Mammutpost!
Ich halte Patzer fuer ein wichtiges dramatisches Element.
Ohne sie hat der Charakter lediglich erfolgreiche Handlungen oder fehlgeschlagene Handlung, tatsaechlich fehlerhafte Handlungen wuerden fehlen.
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Neutral ist vielleicht nicht das ideale Wort. Aber bei einem Fehlschlag gibt es kein Ergebnis.
Kein besonders positives, kein besonders negatives - es gelingt einfach nicht.
Ich würde den Großteil aller Patzerbeispiele, die du, Teylen, in verschiedenen Posts gebracht hast, als normale Fehlschläge einordnen, sowohl aus RL-Perspektive wie auch spielmechanisch.
Auch kann ich mich der Aussage vom "ergebnislosen" Fehlschlag nicht anschließen - das hängt immer von der Situation und der Absicht des Handelnden ab.
Wenn z.B. ein Rennfahrer (um mal das Formel 1-Beispiel wieder aufzugreifen) ansagt "Ich versuche zu überholen" und schafft seinen Wurf nicht, dann hat er eben nur nicht überholt und es passiert weiter nichts.
Sagt der Spieler aber an: "Ich fahre die Kurve im absoluten Grenzbereich, um möglichst viel Zeit gut zu machen" und schafft den Wurf nicht, dann fliegt der Wagen aus der Kurve, und das wohlgemerkt bereits bei einem "normalen" Fehlschlag.
Hoch gepokert und verloren...
Mir fällt dabei gerade die großartige Engineer-Trilogie von K.J. Parker ein, die ich derzeit lese. Da gibt es Haufenweise hochkompetente Figuren, die dann doch immer mal wieder durch grandiose Fehlleistungen oder schlichtes Pech, insbesondere in Kämpfen, in schreckliche Situationen kommen. Und das völlig Slapstick-Frei (wenn auch nicht ohne lakonischen Humor) und völlig glaubwürdig. Für diese Art von "Gritty-Setting", bei dem die meisten Leute durch dumme und vermeidbare Fehler zu Fall gebracht werden, kann man im RSP durchaus Patzerregeln gebrauchen.
DAS ist genau so was, wo ich für mich mittlerweile zu dem Ergebnis gekommen bin, das gerade nicht über Patzer zu machen.
Die kommen dann nämlich je nach Regelsystem wirklich, wie hier öfter bemängelt wird, hirnrissig oft, oder so selten, dass ich die beabsichtigte Stimmung damit nicht erzeugen kann.
Da erzähle ich lieber gleich die regulären Fehlschläge etwas dramatischer, als mich dafür auf das Auftauchen eines Patzers "verlassen" zu müssen.
Insbesondere Systeme mit unterschiedlichen Erfolgs- und Fehlschlagsgraden abseits von Patzern und kritischen Erfolgen sind da recht dankbar.
In Systemen mit hohem "Whiff-factor" erzähle ich auch ganz gerne große und kleine Katastrophen, um den Eindruck zu vermeiden/abzuschwächen, dass da zwei Leute unter Idealbedingungen gegeneinander kämpfen und ohne wahrnehmbaren Grund nichts auf die Reihe bekommen.
Wenn es schon spielmechanisch nicht vorwärts geht, kann man wenigstens auf narrativer Ebene ein gewisses (spielmechanisch folgenloses) Auf und Ab einbringen - wenn es das System hergibt und die Spieler das so wollen (ist ja u.A. problematisch, weil man dann den selben Ablauf einmal in spielmechanisch folgenloser und einmal in spielmechanisch wirksamer Variante haben kann).
Mal eine grundlegende Überlegung:
Es gibt im echten Leben Fehler, die entweder eine besondere Fehlleistung darstellen oder das zwar nicht tun, aber große Auswirkungen haben.
Diese will man aus verschiedenen Gründen (Dramatik, Realismus etc.) auch im RSP abgebildet wissen.
