Ich bin Simulationist. Im simulationistischen kann man Railroading beschreiben ohne dass man auf "Offenheit" oder "Legitimation" zurückgreifen muss.
Ein RPG ist eine Simulation einer anderen, oft fantastischen Welt. Die Regeln dienen zur Kommunikation und etablierung der Gesetze der Welt den Spielern gegenüber (SL eingeschlossen) aber konstituieren nicht an sich die Regeln der Welt selbst, denn es ist eine Simulation. Um aber ein befriedigendes Ergebnis am Spieltisch zu haben wird abstrahiert, d.h. es wird versucht, die Gesetze auf die wesentlichen Merkmale zu vereinfachen. Was das bedeutet ist dass die Regeln nicht fest sind. Warum ist das wichtig? Nehmen wir ein Beispiel DSA:
Eine Gruppe von SCs latscht einen Waldpfad entlang da sie einen Plotball zugeworfen gekriegt haben. Irgendwann treffen sie auf einen Streuner. Dieser Streuner ist, ohne dass das die SCs ahnen, der überraschte Späher einer Räubertruppe (er hat noch nicht so viel Ahnung von Wildnisleben und liess sich deswegen überraschen) den Spielern gegenüber gibt er sich als Wandersmann auf dem Weg in eine nahegelegene Stadt aus. Er empfiehlt den Spielern eine weitere Reiseroute, bei der er fast garantieren kann dass sie in einen Hinterhalt seiner Räubertruppe geraten.
Soweit, so gut - simulationistisch ist alles in Ordnung. Jetzt aber entscheidet sich der SC-Magier dazu, die Gedanken des Streuners zu lesen. Das lineare AB ist aber so strukturiert dass die SCs in diesen Hinterhalt geraten sollen. Was tut der SL nun?
1. Er sagt, es geht nicht. Einfach so.
2. Er sagt, es geht, aber die Hellsichtsmagie sagt nichts besonderes aus.
3. Er sagt, es geht nicht, es ist ein Antimagisches Feld da, welches Hellsichtsmagie blockiert.
1. Ist erstmal eine scheinbare verletzung des Simulationistischen Prinzips. Denn es wurde die Regel aufgestellt: Es gibt Hellsichtsmagie und sie funktioniert zuverlässig, abgesehen von besonderen Umständen (siehe 2.) Da die Spieler aber aufmerksam werden wenn etwas nicht funktioniert, was funktionieren sollte, werden die Spieler Verdacht schöpfen. Diese Option geht also nicht.
2. Das AB kann weiterlaufen ohne dass die Spieler verdacht schöpfen, die SCs tappen in die Falle und soweit sie den Streuner nicht bei der Räuberbande wieder antreffen, werden sie nie bemerken dass der SL sie hier gerailroadet hat. Dies ist möglicherweise eine verletzung des simulationistischen Prinzips. Es ist möglich für den SL, zu retconnen, dass der Streuner wirklich nur ein Wandersmann war (er ist Schrödingers Räuber) um das fehlschlagen des Hellsichtszaubers zu legitimieren, damit ist es kein Railroading, solange keine anderen innerweltlichen Unstimmigkeiten auftreten würden, Beispielsweise: Was für einen Grund hätte ein Wandersmann, den SCs eine Route zu empfehlen, auf der sie mit hoher wahrscheinlichkeit überfallen werden? Wäre er nicht selbst gerade von dort her gekommen und überfallen worden? Etc. Nachträgliche Änderungen sind im Simulationistischen grundsätzlich möglich, aber erzeugen schnell Regelbrüche oder enorme Unwahrscheinlichkeiten.
Enorme Unwahrscheinlichkeiten die per SL-Fiat entschieden werden, stellen ebenfalls Regelbrüche dar. Mittels Würfeln hat man problemlose Möglichkeiten jede noch so grosse Unwahrscheinlichkeit abzubilden. Für den Fall weswegen die SCs in so viele unwahrscheinliche Abenteuer verstrickt werden, zählt das zwar als "Acceptable Break from Reality" allerdings wird praktisch universal die "enorme unwahrscheinlichkeit" als Mittel zur Auflösung des Abenteuers als Deus Ex Machina // Ass Pull wahrgenommen und damit im simulationistischen als Unglaubwürdig / Regelbruch abgelehnt.
