ABOREA - ERSTER EINDRUCKAborea wird als Einsteigerollenspiel vermarktet, und es sieht sich in der Aufmachung als eines der Erben der alten roten Mentzer D&D-Box, deren inhaltliche Aufteilung es in weiten Teilen übernimmt. Begrüßenswert, denn die rote Box setzte beim Thema "unbedarfte Neulinge einführen" Standards, die eigentlich bis heute nicht wieder erreicht wurden.
Das MaterialDer schöne, schwere Karton ist mit einer stimmungsvollen Titelillustration versehen, die Lust macht auf mehr. In der Box finden sich zunächst zwei Hefte, eines für Spieler, eines für Spielleiter, soweit, so klassisch. Unklassisch ist die vollfarbige Illustration der Bücher. Die Grafiken gefallen mir sehr gut, nur sind sie furchtbar dunkel geworden, die Götter-Symbole z.B. sind im Grunde gar nicht erkennbar, aber auch viele der anderen Illus (z.B. die der Völker) sind einfach zu dunkel. Noch störender aber ist der lappige Einband der beiden Hefte.
Unter den Heften liegt die sattsam durchs Internet getragene Karte von Leet, die wirklich sehr schön ist. Darunter wieder eine riesige, wirklich riesige Karte des Kontinents Palea. Wegen des Formats ist der tatsächliche Nutzen am Spieltisch allerdings eher eingeschränkt, außerdem ist sie auch für meinen Geschmack zu dunkel und zu einförmig.
Abgerundet wird das alles mit den notwendigen 2W10. Jo, was fehlt? Charakterbögen natürlich. Für ein Einsteigerspiel unabdingbar, aber leider findet sich hier nur eine Kopiervorlage auf der Rückseite des Spielerheftes. Also heißt es vor dem Losspielen kopieren oder aus dem Internet ausdrucken. Tststs. Ein Faux-Pas.
Das SpielerheftDas Spielerheft beginnt dann schon einmal mit einem Verweisklops. Der erfahrene Spieler wird ans Kapitel "Die Welt" verwiesen, was wenig Sinn macht und sich auch gar nicht in diesem Heft befindet. Korrekt wäre der Verweis aufs Kapitel "Das Spiel" gewesen. Ach ja, ein Inhaltsverzeichnis fehlt übrigens.
Während der erfahrene Spieler also nach der "Welt" sucht (ein sicherlich deprimierendes Gefühl), bekommt der unerfahrene einen Einblick in abenteuerliches Leben. Oh je. Hotzenplotziger als übelste Aventurienschreibe erfahren wir, wie die kleine Lena entführt wird und der Held seine Liebste nicht retten kann. Eine stilistische Überarbeitung erscheint hier für spätere Auflagen dringend angeraten ("Auch Lena blickt Sie an, und ihr Herz scheint vor Freude zu hüpfen" - "In ihrem Herzen regt sich gewaltig etwas" etc. pp), denn wenn auch 12+ als Altersangabe auf der Packung steht, wollen wir die Lieben doch nicht derart unterfordern. Aber auch abgesehen davon macht dieses... Abenteuer "Sylvanas Befreiung" im Vergleich zu einem echten Schocker.
Das sich anschließende vierseitige Solo überschlag ich jetzt einfach mal, denn wenn es im selben Stil ist, dann wird das hier ein Verriß. Danach kommt der Crunch, und der sieht weiß Gott besser aus.
Es werden in mehreren Kapiteln die Rassen und Klassen, pardon, die Völker und Berufe gestellt, die die Spielwelt zu bieten hat, daraus ergibt sich schon eine recht große Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten. Völker und Berufe sind, was ihre Beschreibungen und Spezialfertigkeiten angeht, sehr "klassisch" orientiert. Bei der Charaktererschaffung werden die Attribute über ein Kaufsystem bestimmt, dann Volk und Beruf gewählt, dann die Fertigkeiten genommen und schleßlich die Ausrüstung. Mit einem Dutzend Fertigkeiten hält sich der Aufwand hier in Grenzen. Im Kapitel über Fertigkeiten wird dann auch gleich deren Anwendung besprochen und mit Standardsituationen (Fallen entschärfen, Heilen etc.) illustriert. Das alles ist eingängig und übersichtlich.
