfügen in einer SC-Handlung verknüpft ist.
Auch wenn die Vergangenheit eines Charakters erst festgelegt wird während der Spieler in der Rolle des Charakter davon berichtet, muss das nicht der Immersion schaden.
Ich glaube, wenn diese Handlungen ihren Bezug zueinander verlieren, kann ein Bruch zwischen Spieler und Charakter entstehen, z.B. "In der Menge steht ganz vorne ein komisch aussehender Typ. Über den mache ich mich lustig." vs. "Ich mache mich über den komisch aussehenden Typen ganz vorne lustig."
Möglicher Weise liegt der Unterschied darin: Im ersten Fall versucht der Spieler aktiv, ein Bild vor seinem geistigen Auge zu formen, wofür er seine Rolle verlassen muss. Im zweiten Fall formt sich das Bild direkt aus dem Unterbewusstsein des Spielers und greift dann einfach innerhalb seiner Rolle darauf zu.
Einen Zweitcharakter zu spielen, scheint wiederum fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Andererseits stört es mich keineswegs in meiner Immersion nicht, wenn ich sage, dass mein Pferd langsamer wird und schnaubt statt dass "ich" anhalte. Möglicher Weise liegt das einfach daran, dass Pferd und Charakter eine handelnde Einheit bilden, weil sie gemeinsam agieren. Der Charakter bremst das Pferd und das Pferd hält an.
Nur wo hört diese Einheit auf und wo fangen Immersionsstörungen an? Einfach dort, wo der SC nicht mehr in irgendeiner Form als Werkzeug eingebunden wird sondern Elemente der Spielwelt ohne den Umweg über den SC manipuliert werden?
Es scheint mir so. "Ich streite mich mit dem Gardisten und als er böse wird und mich Richtung Stadttor schleift, beschimpfe ich ihn" wirkt auf mich immersionsfördernd. "Ich streite mich mit dem Gardisten. Er wird böse und schleift mich Richtung Stadttor, während ich ihn beschimpfe" wirkt auf mich eher immersionsstörend.
Liegt es wirklich einfach daran, dass Konditionalsätze eine andere Wirkung ausstrahlen als direkte Handlungen?
Wie schnell darf man den Charakter wechseln, um sich ständig in Immersion zu befinden? Darf man in auf Immersion abzielendem Spiel jede Szene den Charakter wechseln? Egal, wie kurz die einzelnen Szenen sind? Kann man es unter irgendwelchen spielabhängigen Bedingungen immersiv durchziehen, im 5-Sekunden-Takt zwischen zwei Charakteren hin und her zu springen oder verliert man automatisch die Identifikation mit beiden Charakteren? Ist das Sprechen in der ersten Person unbedingte Voraussetzung für Immersion? Ist es möglich, dass ein Spieler ganze Orte beschreibt ohne seine Immersion zu verlieren, indem er einfach wiedergibt, was sein Charakter beim Betrachten der Umgebung denkt ("Was für wundervolle, hoch gewachsene Bäume... und hey, der Stein sieht aus wie Tante Annemarie... toll, es gibt hier sogar nen Fluss in der Nähe, hört sich jedenfalls so an...")?
Wo liegen die Grenzen der Immersion und mit welchen Tricks erreicht man es, Immersionsstörungen zu vermeiden?
(Damit meine ich nicht sowas wie das Einnehmen bewusstseinsverändernder Substanzen ;) )

Liebe Grüße
Seph
Reife des Mannes: das heißt den Ernst wiedergefunden haben, den man als Kind hatte, beim Spiel.

Offline Maarzan

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Re: Grenzen der Immersion?
« Antwort #1 am: 3.06.2007 | 05:20 »
Für mich ist der Knick da, wo ich als Spieler auf der Metaebene in dem Maße in das Spiel eingreife, dass ich echte Verantwortung übernehmen muss, es also nicht nur Nebensächlichkeiten sind, sondern die Folgen gut abgewogen und ggf. abgesprochen werden sollten - zuzusagen Meta von Meta, ich rede nicht nur über Dinge außerhalb meines Charakters, ich muss auch noch darüber selbst reden.

