Autor Thema: Railroading & SL-Willkür revisited - Es ist eine Frage der Fairness  (Gelesen 10059 mal)

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Wellentänzer

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Seit Jahren lese ich Definitionskriege über alle möglichen Phänomene, bei denen ein Spieler der Runde (üblicher Weise der SL) durch eine bestimmte Form von Aktivitäten Konflikte auslöst. Bei diesen Aktivitäten handelt es sich zumeist um Initiativen, welche gegen herrschende Absprachen verstoßen:

- Der SL dreht heimlich an den Würfeln, obwohl die Gruppe das vielleicht gar nicht möchte.
- Der SL verbietet dem Spieler beim Charakterbau bestimmte Optionen, obwohl diesbezüglich eigentlich klare Regeln zu gelten hätten.
- Ein Spieler zieht systematisch mehr Spotlight auf sich als der Rest der Gruppe.
- Die NSC der Spielwelt agieren erratisch auf eine Weise, dass die Spieler unsicher werden und sich verschaukelt fühlen.
- Der SL schränkt die Handlungsoptionen der Spieler so ein, dass sich die Spieler gegängelt fühlen.
- Der SL entscheidet nach Gutdünken, wann SC sterben können und unterteilt das Verhalten der Spieler dazu in qualitativ voneinander abgrenzbare Klassen ("Bei mir sterben SC nur, wenn sie sich dumm anstellen.").
- Der SL lässt es in der Gruppe gegen den Willen zu Charaktertoden kommen oder rettet Charaktere vor dem eigentlichen Tod durch unerwünschte Eingriffe.
- Ein Spieler nutzt beim Charakterbau die jeweils optimierten Regeln, während der Rest der Gruppe das nicht tut.

All diese Phänomene haben zwei Dinge gemeinsam. Erstens wurden derogative Begrifflichkeiten für diese Phänomene eingeführt und haben sich im Laufe der Zeit mehr oder weniger etabliert: Railroading, SL-Willkür, SchErz, Powergaming, Munchkinism etc. Zweitens liegt die Wahrnehmung zugrunde, dass es am Spieltisch an Fairness bzw. Gerechtigkeit mangelt.

Wenn wir also statt immer neuer "Fachbegriffe" speziell für das Rollenspiel in Zukunft von Fairness sprechen, wenn wir Fairness meinen, haben wir mehrere Fortschritte in der theoretischen Behandlung von rollenspielerischen Themen erzielt. Der Begriff der Fairness ist erstens nicht negativ konnotiert. Zweitens können wir diverse, bislang nur unzureichend definierte Phänomene nun wunderbar beschreiben, erklären und vorhersagen. Drittens vereinheitlichen wir die Diskussion auf eine elegante Weise. Viertens entfernen wir uns damit von dem bisweilen selbst-referentiellen und umständlichen Duktus der Forge. Und fünftens können wir an diverse bestehende, empirische Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften andocken und sie für das Rollenspiel nutzbar machen.

Von den verfügbaren theoretischen Ansätzen der Gerechtigkeitsforschung halte ich den verhaltenwissenschaftlichen am relevantesten für das Rollenspiel. Es gab dazu hier im Forum schon einmal zwei längere Posts. Hier und hier. Ich will das an dieser Stelle gar nicht noch einmal wiederholen. Vielmehr möchte ich darauf hinweise, dass in der Sozialpsychologie und Organisationsforschung in den letzten Jahren eine ganze Menge Artikel erschienen sind, die sich wunderbar auf das Rollenspiel übertragen lassen.

