Es ist sicherlich nicht insofern „zeitgemäß“, dass die heutigen Regelwerke einfach eine schneller Abwicklung ermöglichen, was möglicherweise auch einen Trend dastellt.
Das mit der "schnelleren Abwicklung" ist eine ILLUSION!
Traveller, OD&D, Gamma World, usw. haben/hatten eine VERDAMMT SCHNELLE Abwicklung der Regelmechnismen im Spiel. - Die meisten Mechanismen bezogen sich auf genau EINEN oder auf nur wenige unterschiedliche Muster, die man wieder und wieder auffinden konnte und somit auch leicht für eigene Ad-Hoc-Regelungen weiterspinnen konnte.
Dagegen gibt es aktuelle, "moderne" Rollenspiele wie das Western-Rollenspiel "Aces & Eights" aus dem Hackmaster-Verlagshaus, welches das LAHMARSCHIGSTE, GEKRAMPFTESTE und auf UNSTIMMIGSTE Weise ZUFALLSINTENSIVSTE Kampfregelsystem bietet, welches ich je in einem Western-Rollenspiel erlebt habe.
Deadlands Classic ist verglichen mit Aces&Eights selbst unter Verwendung ALLER Regeln, unter Auslassung aller Marshal's Shortcuts, geradezu RASANT, ELEGANT und kaum zufallsbestimmt!
Wer das Perry Rhodan Rollenspiel mal im Spiel erlebt hat, weiß, daß "Midgard in Space" NICHT zutrifft, da Midgard NIEMALS so UMSTÄNDLICH und LAHMARSCHIG und ATMOSPHÄRELOS (ja, ja, ist ja "in Space", ich weiß!) war, wie das PR Rollenspiel. Ein Regelmonster, wie man es Anfang und Mitte der Achtziger noch jemandem hätte andrehen können, heute aber ein regeltechnisches Relikt für das Deutsche Museum "Spätentwickler überholter Ingenieurstechnik".
Und aktuell zieren sich die Macher von Athanor noch ein paar Fakten auf den Tisch zu legen, doch ihre Aussagen lesen sich so, als würden sie das nächste "realistischste" Fantasy-Kulturen-Mix-Max-Heartbreaker-Rollenspiel mit Regelwust zum Umfallen erstellen wollen.
Nachdem so VIELE Leute mit DSA4.1 augenscheinlich so zufrieden sind, daß sie die Produkte in MASSEN kaufen, scheint es heutzutage durchaus BEDARF und KUNDENINTERESSE für umständliche, unhandliche REGELMONSTER zu geben.
Einfache, klar formulierte, sofort einleuchtende, verständliche Regelwerke haben es als "Vollwert-Rollenspiele" (nicht solche für den "keinen Spiel-Hunger zwischendurch") eher SCHWER hierzulande Akzeptanz zu finden.
Es gilt die bescheuerte Ansicht, daß man, wenn irgendwo mehr drin ist, auch mehr MACHEN kann. - Stimmt natürlich nicht. Aber wenn sich jemand ein "Haupt-Rollenspiel" (den Main Battle Tank der Pen&Paper-Produkte) zulegen möchte, dann nimmt er offensichtlich SEHR GERNE die Schwergewichte - auch wenn sie extrem viel mehr Aufwand zum Erschließen, Vorbereiten, und beim Spielen abverlangen.
Früher, zu den Zeiten als Rolemaster seine Anfänge nahm als AD&D-Hausregel/Alternativ-Regelsammlung von ein paar SPI-geprägten Tabellen-Freunden (und AD&D hat AUCH seine nicht geringe Anzahl an Tabellen - und oft kaum nachvoll ziehbar unterschiedlich strukturierter Tabellen für an sich recht ähnliche Dinge), da wollten die Rollenspieler MEHR DETAILS!
Das war die Zeit, in der man vom SELBSTERSCHAFFEN EIGENER Spielwelten als SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT eines JEDEN Spielleiters abkam, und in der man mehr Kauf-Produkte überhaupt im ANGEBOT hatte (vorher gab es so wenig, daß man sich vieles selbst erstellen MUSSTE).
Genauso bei den Regeln. JEDER hatte seine Regelwerke "verhausregelt". - Das erste, was man fragte, wenn man bei jemand anderem in dessen Kampagne (= die Spielwelt, wie sie der jeweilige Spielleiter als SEINE PERSÖNLICHE Interpretation, als seinen Charakter leitete) mitspielen wollte, war, nach was für Hausregeln verfahren werden sollte. Das war eine NÖTIGE Frage und eine, auf die man IMMER eine Antwort erhielt, weil einfach JEDER Spielleiter seine Rollenspiele mit Hausregeln gespielt hatte.
