@Beatboy:
Hmmm... ich sehe nicht wo wir eine Fallunterscheidung brauchen. Die Regeln haben für alle den gleichen Einfluss auf den Vorstellungsraum, wenn sie beachtet werden. Egal, ob sie die Regeln absolut oder optional oder rollenspielerisch oder wie auch immer sehen. Wenn ich sie ignoriere, brauche ich mich nicht mit ihnen zu beschäftigen. Aber wenn ich sie beachte, ist der Einfluss doch gleich, oder nicht? Übrigens: ich selbst spiele in einer Gruppe, in der Story deutlich vor Regeln geht. Es gibt nur wenige Momente, wo Regeln unbedingt beachtet werden müssen. Aber egal ob die Regeln unbedingt beachtet werden oder nicht: ich habe nur zwei Optionen. Entweder ich spiele frei Schnauze oder nach (irgendeiner) Regel. In letzterem Falle befinden wir uns in dieser Diskussion, im ersteren Falle nicht. Oder?
Der Kinofilm des Vorabend schlägt sich überhaupt nicht in den Regeln nieder, die Vision des Autors aber schon.
Nunja, der Kinofilm des Vorabends schlägt sich womöglich in dem Vorstellungsraum nieder. DAS hatte ich gemeint. War aber blöd von mir ausgedrückt. Dafür meine Entschuldigung.
Bitte nenn mir mal nur ein Beispiel, wo ein Rollenspielentwickler eine Vision von einem Spiel hatte und diese in keiner Weise durch die Regeln unterstützt hat. Das gibt es nicht, denn die Spielregeln sind (neben einer ganzen Reihe von anderen Spielkomponenten) ein unmittelbarer Ausdruck der Vision.
Ich sprach nicht von den Regeln, sondern vom
Gebrauch der Regeln. Also die Regeln, die tatsächlich zum Einsatz kommen, können einer ganz anderen Vision folgen. Beispiel: wir haben etwa zwei Jahre lang mit DSA1-Regeln Hard-Sci-Fi gespielt. Das hat wohl kaum der Vision des Regelbastlers entsprochen. Dabei haben wir die Regeln wohlbemerkt nicht verändert! Meinst du, die Vision eines Regelbauers macht sich über die Regeln im Vorstellungsraum bemerkbar? Durchaus möglich. Ich glaube zwar nicht, dass wir damals bei unserer DSA-SciFi-Kampagne viel davon gemerkt haben, aber über den Gebrauch der Regeln kann das schon passiert sein. Insofern stimme ich dir zu. Okay.
Wenn jemand die Vision für ein Universalrollenspiel hat, dann sollten auch Regeln vorhanden sein, die das ermöglichen. Aus diesem Grund sind Spiele, die (Teil-)Visionen haben ohne Regeln dafür zu liefern in diesem Thema eigentlich gar nicht betrachtungswürdig. Man erkennt daran aber, dass Visionen einen mächtigeren Einfluss auf die Fiktion haben als Regeln, weil die Regeln nur ein Teil der Komponenten mit Fiktionseinfluss darstellen, die sich durch die Vision in einem Spieldesign manifestiert.
Aaaaaaahhhh... jetzt verstehe ich was du meinst. Nein, da bin ich anderer Ansicht als Du. Wenn jemand eine Vision von einem Rollenspiel hat, dann kann es sein, dass
a) er Murks baut und die Regeln eine ganz andere Vision unterstützen. In dem Fall hat seine Vision kaum / keinen Einfluss auf die Regeln und damit auf den Vorstellungsraum, oder
b) ein Regelwerk sehr allgemein gehalten und absichtlich hintergrundfrei / hintergrundarm ist. In diesem Falle hat die Vision Einfluss auf die Regeln. Aber eben wenig.
c) zwei Personen mit der selben Vision unterschiedliche Regelwerke mit unterschiedlichem Einfluss auf den Vorstellungsraum bauen können. Hier fließt das handwerkliche Geschick und der Hintergrund des Bauers ein.
d) die Vision sich nicht nur über die Regeln, sondern auch auf andere Art und Weise in den Vorstellungsraum einbringen kann. Interessiert hat den Threadersteller aber nur der Bereich "Regeln". Und da wir ja nur diesen Teil untersuchen wollen, kommen wir wieder auf den Bereich der Vision zurück, der von den Regeln unterstützt wird, und das kann (siehe a) ja auch von der Vision differieren.
Deine Aufzählung von Theorien oben ist sehr interessant, aber sollte es nicht zu jedem Punkt zumindest eine bekräftende (wissenschaftliche) Beobachtung geben. Wo sind die Überlegungen/Beobachtungen/Beispiele, die Dich zu den 9 Punkten führen?
Grins. Ich hab ja absichtlich gesagt, dass ich die Theorien mal in den Raum werfe. Das tat ich, weil ich den Eindruck hatte, dass wir uns vom Grundthema entfernen. Einen Teil der o.g. Punkte hab ich ja schon begründet. Aber ich will versuchen die Punkte etwas mit Leben zu füllen.