Auf zwei davon möchte ich ebenso beispielhaft wie kurz hinweisen und habe die zugehörige Primärliteratur direkt mal angehängt: erstens handelt es sich um eine Betrachtung, wie die verschiedenen Aspekte von Fairness sich auf die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit und das tatsächlich gezeigte Vertrauen gegenüber anderen Personen auswirken. Die zugehörige Erhebung ist ziemlich fett und ging über einen Zeitraum von vielen Jahren. Da finden sich tangential ganz viele Phänomene, die in Rollenspielforen immer und immer wieder diskutiert wurden, auf elegante Weise theoretisch zusammengefasst, empirisch überprüft und mit Implikationen für die praktische Umsetzung versehen. Zweitens hängt diesem Post eine Untersuchung zur Gerechtigkeit in "self-managing teams" an, in der die Entwicklung und Ausbildung von Gerechtigkeitsklima untersucht wird. Das passt zu Rollenspielgruppen ebenfalls wie die Faust aufs Auge.

Was möchte ich nun in diesem Thread? Ich würde gerne auf der definitorischen Ebene vom aktuellen Wust derogativer Begrifflichkeiten wegkommen und dem die Perspektive der Fairness gegenüberstellen. Vergessen wir Railroading, SL-Willkür und all diese schwummrige, negativistische Begriffsscheiße. Lasst uns stattdessen über Fairness und Vertrauen reden.

Was möchte ich nicht? Hm, vielleicht klingt das jetzt fürchterlich ätzend, aber vergangene Erfahrungen zeigen, dass eine gewisse Selbstbeschränkung beim Posten sinnvoll ist. Insofern bitte ich Euch vor etwaigen Beiträgen zu überlegen, ob der generelle Nutzwert dieses Threads für die Gesamtheit erhöht wird. Verliert Euch bitte auch nicht in Details und beginnt keine verbissenen Zitateduelle.

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Offline Mann mit Ukulele

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Das Posting gefällt mir gut, jedoch scheint die Quintessenz auch hier zu sein:

Wenn alle miteinander reden, ihre Bedürfnisse klar äußern und alle sich auf einen gangbaren Weg einigen, sollte es keine Probleme geben.

Natürlich kann es interessant sein, auf die individuellen Hintergründe zu schauen, warum einer handelt wie er handelt;
sei es, weil er mit "der SL darf alles" sozialisiert wurde, sei es, weil ein Spieler was ausleben will am Tisch, etc...
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Offline Auribiel

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Sehr schöner Post und ja, letzten Endes lässt es sich auf Vertrauen/Vertrauenswürdigkeit und Fairness herunterbrechen.

Inwieweit würdest du denn Offenheit bzw. Nachvollziehbarkeit in diese Begriffe integrieren oder kommen sie noch einmal extra dazu?

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Offline Praion

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Spiele die "powered by the Apocalypse" sind, basieren ja ja an sich extrem auf Spielleiter Willkür. Du kannst jeglichen Move machen den du willst jeder Zeit. Es gibt zwar Richtlinien wann du Harte und wann Weiche Move machst aber joa, Richtlinien.

Zu diesen Richtlinien kommen jedoch die SL Agenda und die Prinzipien hinzu. Wenn man denen nicht folgt in der Auswahl seiner Moves handelt man gegen die SL Regeln und Spieler können daruaf hinweisen und sich beschweren.
Daher sollte zu jeder Regel, die ein SL befolgen soll auch eine Richtlinie gehören zu welchem Zweck er sie verwenden soll. Eben nicht um Spieler zu gängeln sondern um das Spiel flüssig und interessant zu halten (beispielsweise).

Das man sich an die Regeln halten sollte die vorher festgelegt wurden ist klar. Das heißt nichts gegen Hausregeln, Hacks und ähnliches, solange diese vorher mit den anderen kommuniziert wurden.

(das ganze geht natürlich davon aus, dass die Spieler das Spiel auch gelesen haben und wissen was sie zu erwarten haben)
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Jason Corley

Wellentänzer

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Das Posting gefällt mir gut, jedoch scheint die Quintessenz auch hier zu sein:

Wenn alle miteinander reden, ihre Bedürfnisse klar äußern und alle sich auf einen gangbaren Weg einigen, sollte es keine Probleme geben.

