Ich glaube es liegt gar nicht wirklich am System, sondern an den Erwartungen an das Spielerlebnis.
Eben. Da gibt es keinen „kleinsten gemeinsamen Nenner“, bzw. wenn doch, ist es nur ein fauler Kompromiss, der dazu führt, dass dann eigentlich gar keiner mehr Spaß hat. Genauso halte ich es aber auch für einen Trugschluss zu glauben, man könne „nebeneinander her“ spielen. Das ist ja so der Robin Laws-Gedanke: Ein guter Spielleiter gibt halt jedem das, was der gern haben möchte (Method Acting, Storytelling, Buttkicking, Powergaming), und dann sind alle happy.
Was in dieser Betrachtungsweise fehlt, ist aber der Faktor des gemeinsamen Erlebnisses. Eine richtig gelungene Rollenspielsitzung ist ja genau deshalb toll, weil man sie mit den anderen teilt, weil man sich die Bälle zuspielt, gegenseitig mit Begeisterung ansteckt, sich nicht nur an dem freut, was man selber macht, sondern auch an dem, was die anderen machen.
Jetzt darf man das natürlich nicht zu reduziert betrachten, verschiedene Aspekte wie z.B. ein taktischer Kampf mit eklig viel Regeln einerseits, und ein ausgespielter Ball bei Hofe ohne einen einzigen Würfelwurf andererseits, können durchaus in ein und derselben Spielsitzung ihren Platz haben und sich zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen. Dann ist es aber so, dass die
Erwartungen der Spieler ebenfalls harmonieren, also alle Spieler wollen grundsätzlich den Kampf
und den Ball, und nicht, die Hälfte der Spieler will den Ball und langweilt sich beim Kampf, und umgekehrt.
Meiner Erfahrung nach ist es besser, sich auf wechselnde Spielstile und damit auch Systeme jeweils voll einzulassen und die dann auch durchzuziehen (ohne sie zu reduziert zu betrachten, s.o.), als eine mäandernde Mischung zu praktizieren, die weder Fleisch noch Fisch ist. Es ist wie beim Sex: Sagen wir mal, du hast ein Paar, bei dem beide masochistisch veranlagt sind. Sie haben mehr davon, wenn heute der eine Partner die sadistische Rolle übernimmt und morgen (oder nächste Woche) der andere. Wenn sie sich mittendrin ständig abwechseln und schlimmstenfalls noch nicht mal klar ist, wann wer mit was dran ist, wird keiner so richtig Spaß dran haben. Wohingegen man auch dann, wenn man eigentlich nicht sadistisch veranlagt ist, in gewissem Rahmen durchaus Spaß daran entwickeln kann, wenn man einen Partner hat, der es zu schätzen weiß.
Da in deiner Runde die Freeform-Fraktion offenbar schon seit Langem zurück gesteckt hat, während die Crunch-Fraktion auf ihre Kosten kam, wäre mein Vorschlag daher, die Crunch-Fraktion auf eine Runde The Pool zu verpflichten. Und zwar bitte nicht nur widerstrebend und unter dauerndem Protest. Sondern sie sollen sich bitteschön richtig drauf einlassen und ihr bestes versuchen, Spaß dran zu entwickeln! Und dann wenn ihr durch seid, wird danach wieder was crunchiges gespielt, mit der gleichen Anforderung an die Freeform-Fraktion. Die kann sich ja dann von der Crunch-Fraktion beim Charakterbau helfen lassen. Und vielleicht lässt sich ein System finden, bei dem Regeln und gesunder Menschenverstand halbwegs zusammen passen, also die eher Spielwelt-basierten Überlegungen dann typischerweise durch das Ergebnis der Regelanwendung bestätigt werden.
Warum The Pool? Weil es total einfach ist, wahnsinnig klare Strukturen hat und vor allem niemanden aus der Verantwortung für die gemeinsam erzählte Geschichte entlässt. (Edit: Und
hier findest du eine deutsche Übersetzung des Original-Textes, im Gegensatz zu der verschlimmbesserten deutschen Version, die es auch mal im Netz gab.)