- Unterschiedliche Regeln schränken die Möglichkeiten der Fiktion unterschiedlich stark ein
Rolemaster legt im Kampf recht genau fest, was bei einem Treffer passiert. Es ist leicht vorauszusagen, welchen Einfluss ein Treffer auf den gemeinsamen Vorstellungsraum hat, weil dies ja ganz konkret im Regelwerk festgelegt ist. Ich habe als Spieler, der sich an die Regeln hält hier so gut wie keinen Spielraum. Der eine Spieler stellt sich einen bösen Schultertreffer vor, der andere glaubt, er wurde am Bein verwundet. Hier habe ich alle Freiheiten. Rolemaster bietet solche Tabellen für Kampf, Magie, Handwerkskunst, etc. an. Rolemaster denkt in Klassen und erlaubt es kum, eigene Vorstellungen bei der Charaktererschaffung zu berücksichtigen. etc. Im Gegensatz dazu muss ich mir bei der nWod fast alle Auswirkungen eines Treffers im Kampf selbst vorstellen. Würfe werden zum größten Teil interpretiert, man bekommt nur einen Erfolgsgrad mitgeteilt. Der Unterschied auf die Einschränkungen im Vorstellungsraum ist hier glaube ich verständlich. Q.E.D.
- je konkreter die Regel, desto stärker der Einfluss auf die Fiktion
Hier kann ich wieder auf den Vergleich Rolemaster / nWod verweisen. Man vergleiche nur die konkreten Kampfregeln eines Rolemaster mit der abstrakten Methode einer nWod. Oder die Regelbestimmte Charaktererschaffung eines WHFRP mit den Verwirklichungsmöglichkeiten eines GURPS. Q.E.D.
- "Was-Regeln" schränken Fiktion immer ein, sofern sie nicht ausdrücklich alles erlauben.
Erstelle ich ein Spiel, in dem das Magie verboten ist, so fließt diese auch nicht in den Vorstellungsraum ein. "Wie-Regeln" verbieten nichts absolut, sondern nur unter bestimmten Voraussetzung oder verändern Chancen. Eine Regel, die Magie ausdrücklich erlaubt wird ebenfalls den gesamten Vorstellungsraum massiv beeinträchtigen. Hmmm... ist wahrscheinlich nur ein Gefühl von mir. Für mich fühlen sich "Was"-Regeln immer einschränkend an. Ist aber sicher diskussionswürdig.
- Regelwerke, die fokusiert sind, enthalten meist mehr "was-Regeln" und sind daher einschneidender.
Ich denke, hier lieg' ich komplett daneben. Es war spät
- es sind Regeln denkbar, welche die Fiktion wenig bis fast gar nicht einschränken
Oh ja, dahinter steh ich. Es gibt Regelwerke, die keine Skilliste aufführen, stattdessen werden die Attribute frei vergeben. Z.B. "koch +3", "galaktischer Imperator +5", "Meistermagier +2" etc. Gepaart mit einem offenen und abstrakten Würfelmechanismus sehe ich kaum einschneidende Berührungspunkte mit der Fiktion. Alles ist vorstellbar. Q.E.D.
- Regeln können so beschaffen sein, dass sie die Fiktion in eine gewünschte Richtung lenken
Hier seien die fokusierten Systeme benannt, die sich genau dies zum Ziel gesetzt haben. Das immer wieder im GroFaFo (pardon: Tanelorn) zitierte "muss von den Regeln unterstützt werden" ist genau das. Darüber freuen sich die Rollenspieler sicher mehr als die, die eine Simulation einer Welt erwarten, aber genau darum geht es. Wenn ich die Fiktion düster haben will, dann kann ich die Fiktion nicht den Spielern überlassen, sonst finden die sich eventuell in Schlumpfhausen wieder. Also übernimmt das Regelwerk den Part. Das WHFRP-System unterstützt dies mit wenig Lebenspunkten, einem System für Wahnsinn und Magie, die tödlich sein kann, etc.
- Jeder Würfelwurf und jede Regelanwendung, die nicht ausschließlich auf die Spiel-Organisation beschränkt ist, greift in die Fiktion ein
In jedem Falle einer Regelanwendung bringen die Regeln etwas in die Fiktion ein. Beispiel: der Charakter springt über eine Schlucht und würfelt seine Probe. Stop! Das Bild hält an und das Regelwerk bringt sich in den Vorstellungsraum ein. Je nach dem wie konkret das Regelwerk beschaffen ist legt es nun fest, was geschieht. Erfolg oder nicht? Das hat Einfluss auf den Vorstellungsraum. Immer. Regeln, die hier Erzählrechte vergeben, sind imho Regeln, welche die Spiel-Organisation betreffen.
- Ein Eingreifen der Regeln in die Fiktion muss keine Einschränkung sein. Es kann auch ein "Einbringen" neuer Inhalte sein. In so fern können Regeln gleichberechtigt mit den Spielern Inhalte in den Vorstellungsraum einbringen.
Als Beispiel seien hier die Zufalls-Schatz-Tabellen von D&D genannt. Ein Held findet ein magisches entflammbares Schwert. Wow! Das ist doch mal ein Einbringen in den Vorstellungsraum und eventuell sogar in die Kampagne. Die grauen Zellen des Spielleiters rattern: "verdammt, damit hab ich nicht gerechnet".
- Theoretisch ist auch der umgekehrte Weg möglich. Eine Regel kann aufgrund von Ereignissen im Vorstellungsraum geändert / erweitert / eingeschränkt werden. So wäre z.B. denkbar, dass in GURPS nach dem Entdecken eines Sternentors plötzlich Sci-Fi-Elemente und Regeln in das Spiel Einzug erhalten.
Puh - ein langer Post. Ich hoffe, ich konnte mich verständlich machen. Ich werde jetzt ersteinmal meinen Tennisarm auskurieren und anschließend Rollenspielen. Ohne mir Gedanken über Vorstellungsräume, Fiktion und den Zusammenhang mit den Regeln zu machen