Shynassar hatte zwei Anhaltspunkte: „Ausbildungsstätte“ war der eine, „die Forsaken“ der andere, also war es logisch, dass er seine Nachforschungen in Undercity begann. Die Magier der Untotenstadt wussten aber nichts über eine Außenstelle ihrer Akademie – oder wollten nichts wissen. Zunächst höflich, dann immer deutlicher machten sie dem Sin'dor klar, dass die magische Ausbildung der Forsaken in Undercity stattfinde und zu allererst und vor allem Sache der Forsaken sei, für die ein Blutelf sich nicht zu interessieren habe.
Nachdem er im Verlauf etlicher Tage so ziemlich das ganze Magierviertel ausgefragt und keine Antwort bekommen hatte, wählte der junge Patrizier schließlich eine andere Strategie. Über mehrere Stationen (die zwielichtigen Elemente der Stadt waren misstrauisch) nahm er Kontakt mit der Unterwelt des ehemaligen Lordaeron auf und erkundigte sich
dort nach dieser ominösen Ausbildungsstätte. Aber auch die Schurken konnten oder wollten ihm nichts darüber sagen, wurden gegen Ende sogar fast feindselig – bis ihm einer von ihnen, als Shynassar schon fast am Verzweifeln war, weil er nicht wusste, wo und wie er sonst noch suchen sollte, außer jeden einzelnen Bewohner Undercitys zu befragen und, wenn das nichts helfen würde, systematisch jeden Meter der untoten Lande abzugrasen, widerwillig zuraunte: „Versucht es bei Salazar Bloch, dem Buchhändler.“
[Diese Suche in Undercity war übrigens reine NSC-Interaktion: Shynassar lief in UC herum, sprach die NSCs an und ging auf ihre imaginären bzw. von mir selbst geposteten Antworten wiederum ein.]
Salazar Bloch. Endlich eine Spur. Natürlich, ein Buchhändler – auf die Idee hätte er auch selbst kommen können. Wo auch immer diese zweite Akademie sein mochte, sie würde Unterrichtsmaterialien brauchen, und wer besser, sie damit zu beliefern, als der Händler für magische Literatur?
Doch auch der Buchhändler reagierte auf Shynassars erste Anfrage deutlich reserviert. „Ich weiß nicht, was Ihr meint“, war seine Antwort, „die magische Akademie der Forsaken befindet sich direkt hier in Undercity. Sprecht mit Bethor Iceshard, deren Direktor, oder einem der Dozenten.“
Das jedoch war eine Auskunft, die der Sin'dor nicht zu akzeptieren bereit war. Hartnäckig blieb er dabei, dass der Händler doch etwas wissen müsse, dass diese Außenstelle der Akademie Kontakte zu einer blutelfischen Magistrix namens Sionná Sonnenlauf haben müsse; zumindest habe diese der Ausbildungsstätte wenigstens eine neue Studentin gesandt. Shynassar hatte das Gefühl, als fliege bei der Erwähnung des Namens „Sonnenlauf“ ein unbestimmbarer Ausdruck über Blochs Gesicht, als käme die Verneinung seitens des Forsaken etwas zu schnell, etwas zu vehement, doch wenn, dann war der Gesichtsausdruck zu schnell wieder verschwunden, als dass er hätte sicher sein können.
Der Magier hatte eben mit einer heftigen, nachhakenden Erwiderung begonnen, da tauchte zu seiner Linken eiligen Schritts eine Gestalt auf, die vor dem Buchhändler zum Stehen kam und ihn barsch anblaffte: „Das Buch, das ich letzte Woche bestellt habe, ist es gekommen?“
Beim Klang dieser Stimme fuhr Shynassars Kopf herum: „Lilié?“
Doch die weißblonde Sin'dorja trug eine Maske, und wirklich
erkannt hatte er ihre Stimme nicht, so rauh hatte diese geklungen. Sie warf ihm einen kurzen, irritierten Blick zu und bedachte dann Salazar Bloch, der inzwischen höflich-unterwürfig verneint hatte, mit einer derartig giftigen, bösartigen und von heftigsten Schimpfwörtern gespickten Tirade, dass Shynassar buchstäblich mit den Ohren schlackerte.