So siehts aus. Ich würde noch folgendermaßen ergänzen: Wenn alle miteinander reden, ihre Bedürfnisse klar äußern, alle sich auf einen gangbaren Weg einigen, dieser Weg konsequent eingehalten wird und die Regeleinhaltung bei Bedarf überprüfbar ist, sollte es keine Probleme geben.

Sehr schöner Post und ja, letzten Endes lässt es sich auf Vertrauen/Vertrauenswürdigkeit und Fairness herunterbrechen.

Inwieweit würdest du denn Offenheit bzw. Nachvollziehbarkeit in diese Begriffe integrieren oder kommen sie noch einmal extra dazu?

Danke!

Offenheit und Nachvollziehbarkeit gehören zu den Bedingungen für die Wahrnehmung von Fairness und damit für das Enstehen von Vertrauen. Je weniger Transparenz, desto weniger wahrgenommene Fairness, desto weniger Vertrauen. Das erklärt auch, weshalb beispielsweise Leute auf Con-Runden eher auf offenem Würfeln bestehen als in vertrauter Umgebung.
« Letzte Änderung: 7.07.2013 | 13:21 von Wellentänzer »

Offline Slayn

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Hallo.


Ich finde es in diesem Zusammenhang spannend zu sehen, wie störend ein "Fremdkörper" hier nun einwirken kann.
Gerade Schaubild 2, das Dreieck "Trustworthiness, Trust, Justice" ist hierzu eine gute Grundlage. Wenn ich einen "Fremdkörper" hinzunehme, kann sich dieses ganze Gefüge rapide verändern/zusammenbrechen.

Ich frage mich nur wie Dinge hier verortet werden. Wenn ich Regeln, Spielhilfen und Abenteuer hier hinzufüge, also Fremdkörper, dann bricht das Dreieck auseinander, oder irre ich mich? Die Spieler müssen niocht nur mir, als Meister, vertrauen, sondern auch dem Author der Regeln, der Spielhilfe oder des Abenteuers, nämlich insoweit dass auch dieser sich an an selbige hält und ihm mein Spaß am Herzen liegt.
« Letzte Änderung: 7.07.2013 | 16:40 von Slayn »
Wenn wir einander in der Dunkelheit festhalten .. dann geht die Dunkelheit dadurch nicht vorbei
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Offline Auribiel

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Offenheit und Nachvollziehbarkeit gehören zu den Bedingungen für die Wahrnehmung von Fairness und damit für das Enstehen von Vertrauen. Je weniger Transparenz, desto weniger wahrgenommene Fairness, desto weniger Vertrauen. Das erklärt auch, weshalb beispielsweise Leute auf Con-Runden eher auf offenem Würfeln bestehen als in vertrauter Umgebung.

Und erklärt zugleich, wieso bei offenen Systemen wie FATE z.B. keine Notwendigkeit zum Würfeldrehen besteht, würde ich sagen. Wäre das korrekt?

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Wellentänzer

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Hallo.


Ich finde es in diesem Zusammenhang spannend zu sehen, wie störend ein "Fremdkörper" hier nun einwirken kann.
Gerade Schaubild 2, das Dreieck "Trustworthiness, Trust, Justice" ist hierzu eine gute Grundlage. Wenn ich einen "Fremdkörper" hinzunehme, kann sich dieses ganze Gefüge rapide verändern/zusammenbrechen.

Jo, so ist das. Deshalb gibts ja auch so viele Klagen.

Ich frage mich nur wie Dinge hier verortet werden. Wenn ich Regeln, Spielhilfen und Abenteuer hier hinzufüge, also Fremdkörper, dann bricht das Dreieck auseinander, oder irre ich mich? Die Spieler müssen niocht nur mir, als Meister, vertrauen, sondern auch dem Author der Regeln, der Spielhilfe oder des Abenteuers, nämlich insoweit dass auch dieser sich an an selbige hält und ihm mein Spaß am Herzen liegt.

