Mondain:
Bitte führ doch mal auf, welche Regelsysteme Du als ausreichend Komplex bewertest
und
welche Regelsysteme Du als nicht ausreichend Komplex bewertest.
Und vielleicht, woran Du diese Komplexität festmachst...
Eine abstrakte Debatte zu führen, bringt uns doch keinen Schritt weiter.
Das Kriterium "Rechnen ist besser" ist doch albern, weil niemand weiss, welche Rechenoperationen in welchen Regelmechaniken Du als Maßstab nimmst.
Wenn Du es aber abstrakt weiterführen möchtest, können wir uns nur auf allgemeine Phrasen zurückziehen. In diesem Fall gilt:
Im Rollenspiel gibt es unterschiedliche Anforderungen seitens der Spieler an das, was Spielregeln leisten sollen.
Dabei muss die Bedingung zutreffen, dass die Spielregeln diese Anforderungen erfüllen muss.
Können die Spielregeln dies nicht, ist das jeweilige Spiel für die betreffenden Spieler nicht geeignet.
[Über diese Regelsysteme brauchen wir dann nicht mehr zu diskutieren.]
Wenn die Spielregeln die Anforderungen hinreichend bedienen, ist Komlexität hinderlich.
Je einfacher und schneller man hinreichend das Ziel erreicht, desto besser.
Je umständlicher der Weg ist, desto mehr behindert er das Wesentliche: Das Erreichen des Ziels.
Im Rollenspiel ist die Aufgabe der Spielregeln, ergebnisoffene Situationen in Resultate umzuwandeln.
Kampfregeln dienen dazu, das Resultat des Konfliktes zu ermitteln. Fertigkeitsproben dienen dazu, das Resultat einer Aktion zu ermitteln.
Je weniger Einzelmaßnahmen umgesetzt werden müssen, und je einfacher diese Maßnahmen sind, desto schneller kommt man an das zu ermittelnde Resultat.
Je überschaubarer die Maßnahmen in Zahl und Komplexität sind, desto eher lassen sich Wahrscheinlichkeiten abwägen und dadurch die Entscheidung seitens der Spieler, etwas zu wagen oder eben zu unterlassen, beschleunigen.
Anmerkungen:
Dies alles sei natürlich unter der Bedingung angenommen, dass alle Möglichkeiten an verschiedenen Spielregelvarianten hinreichend die Aufgabe erfüllen, das zu ermittelnde Resultat sinnvoll zu ermitteln.
Außerdem sei angemerkt, dass die Unterscheidung in Spielregeln wo nicht gerechnet wird oder Spielregeln wo gerechnet wird keinerlei Aussage über die Komplexität der Regeln aussagt.
Bei Berechnungen ist die Anzahl der Rechenschritte und die Schwierigkeit der Rechnungen ein Maß.
Und dieses Maß muss dann gegen die Komplixität der Spielregeln ohne Berechnungen (zB bei Ermittlung über Tabellen die Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit, sowie die Verschachtelungstiefe der Tabellen) verglichen werden. Die schlichte Aussage "gerechnet ist besser" ist genauso schlicht ungenügend.
Kann die Abwicklungsdauer der Resultatsermittlung reduziert werden, dann bleibt mehr Zeit für das, was viele Spieler als die Kernfunktion im Rollenspiel ansehen: Das Ausspielen einer Rolle (Charakter), das Erleben von Ereignissen (Abenteuer) in einer fiktiven Welt.
Natürlich kann der Vorgang der Resultatsermittlung als Selbstzweck auch als wesentlicher Bestandteil im Abenteuer angesehen werden - viele Spieler werten die Abwicklung des Kampfes als wichtigen Bestandteil - aber auch hier gilt, dass reduzierbare Abwicklungsmaßnahmen (wie zum Beispiel den separaten Verteidigungswurf [Parade] in einer Nahkampfsequenz) als überflüssig angesehen werden - der Weg ist hier also auch nicht das Ziel sondern Mittel zum Zweck.
