Wobei sich mir als ergebnisoffenem SL jetzt auch, wie Naga, nicht erschließt, warum sich hier so krampfhaft an die Modellierung geklammert wird.
Die Antwort auf diese Frage zeichnet sich ja mittlerweile durch die verschiedenen Vorstellungen ab, ob man z.B. bei einem Detektivabenteuer während dem Spiel mal kurz den Täter austauschen darf und ob es (a) darum geht, dass die Spieler entweder richtig kombinieren oder scheitern, oder ob es (b) darum geht, einen unterhaltsamen Krimi zu erleben und zu gestalten, wo man gerne als Spieler kombinieren darf, aber wenn es partout nicht will, dann greift der Spielleiter eben ein, damit die Sache doch noch an Fahrt gewinnt.
Gegenüber den oft kritisierten vorgeplotteten Abenteuern sind beide(!) Sachen auf eine bestimmte Weise ergebnisoffen: Gemeinsam ist beiden, dass es eben keine vorgegebene Plotlinie gibt, bei der bestimmte Ereignisse in gewisser Reihenfolge auftreten müssen. Also nichts der Art: "Yasmina hat Polter kurz vor der Tat mit einer Axt gesehen. Sie sollten dafür sorgen, dass sie diese Information aber erst enthüllt, nachdem ... geschehen ist."
Manche Leute akzeptieren das Label "ergebnisoffen" aber nur dann, wenn die Geschichte nach Modell (a) gespielt wird. Im Klartext: Ergebnisoffen heisst, dass das Ergebnis des Abenteuers offen ist in dem Sinne, dass es rein von den Handlungen der Spielern abhängt und
nicht von den Aktionen des Spielleiters. Fragt sich nur, warum manche Leute auf so etwas bestehen, und es nicht der "armen" SL gönnen, zur Steigerung des Spielspasses und Vermeidung von allgemeiner Langeweile, im Sinne von Modell (b) in die Handlung einzugreifen.
Ergebnisoffenheit I: "Findet den Mörder" - Weltsimulation als Mittel zum Zweck für herausforderungsorientiertes SpielDie Antwort steckt eigentlich schon in einigen früheren Beiträgen drin: Die einen spielen "Fangt den Mörder", wo es 100% darauf ankommt, dass die ermittelnden Spieler rein aus eigener Anstrengung herausfinden, wer der Täter war und was die red herrings sind. Wenn man als SL ein solches Spiel vorbereitet, bedeutet das in erster Linie: NSC entwerfen, Motivationen basteln, Tathergang daraus ableiten, festlegen, was wann passiert ist und wer wo war und was genau weiss und unter welchen Umständen er wie aktiv wird und wann er bereit ist, jemandem etwas mitzuteilen.
Die SL hat damit eine Herausforderung geschaffen, die sie nur noch durchstarten muss. Und damit es ab dem Auftritt der Charaktere auch ein echtes Spiel wird, wo es rein auf die Entscheidungen der Spieler ankommt, agiert die SL ab diesem Zeitpunkt als Weltsimulator. Sie darf einfach nichts mehr am Hintergrund drehen, dass den Spielern das Erreichen des Ziels zusätzlich erleichtert oder erschwert.
Sonst versaut sie das Spiel auf genau die gleiche Art und Weise wie ein Schiedsrichter, der ein Fussballspiel verpfeift oder jemand, der beim Schachspielen einfach mal ein paar Figuren verschiebt: Es ist Betrug, unfair, zerstört das eigentliche (sic) Spiel. Rollenspiel wird hier auf der gleichen Spielspassbasis wie Schach oder Fußball betrieben. Womit übrigens auch hoffentlich klar ist, wieso auch nur ein Jota vorgeskriptete Entscheidung schlicht und ergreifend "Das Böse" (TM) darstellt.
Dieser Rahmen beschränkt natürlich die Möglichkeiten, die man als SL hat, drohende Phasen der Langeweile zu unterbinden. Man kann Szenen schneiden, wenn klar ist, dass es nicht vorwärts und rückwärts geht und die Leute nur noch Zeit auf dem Weg zur spontanen Erleuchtung schinden wollen. Oder auch ein paar dramatische Effekte einschießen, man muss dann aber schon so fit in dieser Spielweise sein, dass man die zentrale Spielprämisse nicht verletzt: Es darf nur auf die Entscheidungen der Spieler ankommen, ob die gestellte Herausforderung letztlich geknackt wird oder nicht.
