Hallo Markus,
ich weiss nicht, ob Du hier in erster Linie Deinem begründeten Ärger Luft machen willst, oder ob Du auch Lösungsvorschläge durchdiskutieren willst. Vor ein paar Monaten habe ich ernsthaft in Erwägung gezogen, mal wieder ein "Rollenspiel" aus dem Hause White Wolf in die Hände zu nehmen. Jedenfalls danke ich dir für die Warnung, die meinen Befürchtungen Auftrieb gibt, dass die nWoD am Tisch doch nur eine oWoD in grün ist. (*Tümpelritter schiebt seine nWoD-Bücher wieder weiter nach hinten in den Schrank*)
Soweit ich Deine Ausführungen bisher verstehe, stören Dich vor allem die in der WoD angelegten Anreize zum Solospiel und der Umstand, dass alle Aktionen der Spieler beliebig sind, da sie unvorhersehbare Folgen haben. Außerdem nerven - wie schon in der oWoD - übermächtige NSCs.
Ich bin mir nicht sicher, ob Dir meine Überlegungen weiterhelfen, aber schaden kann es - glaube ich - nicht, wenn ich sie Dir mal vorstelle.
Als ich im Sommer über eine Kampagne in der nWoD nachgedacht habe, drehten sich meine Gedanken um die Frage, ob nicht das XP-System (das fast komplett aus der oWoD übernommen wurde) an diesem Schlamassel mitschuld ist. Das XP-System belohnt dabeisitzen, zuhören und nichtstun ("lernen"), anstatt zielgerichtetes Handeln der Charaktere. Meine Überlegung war es, den Spielern von vorne herein zu sagen, dass es nur XP für die erfolgreiche (gemeinsame) Bewältigung von Aufgaben gibt. Das setzt natürlich voraus, dass die Spieler wenigstens einen kleinen Funken von einem Rollenspieler in sich tragen, ihre Charaktere verbessern/verstärken wollen und sich nicht nur fürs Verzählches treffen.
Zu den Aufgaben: ich wollte zwischen individuellen Zielen, Gruppenquests und NSC-Missionen unterscheiden.
Konkreter sahen meine Überlegungen so aus:
Individuelle Ziele - um dem individuellen Grusel gerecht zu werden.
Der Sinn des Ganzen ist, jedem Spieler seine individuelle Story zu geben, die aus ihm selbst kommt (also nicht aufgedrückt ist), und die anderen SCs einbezieht.
Jeder Spieler entwirft sich eigene Ziele. Danach skizziert er die Hindernisse, die ihn davon abhalten, seine Ziele zu erreichen. Das alles entwirft er alleine und teilt es der SL mit, oder entwirft es zusammen mit der SL.
Die Hindernisse müssen in Spielszenen überwunden werden. Hier kommen jetzt die anderen Spieler ins Spiel: die Spielszenen sollen vom betreffenden Spieler und der SL so angelegt werden, dass die Fertigkeiten/Kenntnisse/Skills usw. der anderen SCs gebraucht werden. Dazu muss man natürlich vorher was über die anderen Charaktere wissen.
Jeder Charakter, der sich an der Erreichung eines Ziels beteiligt, erhält die XP, wernn das Ziel erreicht wurde. Der Gag ist natürlich an der Sache, dass die anderen Spieler+Charaktere das individuelle Ziel ihres Mitspielers+Gefährtencharakters nicht kennen, aber notwendigerweise im Spielverlauf erfahren. Das kommt diesem "Mein Charakter hat ein dunkles Geheimnis, höhöhö"-Bedürfnis entgegen, das ich in einigen WoD-Gruppen beobachtet habe.
(Wer hier noch auf gut gemeintes Charakterspiel mit Intrigen steht, kann sich überlegen, ob es XP gibt, wenn andere Spieler mit ihren Charakteren versuchen, das Ziel zu sabotieren, weil es dem Konzept des eigenen Charakters entgegensteht. Aber meiner Meinung nach führt das nur zu den üblichen WoD Dysfunktionalitäten...)
Die Gruppenqueste - um den Zusammenhalt zu fördern:
Die Gruppenquest ist der Anker, der die ganze Gruppe zusammenhält, gewissermaßen das Kampagnenziel. Das grundlegende Ziel wird mit der Gruppe gemeinsam ausgemacht. Jeder Spieler teilt dem SC ein Hindernis / eine Szene mit, in der er mit seinem Charakter glänzen will, und eine Szene, in der ein (ausgeloster) anderer Charakter glänzen soll.
Schließlich die NSC-Missionen:
Grob gesprochen die üblichen Hol- und Bringaufträge von allmächtigen NSCs mit unklaren Zielen und düsteren Geheimnissen. Die sind vor allem für die Spieler da, die anfangs noch Schwierigkeiten haben, sich selbst Ziele zu setzen, und können von der Gruppe angenommen oder abgelehnt werden. Die Ziele/Siegbedingungen und Hindernisse legt hier der SL fest. (Wer unbedingt ein WW-Politikspielchen spielen will, kann dann Sympathie- und Antipathiepunkte vergeben, je nachdem, für/gegen welchen NSC die Gruppe gearbeitet hat. Die Sympatiepunkte kann man dann vielleicht in Gefallen umtauschen?)