Solch üble Sprache, das konnte nicht Lilié sein.
„Verzeiht... ich muss mich geirrt haben“, sagte er daher – im selben Moment, wie die Sin'dorja zu ihm herumfuhr und ihn aus glühenden Augen anstarrte. „Woher kennt Ihr mich?“
Entsprechend verwirrt versuchte der junge Blutelf ihr zu erklären, wer er war und woher sie einander kannten; er zitierte sogar den Zauberspruch, den sie bei ihrer Lernstunde geübt hatten, in der Hoffnung, damit bei ihr eine Erinnerung auszulösen. Und irgendwann schien es tatsächlich, als habe er Erfolg. „Shynassar. Ihr heißt Shynassar“, sagte sie, und er wollte schon erleichtert nicken, als sie fortfuhr: „aber woher ich weiß, dass Ihr Shynassar heißt, habe ich keine Ahnung!“ Es folgte eine weitere Tirade von wilden Flüchen, dann ein Schmerzensschrei - und dann brach die Magie völlig unkontrolliert aus ihr heraus, brach sich Bahn in einer Reihe zunehmend heftiger Zauber. [Sprich all solcher Zauber, die sich in WoW wirken lassen, auch ohne dass ein feindliches Ziel anvisiert ist: Flamestrike, Arcane Nova, all diese Dinge. Dazu das eine oder andere Blinzeln, und heraus kam tatsächlich ein wunderbar passender chaotischer Effekt.]
Völlig verausgabt, brach Lilié schließlich neben dem Kanal zusammen, noch immer vor Schmerzen wimmernd und kaum mehr bei Bewusstsein. Die Maske war ihr vom Gesicht gerutscht, und man konnte sehen, dass sich eine lange, hässliche, gezackte Narbe ihre Wange herunterzog. Shynassar hatte nur einen einzigen Gedanken: weg hier, nur weg, heim nach Silvermoon und Hilfe finden. Den Forsaken traute er nicht – nicht nach ihrem seltsamen Verhalten bei seiner Suche. Andererseits jedoch sah Lilié übel aus, und Shynassar wagte es nicht, die Zeit zu verschwenden und die Magierin den ganzen Weg zu tragen. In seiner verzweifelten Not gelang ihm etwas, von dem er bisher nur gelesen hatte, nämlich die Öffnung eines Portals nach Silvermoon. [Das Portal wurde natürlich von Lilié geöffnet, da Shynassar auf Level 2 von dergleichen nur träumen konnte, aber in-time kam es von ihm, Lilié war ja außer Gefecht.]
Glücklicherweise waren es von der Magierenklave, wo das Portal die beiden Elfen ausspuckte, bis hinüber zum Priesterorden nur einige wenige Schritte. Krank vor Sorge, gab Shynassar seine Studienpartnerin in die Hände von Priesterin Belestra, mit den passenden bangen Fragen à la „Ihr könnt ihr doch helfen, oder? Sagt, dass Ihr ihr helfen könnt...“ und dergleichen.
Die Priesterin [übernommen von Liliés Spieler, der in seinen Emotes und Aussagen kenntlich machte, dass sie von Belestra kamen, nicht von Lilié selbst] untersuchte die bewusstlose Magierin (die Spuren körperlicher Misshandlung wie Striemen und blaue Flecken trug) und kam schließlich zu einem beunruhigenden Ergebnis: Man hatte Lilié einen arkanen Splitter eingepflanzt, ein verzaubertes und mit Runen versehenes Stück Metall, ein ganz perfides Stück arkaner Technologie.