Ergebnisoffenheit II: Die Welt real werden lassen - Weltsimulation um der Weltsimulation willenDer einzige andere Grund, warum Leute auf dem Weltsimulationsmodell bestehen könnten, der mir so einfällt: Weil es allen eine Riesengaudi macht, eine Welt zu erspielen, die einfach "echt" wirkt, so als ob das Ding tatsächlich unabhängig von den Spielern vor sich hin existieren würde. Wobei ich bezweifele, dass die Leute es dann darauf anlegen würden, Detektivabenteuer zu spielen. Wenn es sich organisch ergibt: Klar. Mit wieviel Engagement sie daran gehen, das Ding zu knacken: Nicht vorhersagbar. Zumindest wird es den Spielspass nicht allzusehr tangieren, ob die Sache tatsächlich geknackt wird oder nicht.
Ergebnisoffenheit ist auch in diesem Modus absolut unabdingbar und bedeutet: Es muss der Eindruck entstehen, dass die Welt sich aus sich selbst heraus entwickelt. Das ist natürlich im Grunde nicht so. Aber worauf es letzlich ankommt, ist, dass es derart deutlich so erscheint, dass die Spieler ausblenden können, dass es ihre Entscheidungen sind, die die Sache sich so entwickeln lassen wie sie sich entwickelt.
Wobei ich vermute, dass diese Spielweise, die ja schon sehr stark in Richtung Physik-Engine läuft, recht selten genutzt wird. Wenn Leute ihre Lieblingsgenres zum Leben erwecken wollen, spielt meistens ein ziemlich hoher Dramaanteil eine entscheidende Rolle. Die pure Weltsimulation gibt dann einfach nicht genug her, man kann das Genre mit seinen typischen Stories damit einfach nicht auf die Bühne bringen.
Ergebnisoffenheit III: "Einfach einen tollen Krimi erleben" - Wo Weltsimulation keine Rolle mehr spieltWomit wir langsam den Bogen wieder zu Modell (b) ziehen, wo der SL möglicherweise auch einfach mal im Sinne des Dramas die Rolle eines NSCs nachträglich saftig bearbeiten darf. Hier zählt einfach nur die Prämisse: "Wir wollen einen tollen Krimi erleben." Natürlich ist es schön, wenn die Spieler selber richtig kombinieren, aber letztlich soll doch eine Sherlock Holmes-Geschichte rauskommen, und in der wird eben von den Protagonisten aufgeklärt, wer der Mörder ist.
Das bedeutet: Wenn die Spieler sich nicht gerade wie die allerletzten Deppen anstellen, dann haben sie ein Recht auf ihr schönes Krimiende. Da darf der SL gerne den ein oder anderen Zaunpfahl nachträglich einbauen bevor die Spieler zu sehr gefrustet werden. Den Täter auszutauschen o.ä. ist ein Grenzfall: Einerseits kann dabei eine viel coolere Story rauskommen und der Spass in die Höhe getrieben werden, andererseits könnten die Spieler erwarten, dass der SL wie ein Krimiautor seinen Fall nicht ändert. Das würde dann sozusagen zur Genrekonvention dazugehören, und käme deswegen nicht in die Tüte. Ansonsten wäre es natürlich vollkommen okay.
Ergebnisoffenheit heisst bei dieser Spielweise schlicht, dass der Spielleiter es mit den coolen Ereignissen, die er einzubauen gedenkt, nicht soweit treibt, dass er den Spielern auf Teufel komm raus irgendetwas aufzwingen will und dabei deren kreativen Input vernichtet. Dementsprechend wird er ein Detektivabenteuer so ähnlich organisieren wie bei einer Herausforderungsgruppe, kann sich aber natürlich viel mehr Freiheiten beim Einsatz von Drama gönnen.