Das Kampfkapitel schafft es tatsächlich, auf etwas über 3 Seiten + 1/2 Seite Beispiel das Kampfsystem nahezubringen. Grundlage ist der Kampfwert eines Charakters, der auf Offensive und Defensive gesplittet werden kann, eine alte, aber elegante Lösung, um defensive und offensive Kampfweisen zu simulieren. Die Parade ist passiv, d.h. es folgt kein Abwehrwurf gegen einen gelungenen Angriff. Die Höhe des Angriffswurfes beeinflußt auch den Schaden. Simpel, eingängig, spielbar.
Das Magiekapitel kommt im Vergleich fettleibig daher und erzählt erst lange über Codici, weiße und schwarze Magie, Elementarmagie etc. bevor es zum Kern kommt. Das ist sicherlich nicht schlecht gemeint, aber der kleine Fluffy ist leider erkrankt an... ah den beschränkten literarischen Fertigkeiten des Verfassers und liest sich daher so interessant wie das Kleingedruckte im Handyvertrag. Kostprobe gefällig?
Wer sich nicht an die Regeln seiner Organisation hält, kann mit angemessenen bis hin zu drakonischen Strafen rechnen. Gar keine Toleranz gibt es bei dem Verstoß gegen eines oder alle drei obersten Gebote des Kodex. Es mag zu Recht eigenwillig anmuten, aber die Gebote gelten in dem Fall nicht untereinander.
Nach dieser kleinen Anmutung kommt dann der Crunch des Kapitels, ein Rolemaster-Magie-Klon mit Punkten und Zauberlisten. Ich habe schon schlechteres gesehen. Auch hier gilt: Zugänglich und eingängig. Bravo.
Das Kapitel Göttliches, ich lins dann schon mal vor, scheint nur Fluff über verschiedene Mythen und Pantheons zu sein, die Aborea zu bieten hat, und nach dem hinkenden Fluffy im Magiekapitel überschlag ich das mal. Es schließt sich das Ausrüstungskapitel an (knapp, aber ausreichend) und eine Art "Verschiedenes" (Zeit, Belastung etc.).
Das beschließt das erste Buch.
Das SpielleiterheftNa also, ein kleines Inhaltsverzeichnis; geht doch! Dann natürlich wieder eine essentielle Frage: Ist "Malusse" wirklich deutsch? Heißt es nicht "Mali"? Aber das ist Gekrittel am Rande. Das SL-Heft beginnt mit den essentiellen Aufgaben: Beschreiben, darstellen, reagieren, würfeln. Ja, vor allem verdeckt würfeln.
Stets verdeckt würfeln. Hmmmmh.
Das Einsteigerabenteuer schließt an das Solo an, das ich nicht gelesen habe. Der Auftakt ist schon mal ganz schwach strukturiert: Anstatt zu erzählen, ich solle Kerzen anzünden und Musik abspielen, wäre da eine Zusammenfassung des Abenteuers zu Beginn nicht angebrachter? Jedenfalls hat es eine Reise durch die Wildnis, Verließe und Gegner. Viel wichtiger sind die eingestreuten SL-Tips zu Themen wie Plot-Hooks, Marschordnung, Lageplänen, Nahrung, Licht, etc. Und am Schluß gibts XP. Alles da, was man braucht. Das Ab hab ich noch nicht gelesen, weil sich daran vielleicht ein hoffnungsvoller Nachwuchs-SL mit mir in der Gruppe versuchen will.