Es lud sich von Liliés magischen Energien auf und sollte ihr helfen, sich zu fokussieren und die Kontrolle zu behalten. Das war aber auch der einzige Vorteil daran. Außerdem diente es dazu, sie zu überwachen, sie zu züchtigen, ihr Schmerzen zuzufügen - und auf Befehl zu explodieren... oder bei dem Versuch, ihn zu entfernen.
Die Priesterin erklärte, dass es eine hochriskante Operation sei, es trotzdem zu versuchen – aber dass es wenn überhaupt, jetzt geschehen müsse, wo Lilié all ihre magische Energie so vollständig verausgabt habe und auch der Splitter bei ihrem Ausbruch komplett entladen worden sei. Er habe schon wieder begonnen, sich aufzuladen, aber noch nicht wieder genug Energie gesammelt, um explodieren zu können. Dennoch sei das Artefakt auf magischem Wege derart eng mit Liliés Körper verbunden worden, dass Belestra nicht für das Überleben der Magierin garantieren könne.
Shynassar hörte sich das an und wog ab, doch es gab keine Wahl. Der Splitter musste entfernt werden, und jetzt war die einzige Chance dazu, wo die Magistrix vermutlich noch nicht wusste, dass Lilié von ihrem Buchkauf nicht zurückkehren würde. Sobald das Artefakt wieder aufgeladen war, konnte die Magistrix es jederzeit zur Detonation bringen. Also musste es
jetzt heraus.
Die Priesterin bat Shynassar, Lilié während der Operation festzuhalten, was dieser natürlich tat.
Je länger der Eingriff dauerte und je deutlicher wurde, wie schwierig er für Heilerin und Patientin war, desto größer wurde Shynassars Angst um Lilié. Denn erst jetzt, in dieser für Lilié lebensbedrohlichen Situation, erkannte er, dass die Magierin ihm doch sehr, sehr viel mehr bedeutete als nur eine reine Studienpartnerin.
Schließlich artikulierte sich seine Sorge in einem „Bleib bei mir. Ich kann dich nicht verlieren. Ich liebe dich...“ [es geht doch nichts über einen wohldosierten Sprinkler Klischee im richtigen Moment
], auch wenn – oder gerade weil – Lilié bewusstlos war und seine Liebesbeteuerung nicht hören konnte. Dass sie vielleicht sterben würde, ohne dass er die Gelegenheit haben würde, sie besser kennenzulernen, ohne dass sie je um die Gefühle wissen würde, die wohl schon seit einer Weile in ihm schlummerten, die er aber eben erst entdeckt hatte, und ohne dass er je wissen würde, ob sie diese erwiderte; dass sie vielleicht sterben würde, ohne dass er diese Gefühle je würde weiter ausloten können, das zerriss ihn beinahe. Überhaupt die Tatsache, dass sie vielleicht sterben würde, war ihm unerträglich.
Doch die Operation gelang. Belestra hatte sich ziemlich verausgaben müssen bei der Heilung, aber Lilié war gerettet, wenn auch noch immer ohne Bewusstsein und sehr schwach.
Die Priesterin hatte Shynassars Worte natürlich gehört und warnte ihn nun: Man könne nicht wissen, was die körperlichen (und vermutlich auch seelischen) Misshandlungen sowie die Gegenwart des Splitters mit Liliés Gemüt angerichtet hätten; vermutlich würde sie sehr labil sein, wenn sie aufwache, und vielleicht nicht in der Lage, mit übermäßiger Zuneigung seitens des Magiers fertigzuwerden. Daher riet sie ihm dringend, ihr von seinen Gefühlen nichts zu sagen, sondern abzuwarten und sehr vorsichtig zu sein.
Irgendwann kam die Magierin zu sich, und Shynassar ließ sie, weil sie noch zu schwach war, um bewegt zu werden und außerdem nicht wusste, wo sie hingehen solle, zunächst in der Obhut des Priesterordens zurück, nachdem er Belestra ein wenig von Liliés Problemen mit ihrer Magistrix berichtet hatte (denn natürlich hatte die Heilerin wissen wollen, welches Monster zu einer solchen Untat wie der mit dem Splitter fähig sei) und ihm versprochen worden war, Lilié sei hier völlig sicher.