Ergebnisoffenheit und das durchgeskriptete AbenteuerDie nahezu komplett durchgeskripteten DSA-Abenteuer sind übrigens letztlich auf das nahezu gleiche Spielziel angelegt, im Falle eines Krimis also "Krimi erleben". Sie bilden einfach das andere Ende der Fahnenstange, wo vor lauter dramatischen Events die Handlungsfreiheit der Spieler soweit untergraben wird, dass der Spielleiter gezwungen ist, möglichst geschickt ihre Charaktere wieder auf die Plotlinie zu ziehen. Das kann funktionieren, keine Frage. Es kommt einfach darauf an, was die anderen Spieler selber ins Spiel einbringen wollen. Solange das z.B. vorrangig die Darstellung ihres Charakters in den entsprechenden Situationen ist, verbunden mit ein wenig Nüsse knacken, um den nächsten Plotpunkt zu erreichen, läuft das Spiel rund und jeder hat seinen Spass.
Konsequenzen: Kaufabenteuer mal andersGanz offensichtlich reicht das einer Reihe von Spielern aber nicht, die grundsätzlich zwar mit dem Erlebenisrollenspiel konform gehen, aber denen die Verplottung eindeutig zu weit geht. Um dieses Problem zu lösen, bietet es sich an, Kaufabenteuer zu entwerfen, die Erlebnisrollenspiel nach den Kriterien von "Ergebnisoffenheit III" ermöglichen.
Das bedeutet: Vorgeplotteter Einstieg, der die Charaktere in das Abenteuer zieht und sie motiviert. Ein Mittelteil wie ein Meer voller Inseln, auf dem der Spielerkahn fährt: Das Meer sind die Locations (einschließlich was wann wo üblicherweise passiert) und die NSCs (inkl. deren Motivation, was sie getan haben und ihr Beziehungsnetz). Die Inseln sind die dramatischen Ereignisse, die sich aus Zeit/Location/NSC-Kombis absehbar ergeben. Man sollte nicht allzu viele Inseln setzen und v.a. muss als goldene Regeln gelten: Alles kann, nichts muss. Der Spielerkahn muss keine dieser Inseln unbedingt anlaufen, die können alle vorher auch untergehen. Eine gewisse Strömung in Richtung "Finale des Abenteuers" ist gewünscht, da wird es vermutlich auch wieder mehr Land geben (= vorbereitete dramatische Events, aber bitte ohne Bindung an vorherige Inselbesuche) .
Ich behaupte einfach mal, dass DSA-Abenteuer seit jeher eine starke Neigung hatten, die Erlebnisspieler zu bedienen, und im Laufe der Zeit dabei ziemlich Schlagseite in Richtung "Abenteuer als Nachspielroman" bekommen hat, was zumindest Teile der Fans dieser Spielweise aber anödet. Von den Herausforderungsspielern, die für ihr Spiel Abenteuer der Marke "Ergebnisoffenheit I" bräuchten, will ich lieber gar nicht erst reden:
Bei dem ein oder anderen Thread, wo ein DSA-Abenteuerautor mitgeschrieben hat und es um das Thema "Railroading" oder "Ergebnisoffenheit" ging, hatte ich den Eindruck, dass der betreffende Autor überhaupt keine Ahnung hat, wie diese Art zu spielen tickt, und warum man da auf bestimmte Sachen unbedingt achten muss. Von der sog. thematischen/narrativen/... Spielweise, die Jasper im Eingangsposting angeschnitten hat, will ich lieber erst gar nicht reden. Ausser ein paar Insidern hat nach meinem Eindruck die gesamte DSA-Community keinen Schimmer, wie Story Now funktioniert, geschweige denn, dass es sowas überhaupt gibt.
Ansonsten bleibt für mich als Fazit noch: "Ergebnisoffenheit" ist ein Begriff, der genau wie "Railroading" ganz stark davon abhängt, auf welche der genannten (und weiteren noch ungenannten) Arten eine Gruppe Rollenspiel betreibt. Ohne sich darauf zu beziehen, macht eine Definition keinen Sinn, mit einer Ausnahme: In jedem Fall gilt "ergebnisoffen = kein Railroading" und umgekehrt.
Dr. Boomslang hat für meinen Geschmack aber wirklich gut die Quintessenz gezogen, worum es bei diesen ganzen Geschichten um Ergebnisoffenheit geht: Um den kreativen Beitrag aller Spieler, der nicht entwertet werden soll. Aber was das konkret bedeutet, hängt nun mal ganz entscheidend von der Spielart ab.