Ich wage mal eine vorsichtige Deutung der Beobachtung:
An der goldenen Regel stören sie sich nicht, sondern wünschen sie sich sogar, wenn sie fehlt.
Es gibt da draußen eine signifikante Anzahl Spieler, die wollen, dass ihre Charaktere geführt werden, dass der SL an den Würfeln dreht, dass ihre Entscheidungen ggf. entwertet werden, dass zugunsten der Story Regeln gebrochen werden,...
Das liegt daran, daß gute, professionelle Spieler gute Regeln brauchen, aber schlechte, unfachmännische Spieler mit schlechten Regeln unter Umständen glücklicher werden. Im Tanelorn treffen sich Profis mit Fachleuten und engagierten Rollenspielern, und die brauchen gute Regeln. Regeln, nach denen das, was man tut, eine Bedeutung hat, solche, die anwendbar sind, um zwischen "so soll es sein" und "das geht nicht" zu unterscheiden helfen. Aber "da draußen" gibt es vermutlich viel mehr Leute, die Rollenspiel als Laien spielen.
Und die Mehrheit dieser Spieler spielt Rollenspiel dann eben wohl eher so, wie man mal mit Kumpeln spielt, nicht allzu hart und unter systematischer Mißachtung der "Turnierregeln". Da dürfen Entscheidungen zurückgenommen werden, werden Fehler einfach nicht gewertet, es gibt manche Begrenzungen gar nicht erst (etwa irgendwelche Linien, die man nicht übertreten dürfte) oder man "verzeiht" einen Lapsus, eine besonders knapp mißlungene Aktion wird wegen ihres besonderen Unterhaltungswerts als "gelungen" betrachtet... kurz, man spielt eben unter Freunden, und die Regeln sind mehr so Anhaltspunkte, wie es im perfekten Fall sein sollte, aber darum geht es ja nicht. Deutliches Zeichen dafür ist: Man spielt ohne Schiedsrichter. Für seine Funktion (die Überwachung der Regeltreue) gibt es ja gar keinen Bedarf.
Im Rollenspiel ist der Schiedsrichter aber mit weiteren Funktionen ausgestattet, d.h. es gibt ihn als Spielleiter. Darum gibt es für ihn die "Goldene Regel", die formal wiedergibt, was sonst das simple Weglassen des Schiedsrichters bringt: Wenn es doch Spaß macht, sollen die Regeln halt bleiben, wo der Pfeffer wächst. Darum ist sie toll: man muß keine Angst vor Fehlern haben, weil man sie ungeschehen machen kann oder einfach alle vorhanden Augen (nebst eventueller Hühneraugen, wenn's gar anders nicht geht) mal zugedrückt werden. In den Händen eines "wohlwollender Alleinherrschers mit fast unbegrenzter Macht" hat man von ihr nichts zu fürchten, aber viel zu hoffen. Sie entspannt, ja, sie bietet sogar den Freiraum, die Regeln gar nicht erst exakt kennen zu müssen, sondern sich darauf zu verlassen, daß es mit dem, was angewendet wird, schon seine Richtigkeit haben wird. So unprofessionell zu spielen, treibt jemand, der in Wettbewerben antritt oder sich professionell mit dem Sport o.ä. befasst, natürlich wahlweise die Tränen in die Augen oder die Zornesröte ins Gesicht, aber ich glaube, die Gruppe, die auf der Wiese mit zwei hingeknäuelten Jacken "Volleyball" spielt, wird sich davon nicht sehr beeindrucken lassen. Denen reicht es, zu wissen, daß man den Ball nicht mit dem Fuß tritt, sondern nur mit den Händen auf die andere Seite bugsieren soll, und vielleicht noch, daß jede Seite nur dreimal (oder viermal... manchmal auch fünfmal, aber das nur ganz selten!) hintereinander darf, sonst war's falsch. Wenn man ein Netz hat, kann man sich vielleicht noch drauf einigen, daß "über das Netz drüber" besser ist als "unter dem Netz durch".
Ich vermute, daß es mit Railroading ähnlich ist. Gute Spieler, die sich aktiv mit einbringen, die eigene Vorschläge einbringen und selbst Handlungslinien entweickeln, wollen das natürlich nicht einfach untergebuttert sehen unter einer vorgefertigten Planung. Sie brauchen diese Vorplanung auch schlicht nicht, und wenn's eine gibt, kommt sie ihnen in die Quere: ganz schlecht!
Aber schlechte Spieler, die sich nicht trauen, die nicht wissen, wie's geht, die nicht so redegewandt sind oder einfach den Mund nicht aufkriegen, die zu lange nachdenken müssen, um gute Ideen zu haben... die sind einfach dankbar, wenn die Geschichte trotzdem läuft und sie mitmachen dürfen, so gut sie eben können, wenn ihre Ideenlosigkeit, falschen Ansätze und alle Unsicherheiten ausgeglichen werden, weil der Spielleiter sich um alles kümmern kann.
Ehm... ging das jetzt in die Richtung, die anfangs mal gedacht war? :-o