Das sehe ich schon wieder ein bisschen anders. Auf die Regeln einigen sich die Spieler vor Beginn ja gemeinsam. Und für Spielhilfen und Abenteuer liegt die Verantwortung bei der Auswahl vornehmlich beim SL. Der ist sozusagen verantwortlich bzw. wird verantwortlich gemacht.

Und erklärt zugleich, wieso bei offenen Systemen wie FATE z.B. keine Notwendigkeit zum Würfeldrehen besteht, würde ich sagen. Wäre das korrekt?

Ja genau. Bei FATE reiten sich die Spieler über Compels ohnehin selbst in die Scheiße. Das reduziert den Bedarf an Würfeldrehen durch den SL schon mal beträchtlich. Auch dürfte in den allermeisten FATE-Runden prinzipiell von allen Beteiligten offen gewürfelt werden - und wie lame wäre es, ein offen liegendes Würfelergebnis retrospektiv umzudeuten? Auch das erhöht die Wahrscheinlichkeitsschwelle des Würfeldrehens beträchtlich. Wird allein dadurch FATE zu einem "überlegenen" Rollenspielsystem? Natürlich nicht. Über solcherlei Betrachtungen erklärt sich dann ganz natürlich, weshalb der Ratschlag an Würfeldreher zum Systemwechsel oder zur Bennienutzung zumeist gut gemeint, aber letztlich fehlgeleitet ist.

Offline Foul Ole Ron

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Offline First Orko

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Und gleich eine Frage: Wie wären dann die typischen Probleme zu formulieren, wenn man sich von den "aggressiveren" Begriffen wegbewegen möchte?
Heißt statt "Spielleiterwillkür" dann beispielweise "ich fühle mich unfair behandelt, weil..."?
Das hat dann ein bißchen den Beigeschmack von Kritik an der Objektivität der Spielleiterrolle und ich habe schon so manchen SL getroffen, der sich ungern vorwerfen ließe, er würde seine Spieler unfair behandeln - auch wenn das der Fall ist.

(Disclaimer: Komme grad noch nicht dazu, mich mit den Quellen zu beschäftigen. Falls sich die Fragen dadurch erledigen werden, reicht mir ein kurzer Verweis darauf ;))

Den Ansatz, das Ganze auf eine neutrale Ebene zu bringen finde ich richtig gut. Richtig gut wäre es, wenn am Ende eine Art Fragenkatalog zu möglichen Problemen herauskäme, anhand dessen man seine Position innerhalb der Gruppe verordnen kann. Das kann ja eventuell auch helfen zu verstehen, wo das eigene Verhalten möglicherweise auch Probleme erzeugt hat.
It's repetitive.
And redundant.

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Dir ist schon klar, dass es in diesem Forum darum geht mit anderen Leuten, die nix besseres mit ihrem Leben zu tun haben, um einen Tisch zu sitzen und sich vorzustellen, dass wir Elfen wären.

Online Arldwulf

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Seit Jahren lese ich Definitionskriege über alle möglichen Phänomene, bei denen ein Spieler der Runde (üblicher Weise der SL) durch eine bestimmte Form von Aktivitäten Konflikte auslöst. Bei diesen Aktivitäten handelt es sich zumeist um Initiativen, welche gegen herrschende Absprachen verstoßen:

- Der SL dreht heimlich an den Würfeln, obwohl die Gruppe das vielleicht gar nicht möchte.
- Der SL verbietet dem Spieler beim Charakterbau bestimmte Optionen, obwohl diesbezüglich eigentlich klare Regeln zu gelten hätten.
- Ein Spieler zieht systematisch mehr Spotlight auf sich als der Rest der Gruppe.
- Die NSC der Spielwelt agieren erratisch auf eine Weise, dass die Spieler unsicher werden und sich verschaukelt fühlen.
- Der SL schränkt die Handlungsoptionen der Spieler so ein, dass sich die Spieler gegängelt fühlen.
- Der SL entscheidet nach Gutdünken, wann SC sterben können und unterteilt das Verhalten der Spieler dazu in qualitativ voneinander abgrenzbare Klassen ("Bei mir sterben SC nur, wenn sie sich dumm anstellen.").
- Der SL lässt es in der Gruppe gegen den Willen zu Charaktertoden kommen oder rettet Charaktere vor dem eigentlichen Tod durch unerwünschte Eingriffe.
- Ein Spieler nutzt beim Charakterbau die jeweils optimierten Regeln, während der Rest der Gruppe das nicht tut.

All diese Phänomene haben zwei Dinge gemeinsam. Erstens wurden derogative Begrifflichkeiten für diese Phänomene eingeführt und haben sich im Laufe der Zeit mehr oder weniger etabliert: Railroading, SL-Willkür, SchErz, Powergaming, Munchkinism etc. Zweitens liegt die Wahrnehmung zugrunde, dass es am Spieltisch an Fairness bzw. Gerechtigkeit mangelt.

Wenn wir also statt immer neuer "Fachbegriffe" speziell für das Rollenspiel in Zukunft von Fairness sprechen, wenn wir Fairness meinen, haben wir mehrere Fortschritte in der theoretischen Behandlung von rollenspielerischen Themen erzielt. Der Begriff der Fairness ist erstens nicht negativ konnotiert. Zweitens können wir diverse, bislang nur unzureichend definierte Phänomene nun wunderbar beschreiben, erklären und vorhersagen. Drittens vereinheitlichen wir die Diskussion auf eine elegante Weise. Viertens entfernen wir uns damit von dem bisweilen selbst-referentiellen und umständlichen Duktus der Forge. Und fünftens können wir an diverse bestehende, empirische Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften andocken und sie für das Rollenspiel nutzbar machen.

Das Problem ist: diese Phänomene haben nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Unterschiede. Und Während Fairness natürlich positiv besetzt ist gilt dies für Unfairness natürlich nicht.

Der Wunsch auf Details zu verzichten mag verständlich sein, doch ohne Details: was soll man dann einem Spieler sagen der eines dieser Phänomene bei sich in der Gruppe bemerkt? "Dein Spielleiter spielt nicht fair" etwa?

Das ist weder hilfreich, noch muss es überhaupt sachlich zutreffen.

Offline Maarzan

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Bevor jetzt alle Kuscheln -Warum verhalten sich nicht wenige Leute denn so wie sie es tun- nur wegen mangelnder Aufklärung?

Ich denke das ist derselbe Grund warum es z.B. keine übersichtlichen Steuergesetze gibt - weil welche von der Unfairnis profitieren.

Unfairnis dann begrifflich zu waschen hilft dann diese gesellschaftsfähig zumachen (und dürfte auch Anlass für die meisten Definitionskriege sein, um den Vorwürfen Wind aus den Segeln zu nehmen). Was nicht heißt, dass jeder Vorwurf auch begründet oder berechtigt sein muss.

Zum eher nur beschreibenden "was tut jemand" muss also auch die Motivation und die Wirkung auf andere hinzukommen.
Storytellertraumatisiert und auf der Suche nach einer kuscheligen Selbsthilferunde ...

Online Arldwulf

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Wahrscheinlicher ist einfach dass die meisten der oben genannten punkte sich überhaupt nicht auf eine konkrete Intention zurückführen lassen. Sprich: Sie entstehen nicht weil jemand unfair sein will ( oft sogar im Gegenteil - aus dem Wunsch nach Fairness heraus) sondern aus anderen, spezielleren Gründen.

Wellentänzer

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Kurz zu den letzten vier Posts:

Fairness ist immer eine Frage der persönlichen Wahrnehmung. Da kann es zwischen Personen große Unterschiede geben, wenn etwa der Spieler sich unfair behandelt fühlt und der SL das in dieser Form nicht auf dem Schirm hat.