Parallel zu der Führung von eigenen Figuren ist das zu viel.
Ohne eigene Beteiligung, quasi als CoSL, geht das schon etwas besser, insbesondere wenn der Spielleiter in dem Bereich freies Licht gegeben hat und ich nicht mehr in dem Maße auf Wechselwirkungen sondern nur noch über die Qualität meines Sandkastens nachdenken muss.
Storytellertraumatisiert und auf der Suche nach einer kuscheligen Selbsthilferunde ...

Offline Boba Fett

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Re: Grenzen der Immersion?
« Antwort #2 am: 3.06.2007 | 10:19 »
@Sephiron:
Als erstes sollte man Überlegen, wann Immersion gestört wird und wodurch.
Dann kann man schauen, welche Ursachen diese Störfaktoren haben und inwiefern sie mit anderen Elementen (zB Playerempowerment) in Zusammenhang stehen.

Für mich gibt es primär zwei Hauptfaktoren:
1. Spielunterbrechung
Wenn das Spiel gestoppt wird, weil ein Spieler eine Rauchen geht, das Essen kommt, Absprachen in der Meta-Ebene notwendig sind, lange im Regelwerk gesucht wird, diskutiert wird, etc. dann geht die Immersion den Bach runter.

2. Bruch der (empfundenen) Plausibilität
Wenn im Rollenspiel die "Spielrealität" plötzlich ganz anders verhält, als angenommen, dann kommt es auch zu einem Bruch der Plausibilität. Das kann daran liegen, dass plötzlich die Situation ganz anders ist, als angenommen ("Häh, wieso stehe ich denn da, ich dachte ich wäre dort." oder "Wieso ist der Gegner in meinem Rücken, ich hatte ihn doch dort in die Deckung gezwungen.") oder wenn die "Physik" plötzlich anders funktioniert, als angenommen.

So, ersteres hat mit PE nichts zu tun, denn Spielunterbrechungen kann es mit und ohne geben.
Allerdings gibt es PE-Spielweisen (zB Spielleiterloses Spiel), die zwangsweise einen hohen Anteil an Kommunikation auf der Meta-Ebene erfordert - das ist dann nicht besonders Immersionsfördernd.
Zweitens ist auch nicht direkt mit der PE in Zusammenhang. Ein Spielleiter, der alles haarklein erläutert, wird kaum einen Plausibilitätsbruch riskieren, allerdings kann seine überlange Erläuterung (was dann letztendlich eine Unterbrechung des Spielflusses ist) auch immersionshemmend sein. Ein Spielleiter, der alles nur vage beschreibt kann ebenso immersionsstörend sein, weil er nachträglich Dinge definiert, die einem im zuvor gemachten Bild der Situation anders erschienen.
Playerempowerment kann nur funktionieren, wenn man sehr dynamisch bleibt und sich eben kein großes Bild macht, eben weil die Situation durch die Spieler ständig variiert wird (Wo kommt da jetzt der Kronleuchter her?). Wenn man sich auf keine feste Realität einstellen mag, weil die Realität schwankend ist, kommt aber auch nur wenig Immersion zu stande...

Da gilt eben wieder: es lebe der gesunde Menschenverstand und der Weg der goldenen Mitte.
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Offline Fredi der Elch

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Re: Grenzen der Immersion?
« Antwort #3 am: 3.06.2007 | 11:00 »
Das Hauptproblem ist hier, dass nicht alle unter "Immersion" das Gleiche verstehen. Wir habe das schon ausgiebig versucht zu klären, leider ohne Erfolg:
[Offen – Psychologisch] Immersion als (Auto-)Suggestion
[Offen] Weitere Versuche Immersion zu fassen
[Offen] Immersion - Der Klebstoff des Rollenspiels?
Immersion vs. Identifikation
[PtA]"Immersion" und kreatives Miteinander als Spielziel

Bevor man also über das Thema sinnvoll reden kann, musst du erst einmal etwas genauer klären, was du bezogen auf diesen Thread mit Immersion meinst, sonst reden wir hier nur aneinander vorbei.
Where is the fun at? - The rules should tell me clearly - And how to get there
- Don't try to make me feel like I live there, make me care about it. -

Zitat von: 1of3
D&D kann immerhin eine Sache gut, auch wenn es ganz viel Ablenkendes enthält: Monster töten. Vampire kann gar nichts.