Pi mal Daumen gibt es für je 3 überwundene Hindernisse (Hindernisszenen) vor einem Ziel 1 XP bei Zielerreichung. Eine Hinderniszene mit Kampf/Lebensgefahr ersetzt 2 "normale" Hindernisse. (Ob man als Hindernisszenen auch Szenen gelten lässt, die nur verlabert werden, bleibt den Gruppen überlassen. Ich persönlich bin kein Freund von Entscheidungen am Würfel vorbei, aber jeder hat da so seine Geschmäcker...) Außerdem bestimmt die Anzahl der beteiligten Mitspieler, wieviel XP am ende vergeben werden: + 1 XP pro beteiligtem Mitspieler.
Der Witz ist, dass man bei den Hindernissen auch Scheitern kann - und Scheitern zählt nicht als Überwinden. Für die spieler besteht also der tatsächliche Grusel, scheitern zu können. (Hier ist das Ganze noch nicht ausgereift: kann man nach dem Scheitern bei einem Hindernis das Gesamtziel trotzdem erreichen? Usw.)
Durch diese 3 Wege hoffte ich, den individuellen Spielerneigungen einen Platz zu geben, aber gleichzeitig in der Mechanik der XP-Vergabe einen Anreiz zur Zusammenarbeit zu liefern. Es erfordert natürlich ein paar (im umgangssprachlichen Sinne) Metagaming-Elemente, z.B. dass man eine Regelung abspricht, wer an einem bestimmten Spielhabend wieviel Screentime hat und seine individuellen Ziele vorantreiben kann.
Das ganze Mechanische mal in ein C:tL-Beispiel übersetzt (bei dem ich den beautiful madness Aspekt außer acht lasse):
Alle Gruppenmitglieder sind als gemeinsamer Anker dem gleichen Feenlord entkommen. Die Gruppe setzt sich als Gruppenquest das Ziel, einen Fänger zu töten, den der Feenlord in ihre Heimatstadt geschickt hat, um seine entlaufenen Wechselbalge zurückzubringen. Spieler X spielt einen Antiquar, Spieler Y einen Rennfahrer. Spieler X möchte, dass sein Beitrag zur Überwindung des Fängers darin besteht, in einem verschollenem Buch eine geheime Schwäche des Fängers recherchieren zu können. Außerdem entwirft er für den SL eine Szene, in welcher der Diebstahl des Buches mit anschließender Flucht und Verfolgung vorgesehen ist. (Beides Szenen der Gruppenquest. Scheitern bedeutet, dass die Gruppe die Schwäche nicht erfährt und die Charaktere im Kampf gegen den Fänger einen Trumpf weniger haben.)
Spieler X ist außerdem von den Fetches fasziniert und möchte gerne eine herzzereißende Geschichte über den Fetch, der seinen Charakter in dessen Familie ersetzt. Der Fetch ist ein kompletter Kontrollfreak, der die Familie überwacht und terrorisiert. Manchmal schleicht sich die Ehefrau davon, um bei externen Stellen Hilfe zu suchen - damit der Charakter unseres Spielers X sie ohne Überwachung durch den Fetch treffen kann, muss man ihr unauffällig mit dem Auto dorthin folgen, wo sie ihren Unterschlupf hat. Eine Aufgabe für einen Profiautofahrer. (individuelle Story, Hindernis, mit vorgesehener Beteiligung des Charakters von Spieler Y. Scheitern bedeutet, dass der Charakter die Ehefrau auf einem anderen Weg kontaktieren muss. Wenn der Charakter bei drei Versuchen/Szenen scheitert, ist dieses Ziel nicht mehr erreichbar, denn die Ehefrau nimmt aus Verzweiflung Tabletten - hey, es ist ein Horrorspiel.)
Nebenbei gibt es natürlich noch einen Winterkönig, der auf eine besonders süße Frucht aus der Hecke steht, die - leider, leider - nur in einem verborgenen Territorium wächst, in dem ein garstiger Oger haust. Wenn man dem König eine solche Frucht bringt, würde man sicher Unterstützung bei einem eigenen Ziel erhalten (und natürlich XP). Aber Vorsicht, das ist gefährlich und sicherlich keine Mission für einen einzelnen Wechselbalg. (NSC-Mission; Der König kann übrigens dann wieder ein dunkles Geheimnis haben, wofür er die Frucht wirklich braucht...)
Leider bin ich noch nicht dazu gekommen, das Konzept an einem WoD Spiel auszuprobieren, sonst wäre es sicherlich ausgereifter und ich könnte schon die Fallen und Schwierigkeiten benennen.