Außerdem empfahl ihm die Priesterin, sich mit einer gewissen
Kyuri Silberblatt in Verbindung zu setzen: Die Todesritterin war nach der kürzlich erfolgten Befreiung von Highlord Mograine nach Silvermoon geschickt worden, um dort als Verbindungsperson für die Schwarze Klinge tätig zu sein und an der Verbesserung der Beziehungen zwischen Silvermoon und Acherus zu arbeiten. Sie sei derzeit vor allem im Auftrag des Priesterordens unterwegs, und wenn Shynassar der Klingenritterin Belestras Namen nenne, werde sie ihn bestimmt unterstützen. [Diese Todesritterin war auch ein Charakter von Liliés Spieler; er hatte gerade vor kurzem mit ihr das Anfangsgebiet absolviert und suchte nun einen Aufhänger dafür, sie in das RP zu bringen]
Gesagt, getan: Shynassar fand die Todesritterin am bezeichneten Ort vor und versicherte sich ihrer Unterstützung bei der Suche nach der Magistrix. Nach einem kühlen und sachlichen Gespräch waren sie sich einig: Die Lady Silberblatt wollte sich zunächst in Undercity umhören, während Shynassar unauffällig in Silvermoon selbst, vor allem in der Akademie, nachzuforschen gedachte.
Bis der Magier und die Ritterin der Schwarzen Klinge sich wieder trafen, besuchte Shynassar Lilié mehrmals im Priesterorden. Zu seiner Freude ging es ihr zunehmend besser, und inzwischen erkannte sie ihn auch wieder, nachdem sie anfangs noch vor allen Elfen außer ihrer Bezugsperson Belestra panisch zurückgeschreckt war. Zu des Magiers nicht geringer Verlegenheit waren seine Worte während der Operation doch so halb an ihr Bewusstsein gedrungen; sie fragte ihn, ob sie das nur geträumt habe, oder ob seine Beteuerung Wirklichkeit gewesen sei.
Shynassar bekannte sich zu seinen Gefühlen, merkte aber auch, dass Lilié diese zumindest im Moment noch alles andere als recht waren, und erklärte ihr, dass sie sich davon in keinster Weise gebunden oder bedrängt fühlen solle. Er vergrub seine Zuneigung in sich und behandelte die Magierin weiter mit freundschaftlicher Zurückhaltung.
Lilié hatte von ihrer Tortur bei der Magistrix eine tiefe, lange Narbe im Gesicht zurückbehalten, was sie zutiefst verunsicherte und auch der Grund war, warum sie immer eine Maske trug. Shynassar war der Ansicht, es müsse doch einen Weg geben, diese Narbe zu entfernen, wenn nicht mit normalen Heilmethoden, dann auf magischem Wege, und versprach seiner Studienpartnerin, auch danach zu forschen, wenn es die Suche nach der Magistrix zuließe. Von der Idee schien Lilié neuen Mut zu fassen und erklärte, ebenfalls die Bücher studieren zu wollen.
Da die Magierin keinen Ort mehr hatte, wo sie hingehen konnte – die Akademie war logischerweise zu gefährlich, bei den Priestern konnte sie nicht ewig bleiben, und eine eigene Bleibe in Silvermoon besaß Lilié nicht - bot Shynassar ihr an, doch für eine Weile in das Anwesen seiner Familie zu ziehen. Auf die Idee, dass man dies vielleicht für unschicklich halten könne, kam der junge Patrizier gar nicht: Haus Talamirrién war groß und besaß etliche ungenutzte Zimmer, und überdies wohnte zu der Zeit auch
Rína Shindarél dort, die unglückliche Verlobte seines Bruders Sandovar. [Ein weiterer Teil des großen Über-Plots, der hier jeglichen Rahmen sprengen würde.