3. Ein Antimagisches Feld irgendwo im Wald? Hier gibt es wiederum mehrere Submöglichkeiten:
3a) Das Antimagische Feld ist einfach da und hat keine Erklärung. Aber es wird auf das etablieren einer neuen Regel verzichtet - das ist Metagaming, denn es wird hier nicht simulationistisch gearbeitet. Die Spieler schöpfen Verdacht, die Charaktere sind erstaunt ob des unwahrscheinlichen Phänomens. Ähnlich option 1.
3b) Das Antimagische Feld ist einfach da. Es hat keine Erklärung. Worauf das hinausläuft ist die Etablierung einer neuen Regel: Manchmal, wenn die Sterne so und so stehen oder der Boden besonders reich an bestimmten Mineralien ist, funktionieren gewisse Magiesorten einfach so nicht. Das ist simulationistisch grundsätzlich völlig in Ordnung, solange es gesetzmässigkeiten gibt, die bestimmen wo so ein antimagisches Feld ist und wo nicht. Beispiel: Der SL würfelt an jeder Location einen W20 und bei einer 20 ist halt alles in einem Umkreis von 10 Kilometern antimagisch. Simulationistisch in Ordnung. Simulationistisch müsste aber diese Regel natürlich lange vor dieser Situation kommuniziert worden sein, und auch nach dieser Instanz angewendet werden.
3c) Das Antimagische Feld ist da und eine kreative (nichtmagische / quasimagische) Untersuchung zeigt dass sich der Ursprung sich auf einen Punkt etwa 700m Nordöstlich zentriert. Bei einer weitere untersuchung des Antimagischen Feldes stellt sich heraus, dass dort eine verfallene Burgruine befindet, in deren Keller ein einzigartiger, mächtiger Dämon seit Tausenden von Jahren festgehalten wird. Ein Magier hat das Magische Feld aufgebaut, um zu verhindern dass andere Dämonen diesen einzigartigen Dämon befreien können. Simulationistisch ist das in ordnung, denn es wird nach den Regeln gearbeitet - Antimagische Felder können regeltechnisch erzeugt werden, und ihr Ursprung gefunden werden, wenn es auch schwierig ist, diese zu erzeugen. Natürlich ist nun dieser Plot hook wohl wesentlich interessanter als der vorherige.
Was heisst das ganze: Es ist nicht wichtig ob die Spielerhandlung eingeschränkt wird, oder ob dies verdeckt geschieht. Wichtig ist dass der simulationismus gewahrt bleibt, d.h. alles gesetzmässig begründbar ist und notfalls mit Regeln abgebildet werden kann.
Werden Spielerhandlungen eingeschränkt ohne dass es dafür eine regeltechnische Grundlage gibt, ist das im simulationistischen Verständnis Railroading. Der ökonomie halber können Regeln zwar erst an der Stelle etabliert werden, wo sie zur Anwendung kommen, idealerweise werden aber Regeln vorher kommuniziert - Charakterverhalten geführt durch die Spieler hängt ja im Simulationistischen auch davon ab, dass ein Charakter wenigstens grundsätzlich die Regeln der Welt versteht.
Es benötigt keine Intention. Die ist natürlich meistens "Plot Durchdrücken" da es kaum eine andere Begründung gibt für einen SL, die Regeln zu brechen, aber das ist schlussendlich irrelevant.
Das Bedeutet, Railroading lässt sich im Simulationistischen zufriedenstellend Definieren (Regelbruch seitens des SLs) ohne dass dabei Gummikriterien wie "Offenheit" oder "Legitimation" relevant sind (Wobei TAK mit Legitimation hier die Akzeptanz der Spieler meint)
Das bedeutet auch dass der 08/15 Abenteuereinstieg in der Regel einen Regelbruch und damit Railroading darstellt, da er nicht simulationistisch erzeugt wurde, sondern weil der Plot das so will. Aber zählt zu den Acceptable Breaks from Reality.