Man hat aber gerade bei vielen klassischen Systemen mit Patzermechanik mMn nicht erkannt, dass die allermeisten "RL-Patzer" bereits im normalen (z.B. Kampf-)System enthalten sind und nur entsprechend erzählt werden müssten - spielmechanisch "normale" Fehlschläge entsprechen hier oft RL-Patzern.
Weil man das nicht erkannt hat, hat man diese Ereignisse nachträglich durch eine gesonderte Mechanik für Patzer eingebracht, die dann aber natürlich in der Häufigkeit ihres Auftretens und der Schwere ihrer Auswirkungen sehr leicht total neben der Spur sind.
Dazu auch:
Es ist okay, dass es mal einen Patzer gibt (selbst in DSA wegen Bestätigung nicht gerade so häufig). Das ist Drama und verdeutlicht einen Rest unkalkulierbares Risiko.
(Das Folgende ist nicht auf dich, Adanos, bezogen und auch nicht sonstwie böse gemeint; die zitierte Aussage dient mir nur dazu, meine Überlegung zu verdeutlichen:)
Wenn ich das Konzept "unkalkulierbares Restrisiko" in Verbindung mit Patzern, insbesondere im Kampf, lese, rollen sich mir die Zehennägel auf.
Das ist genau das, was ich oben meinte:
Da hat man irgendein Kampfsystem zusammengestoppelt, selber nicht ganz verstanden, was dieses System liefert und nicht liefert (bzw. liefern kann) oder auf welchem Detailgrad es überhaupt arbeitet, und weil man dann die RL-Patzer nirgends einzuordnen weiß, klebt man sie nachträglich an, weil "Das gibts ja im echten Leben auch und unser System soll das entsprechend darstellen können".
Mit dem Ergebnis, dass bei allen Würfen, die keine Patzer sind, nicht so viel passiert wie bei Patzern oder kritischen Erfolgen, sprich, dass diese als relativ ereignislos wahrgenommen werden und dass sie im Vergleich zu den Patzern und kritischen Erfolgen viel berechenbarer sind.
Was ja auch stimmt, weil man bei 30 HP und einem nicht explodierenden Schadenswürfel von 1W6 eben an einem einzelnen Treffer nicht sterben KANN.
Das weiß der Spieler, und selbst bei weichsten Ausprägungen des Ansatzes "Regeln als Settingphysik" wissen das auch die SCs und NSCs.
Also muss eine Patzer- und kritische Treffer-Mechanik rein, damit man mit völlig verdrehten Wahrscheinlichkeiten ein Risiko wieder bekommt, das man SELBST durch offensichtlich nicht am Designziel ausgerichtete Kampfregeln auf ganz grundsätzlicher Ebene ausgelassen hat/ nicht da eingebracht hat, wo es bei einem gewissen Realismus-/Simulationsanspruch hingehört hätte - und diesen Anspruch dokumentiert man ja eben gerade damit, dass man die Patzermechanik anklebt...
Da hilft es aber nichts, mit Patzermechaniken rumzufummeln, da muss das ganze Kampfsystem auf den Müll und etwas her, das von Grund auf, quasi in natürlicher Weise, das liefert, was ich mit der Patzermechanik notdürftig zusammenstoppeln/ künstlich nachliefern will.
Oder andersrum:
Heißt "Patzer sind "Drama" und (unkalkulierbares Rest-)Risiko" nicht:
Das reguläre Kampfsystem ist ziemlich undramatisch und vergleichsweise harmlos?
Warum sollte man denn das "Drama" und das Risiko auf die Patzer und Kritischen Treffer
beschränken wollen?
Da nehme ich doch lieber gleich z.B. ein Kampfsystem, das
grundsätzlich gefährlich ist und nicht erst durch die (i.d.R. recht verpeilte) Patzermechanik gefährlich für die SCs wird.