] Lilié nahm das Angebot dankend an; aber dann war auch schon der Zeitpunkt gekommen, an dem Shynassar sich wieder mit Kyuri Silberblatt treffen wollte, um die Ergebnisse ihrer Nachforschungen und das weitere Vorgehen zu besprechen.
Der Sin'dor hatte bei seinen vorsichtigen Erkundungen an der Akademie herausgefunden, dass Sionná Sonnenlauf tatsächlich bereits seit 180 Jahren dort lehrte und einen ausgezeichneten Ruf genoss. Von Seiten der Fakultät, der sie nach ihrer eigenen Ausbildung zunächst als Assistentin, dann als vollwertige Dozentin und inzwischen sogar in einer leitenden Position auf ihrem eigenen Fachgebiet angehörte, war nichts Negatives über die Magistrix bekannt – und dass im Laufe der Zeit immer wieder Schüler von ihr verschwunden waren, war auch nicht groß aufgefallen. Zu wenige waren es über die Jahre, zu unterschiedliche Gründe wurden für deren Verbleib genannt; aber Shynassar, der mit misstrauischen Augen suchte, befürchtete einen Zusammenhang.
Wie dem auch sei, des Sin'dors Hoffnung, an der Akademie weitere Hilfe zu finden, war damit zunächst einmal hinfällig. Die Magistrix war dort zu angesehen – um den Lehrstab von ihren unerträglichen Methoden zu überzeugen, würde es mehr bedürfen als die Aussage einer unbedeutenden, von ihrer Lehrerin als „talentlos und dumm“ eingestuften Studentin zweifelhafter Herkunft. Dazu musste Shynassar zunächst handfeste Beweise finden.
Leider hatte Kyuri Silberblatt in Undercity auch nicht sonderlich mehr herausgefunden als Shynassar bei seinen eigenen Vorstößen in der Stadt der Untoten. So blieb den beiden Sin'dorei nicht viel mehr, als dort anzusetzen, wo der letzte Versuch geendet hatte: bei Salazar Bloch, dem Buchhändler.
Die Lady Silberblatt war nicht zimperlich. Während Shynassar danebenstand, die eine oder andere Frage einwarf und sich bemühte, möglichst bedrohlich zu wirken (also nicht sehr: in seiner feinen Magierrobe, mit langen, wohlfrisierten Haaren, seinen guten Manieren und einem Schwert an der Seite, das sich dort extrem ungewohnt anfühlte und das er noch nie benutzt hatte) und Kyuri zu unterstützen versuchte, indem er ein grimmiges Gesicht machte und bedeutungsschwer einen Feuerball in der offenen Handfläche tanzen ließ, ließ die Todesritterin keinen Zweifel daran, dass der Forsaken entweder kooperieren könne oder einen sehr unangenehmen endgültigen Tod sterben.
Schließlich rückte der Verkäufer mit der Sprache heraus. Das Buch, das Lilié hatte erstehen wollen, war inzwischen angekommen; es lag in einem Stapel weiterer zur Abholung bereiter Bücher auf dem Tisch. Einen direkten Kontakt zur Magistrix Sonnenlauf bestritt der Verkäufer, nannte aber schließlich einen weiteren Namen, von dem er glaube, dass dieser mehr über die Elfin und deren Ausbildungsstätte, von der Bloch gehört hatte, aber auch unter Androhung von Gewalt nichts Näheres zu sagen vermochte, wissen könne: Alessandro Luca, seines Zeichens Händler für dies und das, für alles und nichts, aber vor allem für Informationen und Neuigkeiten. Zu finden sei er im Apothekerviertel.