Und um Hausregeln erstellen zu können, MUSS ein Spielleiter das Original-Regelwerk durchgearbeitet haben, sich dazu Gedanken gemacht haben, und es dann auf die Bedürfnisse SEINER GRUPPE(N) zugeschnitten haben. - Das war NORMAL. Das machte JEDER.
Das Spielen von Regelsystemen "ablesend, wie von einem Skript" war ausgesprochen unüblich und galt als ein Zeichen blutiger Anfänger.
Rolemaster KOMMT aus der Zeit der SELBERMACHER und ist damals, als wir Rolemaster und Spacemaster gespielt hatten, auch stets als Spiel mit BAUKASTEN-Charakter verstanden worden. (Wie auch andere Rollenspiele - immerhin haben wir uns aus vielen Spielen unterschiedlicher Elemente (Regeln und/oder Setting) bedient beim Bauen unserer "selbstgemachten Rollenspiele". )
Die Frage ist ob es heute noch eine Berechtigung hat, also seine eigene Nische, die nicht nur von Nostalgikern bevölkert ist .
Die Nostalgiker haben ein Problem, welches sich zu den Glanzzeiten der jeweiligen Spiele NICHT stellte: Es GAB KAUM WAS ANDERES, das einen echten, konkurrenzfähigen Ansatz dargestellt hätte.
Das verklärt den Blick zurück schon ziemlich.
Es gibt uralte Entwicklungen, die rollenspielregeltechnisch Das Rad (tm) oder Die Dampfmaschine (tm) darstellen, die man in der "darquen" Zeit des Geschichtenerzählens bzw. den erzählten Geschichten Lauschens fast vergessen hätte, und die heute rückblickend umso beeindruckender wirken, eben WEIL sie einerseits ALT sind und andererseits SOLIDE FUNKTIONIEREN. - Das ist wie ein mittelalterlicher Langbogen, gefertigt ohne moderne Materialien, wie z.B. Fiberglas, das beim modernen "Langbogen"-Schießen einfach für bessere Bogeneigenschaften sorgt. Der mit traditionellen Materialien gefertigte Bogen fühlt sich einfach ECHTER an. Man SPÜRT die Handwerks-KUNST des Machers.
So auch bei den heute legendär verklärten Rollenspielen.
Die UNMENGEN an öden D&D-like-Fantasy-Heartbreakern oder den späteren, hiesigen DSA-artigen-Fantasy-Heartbreakern oder den oWoD-artigen-Darquen-Heartbreakern, usw. hat man nämlich gnädigerweise VERGESSEN!
Meine Eigenschöpfungen bleiben auch besser als Leichen in meinem Keller beerdigt. Die muß ich wirkilch NIE MEHR ans Tageslicht bringen.
Nostalgie ist ein recht komplexes, sehr individuell aus den Erfahrungen, der Historie, und den WÜNSCHEN des Einzelnen geprägtes Empfinden gegenüber z.B. einem Rollenspielprodukt.
Wenn man sich einen Haufen Leute der "Old School"-Richtung nimmt, und sie zu ihren Gründen und ihren Gefühlen bezüglich der Spiele, die sie so spielen, befragt, dann bekommt man jede Menge GRUNDVERSCHIEDENER Aussagen. - Es gibt einfach NICHT "Den Nostalgie-Spieler (tm)" und nicht "Den Retro-Spieler (tm)" oder so etwas.
Manch ein Rollenspieler der "späten Geburt" ENTDECKT bei seiner Reise im Rollenspiel-Hobby erst Jahrzehnte nach der letzten Auflage eines Produkts, dieses für sich als NEUES Produkt. - Ich bekomme das ständig bei Deadlands Classic mit. Das ist schon LANGE nicht mehr im Druck, wird aber Monat für Monat von neuen, JUNGEN Rollenspielern entdeckt und mit Interesse, ja sogar mit Begeisterung aufgenommen.
Es gibt einfach gewisse Produkte, die SO GUT sind, daß sie auch noch "über ihre Zeit hinaus" Rollenspieler begeistern und für sich als Neu-Spieler gewinnen können.
Deadlands, Castle Falkenstein, Classic Traveller, ... - und warum nicht auch Rolemaster?