Hilfreich ist in jedem Fall bei einer Betrachtung der Fairness im Gegensatz zu den bisherigen Begrifflichkeiten, dass man neben der reinen Wahrnehmungsebene ("Ich fühle mich unfair behandelt.") zugleich auch konkrete Punkte anbieten kann, welche zu dieser Wahrnehmung überzufällig beitragen. Insofern ergibt sich nicht nur ein präziseres Raster für die eigene Wahrnehmung über die Dimension der Fairness hinaus, sondern man kann daraus dann direkt auch Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Situation ableiten.

Drei Beispiele hatte ich ja bereits verlinkt: Transparenz, Konsistenz und Mitwirkung. Im großen Modell von Colquitt (wenn ich das richtig im Kopf habe, meine Verbindung ist gerade leider saulangsam, so dass ich leider nicht googeln kann) finden sich 8 sogenannte Nebenkriterien. Das ist eine Meta-Analyse aus Anfang der 2000er. Findet sich bestimmt kostenlos online irgendwo. Dadurch ist es aber in Kenntnis der theoretischen Sachlage nicht nur möglich, einen Mangel an Fairness festzustellen ("Das finde ich jetzt unfair."), sondern diesen konkreter zu benennen ("Ich kann viele SL-Entscheidungen nicht nachvollziehen und fühle mich benachteiligt.") und daraus dann die entsprechenden Verbesserungsvorschläge zu generieren ("Ich würde mir wünschen, dass der SL offen würfelt.").

Sefli hatte es zwar schon wunderbar auf den Punkt gebracht: oftmals liegt die Wahrnehmung mangelhafter Fairness schlicht an einem blinden Fleck auf seiten von (mindestens einem) Beteiligten im Bereich der Sozialkompetenz. Das ist so analysiert und kommuniziert aber eine ziemlich große Keule. Die direkte Koppelung an zukünftige Handlungswünsche erscheint mir da erheblich vielversprechender.

Ansonsten bietet die Fairnessperspektive weitere Vorteile auf Basis der soliden empirischen Fundierung. So weiß man beispielsweise aufgrund des sogenannten "Fair Process Effect", dass sich die Ergebnisakzeptanz von Menschen ganz grundlegend auf Basis der Dichotomie Gewinner/Verlierer unterscheidet. Gewinner akzeptieren unfair zustandegekommene Ergebnisse jedenfalls weitgehend problemlos, während im Falle des Verlierens die wahrgenommene Fairness von sehr grundsätzlicher Bedeutung ist. Und so weiter.

Selbstverständlich kann man nun ganz grundsätzlich hinterfragen, ob und wie sich solche Erkenntnisse aus der Gruppen- und Teamforschung auf Rollenspiele übertragen lassen. Aber bereits damit wären wir nach meiner Ansicht erheblich weiter als die Diskussion auf Basis von Begrifflichkeiten wie Railroading und Willkür in den letzten Jahren ermöglichte.

Offline Bad Horse

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Letzten Endes läuft es doch darauf hinaus, demjenigen, mit dessen Spiel man unzufrieden ist, nicht einfach irgendwelche Wortkeulen um die Ohren zu hauen ("Railroading!", "Spielleiterwillkür!", "Powergamer", "Depp" usw.), sondern das Problem konkret zu benennen und Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen.

Den Ansatz, eher nach einer Möglichkeit zur konkreteren Kommunikation als nach Definitionen für schwammige Begrifflichkeiten zu suchen, finde ich sehr lobenswert. Allerdings kommunizieren die meisten Leute - grad in einer emotionalen Situation - ganz gern in verkürzten, allgemeinen Begriffen.