Shynassar nickte und wollte sich schon abwenden, um diesen Luca aufzusuchen, da wandte sich Kyuri halb zu ihm. „Er wird uns verraten, das wisst Ihr“, sagte sie trocken, und ehe der Sin'dor darauf reagieren konnte, hatte sie den Buchhändler schon erschlagen. Der junge Adlige war zutiefst geschockt, doch Kyuri blieb völlig ungerührt. „Er hätte uns verraten“, wiederholte sie nur, „das können wir uns nicht leisten“, und Shynassar, so entsetzt er war, musste mit einem winzigen Teil seines Bewusstseins zugeben, dass sie vermutlich recht hatte.
Noch war der Buchladen leer und unbesucht, keine lebende oder untote Seele zu sehen, und so hatten sie Zeit, sich das Buch anzuschauen, das Lilié hatte abholen wollen. Shynassar sagte es zunächst nichts, doch Lady Silberblatt warf einen Blick darauf und erstarrte.
Einsatz der Nekromantie zur Aufbesserung vernunftbegabter Wesen durch arkane Mittel hieß es und war verfasst von einem gewissen Instruktor Razuvious, den die Sin'dorja aus ihrer Zeit vor der Befreiung kannte. Er habe Arthas' neue Todesritter ausgebildet, mit Methoden, an die sie lieber nicht zurückdenken wolle. Wenn Sionná Sonnenlauf jetzt ähnliche Methoden an lebenden Schülern anwandte... an Lilié angewandt hatte... Shynassar wollte es sich gar nicht ausmalen.
Jedenfalls war die Tatsache, dass die Magistrix ein solches „Lehrbuch“ an ihrer Privatakademie verwendete, überhaupt kein gutes Zeichen.
Shynassar nahm das Buch als Beweisstück an sich, dann verließen die beiden Sin'dorei eilig den Ort des Geschehens und machten sich auf ins Apothekerviertel.
Kyuri ging bei Alessandro Luca ähnlich rigoros vor wie bei dem Buchhändler Bloch. Doch dieser lachte nur über ihre Drohungen, und auch Shynassars Spielchen mit dem Feuerball in der Handfläche ignorierte er völlig. Frustriert ließ der Magier die arkane Manifestation irgendwann verschwinden, zog statt dessen sein Schwert und hielt es dem Forsaken an die Kehle. Nicht, dass das sonderlich mehr nutzte als die Überredungsversuche der Todesritterin. Diese ging immer rücksichtsloser vor, bis hin zu Foltermethoden, denen Shynassar schockiert zusah, sie aber in dem Bewusstsein duldete, dass ihre einzige Spur versiegen würde, wenn sie Luca nicht zum Sprechen brachten.
Schließlich redete der Informationshändler tatsächlich, unter großem Widerstreben. Die Magistrix Sonnenlauf habe ein Lager bei Agamands Mühlen, wo sie Studien betreibe und Schüler ausbilde.
Und dann, als die beiden Elfen einander für einen kurzen Moment anschauten – Shynassar wohl wissend, dass die Lady Silberblatt auch diesen Forsaken jetzt zum Schweigen bringen würde, wofür er sich gleichzeitig hasste, weil er dies zuließ, andererseits aber bitter entschlossen war, alles, wirklich alles zu tun, was nötig wäre – nutzte Alessandro Luca die winzige Ablenkung und schrie aus Leibeskräften Zeter und Mordio.
Shynassar fuhr bei Lucas Schreien erschrocken zusammen und machte eine unwillkürliche Bewegung – mit der Hand, die noch immer sein Schwert an des Untoten Hals hielt. Ohne, dass er es wollte oder kontrollieren konnte, zuckte die Klinge vor und schnitt dem Informationshändler die Kehle auf. Mit einem Röcheln sackte dieser zusammen und lag still, während der Magier fassungslos danebenstand. Nun war er selbst ein Mörder...
Schon hörte man laute Rufe und die Schritte der Wachen, die sich schnell näherten, doch Kyuri musste Shynassar mehrmals auffordern, ja sogar laut anschreien und wegzerren, ehe sich die Erstarrung des jungen Patriziers löste.