Als nächstes folgen Sonderregeln. Diese erweitern den doch eher straffen Korpus des Spielerheftes um weitere Optionen im Kampf, Infos zur Heilung, zu Krankheiten (sehr beliebt, siehe entsprechenden DSA-Strang), Giften und allerlei anderem. Gerade die erweiterten Regeln zur Magie sind sehr nützlich (z.B. über Magische Gegenstände) und sollten bald Einzug ins Spiel finden.
Im Folgekapitel "Besonderes" werden dann Dinge wie "Ruf" behandelt, was aber nicht sehr ausgegoren ist, im Vagen verharrt und z.B. offenläßt, was der "Titel" eines Helden für Auswirkungen hat. Ebenso dünn sind die Informationen zur "Dynastie", hier wurde eindeutig zuviel reingepackt und dann nur angerissen. Auch mehr "angetackert" erscheint der Talentebaum, der den verschiedenen Klassen in bestimmten Stufen einen Feat, pardon, ein Talent zukommen läßt. Sehr bunt, sehr platzaufwendig, ziemlich nutzlos.
Was sich anschließt, ist "Die Welt" (hier also): Eine Kurzbeschreibung des Kontinents Palea, hauptsächlich des Reiches Trion. Interessant sind die Gewichtungen dieses Kapitels: Klima, Wirtschaft, Zeitrechnung und Landschaft erhalten zusammen gerade mal soviel Raum wie die Sprachen. Gesetzen und Gerichten räumt man aber angemessen viel Platz ein. Nach einem Abriß der Geschichte (untergegangenes Imperium) finden sich dann sehr ungeordnete Beschreibungen diverser Örtlichkeiten, die weder nach Art (Stadt, Landstrich), noch nach Bedeutung, noch nach dem guten alten Alphabet sortiert sind. Aber immerhin weiß ich jetzt, daß in Padova genau 4 Halblinge leben. Der Abschnitt über Mächte und Gruppierungen ist eigentlich der mit dem eigentlichen Wumms für ein Setting, aber er ist leider nur sehr, sehr kurz.
Es folgen Abenteuerideen und ein Abenteuergenerator (nett, aber für mich die unkreativste Art, ein Abenteuer zu entwerfen), eine Monsterliste mit ca. zwanzig Monstern, deren sehr kleine Statblöcke angenehm auffallen, und Kapitel zu magischen Gegenständen und Artefakten.
Und dann sind wir durch.
FazitFür 20 Euronen hat man hier eine schöne dicke, optisch grandios gestaltete Aufmachung, deren einzige Wermutstropfen die lappigen Cover sind. Statt der XXXL-Karte des Kontinents hätte ich mir eher anständige Pappumschläge gewünscht. Ansonsten ist das Preis-Leistungsverhältnis rein vom Material her sehr gut.
Aber ist es wirklich das Spiel für Einsteiger, das es sein will? Jein. Die Engine ist robust, eingängig und auch zugänglich. Das ist alles rasch zu meistern und auch zu erlernen. Insofern ist es ein gutes Einsteigersystem.
Andererseits sind die Einstiegstexte, pardon, grauenvoll. Das ist... wie soll ichs beschreiben? Ich habs einem 30jährigen zum Geburtstag geschenkt, ich hoffe er ist nicht beleidigt. Das ist DSA für 12jährige. Sicher, die Box richtet sich an 12+, aber das "+" erscheint mir dabei vergessen worden. Auch nicht ausreichend ist mMn die Hinleitung zum Spielleiten selbst, zumal der SL tatsächlich sogar "Geschichtenschreiber" bezeichnet wird (I/4) und somit von vorneherein wieder die falsche Erwartungshaltung besteht. Absätze wie der, man solle "Spannungsbögen" dadurch erzeugen, daß man nur verdeckt würfle, oder daß der SL durchaus auch einen Spieler mit vor die Tür nehmen solle, um ihm Infos zu geben, das alles... Naja, es hinterläßt einen zwiespältigen Geschmack.
Solides, einsteigerfeundliches Rollenspiel in schöner Verpackung mit fraglicher Didaktik. Mentzer siegt 2:1.