Die Tendenz, bestimmte Spielarten der Unfairnis zur Abgrenzung mit unterschiedlichen Begriffen zu belegen, wirst du vermutlich ohnehin nicht unterdrücken können. Dafür sind die Begriffe zu etabliert, und die Vorstellungen, was damit gemeint sein könnte, überschneiden sich zumindest - es gibt Fälle, da dürften sich die meisten Leute einig sein, dass das jetzt "Railroading", "Willkür" oder "Taschenlampenfallenlassen" ist, auch wenn sie von etwas unterschiedlichen Definitionen ausgehen.
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Online Arldwulf

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Um mal eines der genannten Beispiele herauszunehmen:

Zitat
Der SL verbietet dem Spieler beim Charakterbau bestimmte Optionen, obwohl diesbezüglich eigentlich klare Regeln zu gelten hätten.

Einer der häufigsten Gründe hierfür ist: "diese Option ist zu stark / dies musst du dir erst verdienen"

Was im Kerngedanken eine Fairnessüberlegung ist.

Und trotzdem Willkür sein kann. Auch andere der genannten Gründe haben nicht zwingend mit Fairness oder Unfairness zu tun.

Eulenspiegel

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Ich denke, wenn jemand Railroading nicht mag, dann ist es dieser Person egal, ob das Railroading nun fair oder unfair abläuft. Er mag das Railroading aus anderen Gründen nicht. Und selbst, wenn man das Railroading fairer machen würde, würde er es nicht mögen.

Und eine andere Person, die gerne Railroading spielt, hat ebenfalls ihren Spaß daran, egal ob es nun fair oder unfair ist.

Ich denke, die wenigsten Leute haben ein Problem mit der fehlenden Fairnis. Klar, im echten Leben legt man auf Fairnis wert. Im Spiel dagegen kommen immer stärker asymmetrische Spiele in Mode, die sich durch gezielte Unfairnis auszeichnen.

Und wenn Würfeldreher-Fans und Würfeldreher-Hasser miteinander streiten, dann liegt es imho nicht daran, dass den beiden Fairnis unterschiedlich wichtig ist. Es liegt imho viel stärker daran, dass ihnen unterschiedliche Aspekte am RPG wichtig sind.

Offline Scimi

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Einer der häufigsten Gründe hierfür ist: "diese Option ist zu stark / dies musst du dir erst verdienen"

Oder "Ich kenne das Abenteuer und weiß, dass diese Kraft an irgendeiner Stelle alle nerven wird."

Offline Bad Horse

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Da greift aber wieder die bereits erwähnte Transparenz. Natürlich findet es ein Spieler unfair, wenn der SL ihm gegen die geltenden Regeln eine Option vorenthält - wenn aber allen klar ist, dass es die Regel "Der SL darf die Optionen aus diesen oder jenen Gründen einschränken" gibt, dann ist der Ärger wahrscheinlich viel geringer.
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Offline Falke359

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Erst einmal finde ich den Eingangspost vom spieltheoretischen Standpunkt aus sehr lobenswert.

Zweitens wäre es vielleicht hilfreich, wenn jemand die Kernaussagen der angehängten Texte als Diskussionsgrundlage in einem mäßig ausführlichen Text nochmals konkreter zusammenfassen könnte, weil sicher nicht jeder, den das Thema genauer interessiert und der mitreden möchte, die Zeit (oder Lust) dazu hat, sich da durchzuarbeiten. (Wenn ich die Zeit finde, les ich mich gerne ein.)

Drittens fällt mir spontan dazu ein (und da möchte ich Praion unterstützen), dass es sehr hilfreich sein kann, wenn das Regelwerk den SL in die entsprechende Richtung führt bzw. ihn darin unterstützt, so dass die Frage der Fairness nicht so sehr am Verhalten einer odere mehrerer Personen festgemacht wird.
Ein Beispiel wäre, wen der SL nicht einmal mehr würfelt, sondern die Aktionen und Würfe der Spieler letztlich in Fiktion übersetzt, oder wenn z.B. Schwierigkeitsgrade für Proben einfach wegfallen. Wir machen da mit Dungeon World im Moment sehr interessante Erfahrungen in der Richtung und ich bin gespannt, wie sich ähnliche Mechanismen in Zukunft auswirken könnten.

