Ganz ehrlich: Spielercharaktere können nicht nur sterben, sie müssen es sogar - wenn die Situation und die Regeln es so vorsehen. Ansonsten ist die komplette Spielwelt unrealistisch - wenn ein "Held" nicht sterben kann, wieso ist dann nicht jeder ein Held und damit unsterblich? Wozu kann man einen SC denn dann verwunden?
Wenn ein SC nicht sterben kann/darf/soll/whatever, dann ist doch aus vielen Situationen gleich von vornherein die Spannung raus. Kämpfe gewinnt man immer (auch wenn man alleine gegen 3867 Orks antritt), aus Geiselsituationen kann man gefahrlos entkommen und selbst den Henker braucht man nicht mehr fürchten... Laaaaaaaaaaaaaangweilig!
Genau das ist bei mir eingetreten.
Ich habe sehr lange -- viel zu lange -- auch in harten Settings wie Cyberpunk meinen Spielern gewissermaßen die Garantie gegeben, dass ihre Charaktere nicht sterben können, außer es treten zwei Bedingungen ein: 1) es ist dramatisch passend (was immer von allen Spielern und mir ausdiskutiert wurde) UND 2) der Spieler ist einverstanden damit. Somit verwandelte ich, und das ist tatsächlich niemand anderes Schuld als meine, Cyberpunk und SR in fluffige Hongkong-Action-Settings, in denen die Charaktere effektiv Immunität vor dem Sterben besaßen.
Natürlich hatten sie mit Folgen zu kämpfen: Krankenhauskosten, Verlust von Menschlichkeit durch erforderliche Operationen, manchmal verloren sie hunderttausende Credits/Nuyen. Dies erschien mir damals als passend hart. Mir war tatsächlich nicht bewußt, dass diese Art des Spiels sich durch alle anderen Spielansätze zog, die wir so hatten. Während quasi-Unsterblichkeit in TFOS oder Hongkong-Action noch völlig in Ordnung ging, machte sie alle anderen von uns so gespielten Welten (SR, Cyberpunk, Unknown Armies, etc) zu einem Zerrbild von eben genau TFOS oder HK-Action. Die genrebestimmenden Elemente waren ein einziger großer, bauschiger Fluff-Ball, unerheblich, nur ein Gschmäckle, aber kein Geschmack.
Die Charaktere meiner Spieler nahmen es mit Golems auf, mit ganzen Hundertschaften von SWAT-Teams, und ja, sie besiegten sie, und wenn es mal nicht klappte, wanderten sie halt ins Gefängnis -- wo es natürlich nicht lange dauerte, bis sie wieder ausbrechen konnten. Das alles natürlich ohne einen einzigen Würfelwurf, oder nur ganz vereinzelt, aber dann NIE mit drohenden schwerwiegenden Folgen.
Es war, wie ich vorher schon mal geschrieben habe, die große Norbert-Show, mit mir als wohlwollendem Erzählonkel und Superstar, und meinen Spielern als gönnerhaft ermunterten Nebendarstellern. Ich hatte alles, nein, ALLES, in der Hand, kümmerte mich um einen Scheißdreck, was Regeln anging (es gab nur eine: "Norbert rulez") und eskalierte in offensichtlicher Abwesenheit irgendwelcher ernsthafter Risiken (Norbert: "Ooooh, du bist tödlich verwundet. Du schaffst es knapp ins Krankenhaus. Wir spulen vor, sechs Wochen: Du bist wieder zuhause, deine Verletzungs ist vollständig ausgeheilt. AAAABER: Du schuldest Doc Waggon zweihunderttausend Nuyen!" -- Spieler: "Ach Mann, das ist echt fies!") das Geschehen immer mehr, bis es nicht mehr SR oder Cyberpunk war, sondern
Norberts Hausmarke, Geschmack Cyberpunk.
Mit den Folgen dieses Angangs habe ich jetzt zu kämpfen. Tatsächlich bin ich so weit, dass ich, nach 25 Jahren Spielleiten, nicht mehr leiten werde, wenn ich wieder ein Erzählspiel machen soll.