Ich finde nicht unbedingt, dass irgendwelche bestimmten Regeldesign-Stile (Tabellensystem, Simulationismus, ausgewürfelte Charaktere, Punktekaufsysteme, Balancing-Bemühungen) an sich "unzeitgemäß" sein können. Wichtig finde ich aber, dass ein System "weiß", was es tut und warum es das tut, dass es vermittelt, welche Spielstile es unterstützt - und dass einzelne Elemente, die sich mit dem Rest des Systems beißen, auf dieser Basis erkannt und angepasst werden.
In den meisten Indie-Systemen wird sehr viel Gewicht auf die Vermittlung davon gelegt, welche Spielstile unterstützt werden. PTA unterstützt z.B. explizit einen narrativen Stil und vermittelt ganz klar, dass nicht eine sekundäre Wirklichkeit durch die Regeln simuliert werden soll, sondern eine bestimmte Art von Geschichte. REIGN betreibt eigentlich eine recht klassische Mischung aus grob gerastertem Simulationismus und Narrativismus und erklärt dabei einfach sehr genau, wie die Regeln daraufhin konzipiert sind, ein solches Spiel möglichst intuitiv und Widerstandsfrei zu ermöglichen.
Auch bei den Mainstream-Systemen setzt sich diese Tendenz offenbar langsam durch: D&D4 ist, nach allem was man hört, ein "gamistisches" Spiel, dass sich auch ganz bewusst als solches verkauft.
Andere System versagen in meinen Augen dagegen, wenn es darum geht, Regeln und Spielstil in Einklang miteinander zu bringen: DSA4 ist da das drastischste Beispiel. Und das BRP bei Cthulhu leistet in vielen Bereichen auch nicht das, was für Cthulhu eigentlich passend wäre (immerhin ist es aber so einfach, dass es sich extrem leicht modifizieren lässt).
Ich empfinde ein System dann als "zeitgemäß", wenn man merkt, dass die Macher sich zumindest ein wenig von vergangenen Debatten zur Rollenspieltheorie inspirieren lassen haben und sich folgerichtig gefragt haben: Was will ich für ein System machen? Was soll es können, was kann es nicht können? Welche Regeln sollten den Kern bilden, welche optional sein? Wenn die Macher das dann noch vernünftig vermittelt kriegen, sodass ich mir nicht ein System kaufe, das für Spielstile gebaut ist, die mich nicht interessieren, dann bin ich zufrieden. Insofern finde ich D&D4 hervorragend, weil mir klar vermittelt worden ist, dass es ein Spiel ist, das mich nicht interessiert
Was Rolemaster betrifft: Ich habe nur die deutsche Laurin-Ausgabe mal besessen. Als einen typischen "unzeitgemäßen Fehler" würde ich da zum Beispiel empfinden, dass man zweiseitige Schadenstabellen hat, wo eine halbe Seite genügen würde, um Ergebnisse aufzulisten, die sich tatsächlich in relevanter Weise unterscheiden. Wenn ich sechs Zeilen untereinander habe, in denen "5,5,6,6,6,7" steht, reicht vielleicht auch eine mit "6". So etwas erscheint mir schlecht durchdacht, weil es nicht auf die praktische Verwendung der Tabelle im Spiel hin gestaltet ist. Offenbar geht es einfach nur darum, zweiseitige Waffenschadenstabellen zu haben, um auf diese Weise eine Komplexität vorzugeben, die aber im Spiel überhaupt nicht als solche zur Wirkung kommt, weil es gerade bei RM egaler nicht sein könnte, ob man 5 oder 7 Treffer kassiert.