Inwieweit entsprechend sozialisierte Spieler/innen von dem wegkommen, was sie als "normal" ansehen, steht auf einem anderen Blatt.

 

 
Früher war mehr Lametta.

Offline Crimson King

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Um mal eines der genannten Beispiele herauszunehmen:

Einer der häufigsten Gründe hierfür ist: "diese Option ist zu stark / dies musst du dir erst verdienen"

Was im Kerngedanken eine Fairnessüberlegung ist.

Und wenn der Spielleiter den Grund kommuniziert, ist schon mal Transparenz gegeben. Wenn er zusätzlich nicht von oben herab entscheidet, sondern den Spieler mit ins Boot holt, also statt "Das darfst du nicht nehmen, das ist zu stark" etwas wie "Ich würde dich bitten, das nicht zu nehmen, weil das potenziell zu stark ist", ist auch Mitwirkung gewährleistet. Und wenn die Einschränkung für alle gilt, ist sie auch konsistent. Alles wunderbar!
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

J.W. von Goethe

Online Arldwulf

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Durchaus, aber durch diese Maßnahme wird eben nur die Transparenz bestimmt. Die Entscheidung kann fair oder unfair sein, ganz egal ob der Spielleiter sie begründet oder nicht.

Transparenz ist eine großartige Sache, aber hier geht es doch darum ob es hilfreich ist die oben genannten Einzelbegriffe unter Fairness oder Unfairness zu sublimieren. Und da scheint es mir dann als ob dies die eigentlichen Gründe verfälscht, und nicht korrekt wiedergeben kann.

Für die von Wellentänzer genannten Vorteile sehe ich bisher keine Argumente. Es ist unklar wieso dies der Fall sein sollte - und teilweise durchaus fragwürdig.

Zitat
Zweitens können wir diverse, bislang nur unzureichend definierte Phänomene nun wunderbar beschreiben, erklären und vorhersagen

Zum Beispiel.

Dies wäre ja nur der Fall wenn die Phänomene und ihre Auswirkungen nur von Fairness abhängig und bestimmt würden. Dies ist aber nicht der Fall.
« Letzte Änderung: 8.07.2013 | 20:51 von Arldwulf »

Wellentänzer

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@ Ardwulf: Du verstehst ganz wesentliche Teile des Threads leider nicht. Bad Horse, Crimson King und ich haben Dir das Phänomen nach meiner Ansicht logisch zwingend dargelegt. Insofern würde ich Dich bitten, etwaig noch immer bestehende Unklarheiten an anderen Orte aufzulösen. Wir können das per PM tun oder Du kannst Dich an Dritte wenden oder einen anderen Thread nutzen.

Online Arldwulf

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Oder wie wäre es wenn du es erklärst? Ich meine, was genau willst du mit diesem Thread erreichen wenn nicht deine Theorie zu erklären? Wir sind hier im Internet. Missverständnisse entstehen leicht, und ich bin da ganz sicher nicht davor gefeit. Aber wenn du es hier erklärst kann der nächste der das gleiche Missverständniss macht auch gleich die Auflösung lesen. Und muss dich nicht per PM anschreiben.

Du stellst in deinem Ausgangsposting ein paar Thesen in den Raum ohne sie näher zu begründen. Ich bin nun nicht der hellste Stern am Abendhimmel. Aber zu begründen warum diese Dinge so sind würde jedem helfen der dein Posting liest, nicht nur mir.

Offline Bad Horse

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Arldwulf, halte dich bitte an die Vorgaben des Threaderstellers. Wenn er das hier nicht mit dir diskutieren will, steht es dir frei, ihm eine PM zu schicken, aber bitte respektiere seinen Wunsch, deine Fragen hier nicht beantworten zu wollen. Danke.
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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