Anmerkung:
Wenn also eine Spielregel, die gestellten Anforderungen entspricht, durch zusätzliche Komplexität auch einen qualitativen Gewinn mit sich bringen, dann muss sie etwas bewirken, das unabhängig von der in sie gestellten Aufgabe ist und von den jeweiligen Spielern als zusätzliche Bereicherung empfunden wird.
Dies könnte beispielsweise eine Erweiterungen der dramaturgischen Möglichkeiten sein, oder die Ermöglichung der Einflußnahme von einzelnen beteiligten Spielern in den Verlauf der Resultat-Ermittlung.
Wenn es also unnötige Verkomplizierungen existieren, ist immer zu prüfen, ob diese eine zusätzliche Bereicherung [subjektives Kriterium!!!] darstellen. Ist das nicht der Fall, erweist sich die Spielregel als unnötig komplex.
Außerdem sind subjektive Kriterien kaum hinreichende Bewertungsgrundlagen für eine Qualitätsprüfung eines Rollenspiels.
Dazu kommt, dass einfache Regeln schneller erlernt werden können und
Problemstellungen in einfachen Regeln schneller durchschaut und korrigiert werden können.
Eine Vergrößerung des Umfangs der Spielwerte eines Charakters hat in der Regel auch keinesfalls etwas mit der Vielfalt der möglichen Charakterrollen zu tun. Regelmechaniken wie Runequest, die auf dem W100 basieren, oder Hero bzw. GURPS, das eine unheimliche Vielfalt an Optionen bei Fertigkeiten, Vor- und Nachteilen besitzt führt auch niemals dazu, dass die Spieler andere Charaktere spielen, als sie dies in anderen - gleichwertigen Spielsystemen machen würden (hier müsste man beispielsweise GURPS mit BESM oder Savage Worlds vergleichen).
Denn die Auswahl der Charakterrollen ist meistens nicht vom Angebot der Optionen in den Spielregeln abhängig, sondern wird durch die Inspiration geweckt, die die jeweilige Spielwelt den Spielern liefert.
Hier mag es sicherlich Systeme geben, bei denen man ggf. die Auswahl einschränken muss, zum Beispiel, weil die Charaktere nicht generisch erschaffen werden (Gurps, SW) sondern über einen Klassen- und Rassenauswahlkatalog zusammengestellt werden. Dies ist aber eine Frage der erfüllung der hinreichenden Anforderungen, die die jeweiligen Spieler festlegen und hat keinen Zusammenhang mit der eigentlichen Komplexität der Spielregeln zu tun.
Bleibt die realistische Gestaltung von Kampfszenen
Da stelle ich die These auf, dass eine realistische und vor allem plastische Gestaltung von Kampfszenen überhaupt nicht möglich ist - und wenn, dann würde allenfalls das Rollenspielsystem Rolemaster (durch seine Resultatsermittlung über Waffen und Rüstungsabhängigen Tabellen) auch nur annähernd in die Nähe dessen kommen, was man als "realistisch" oder "plausibel" bezeichnen könnte.
Ironischerweise zeigt die Geschichte aber, das Rolemaster als Rollenspielsystem mit durchaus komplex empfundener Struktur (wobei die Grundmechaniken auch recht überschaubar sind) nicht von Erfolg gekrönt ist - Das Regelwerk fristet seit bestimmt 15 Jahren ein Schattendasein und war niemals eines der "Hotseller".
Also scheint die hinreichend plausible Gestaltung von Kämpfen kein Kriterium zu sein, das jemals eine Aussage über Qualität oder Erfolg eines Rollenspiels erlaubt hätte.
Ich lasse diese Schlußfolgerungen sehr gern wiederlegen!
Außerdem würde ich mich freuen, über konkretere Angaben (wie oben aufgefordert) zu diskutieren.
Wünsche einen guten Abend!
Boba Fett