Rollenspieldesign macht Spaß, und wenn es dann auch noch für einen guten Zweck ist ("Neue Schäfchen für die Rollenspielgemeinde") - ja, dann kann man doch nur jubilieren. Oder? Ich will hier niemand in seinem Tatendrang bremsen, ein neues Rollenspiel zu schreiben, aber ein paar Sachen zum rumnölen sind mir beim Lesen schon eingefallen, einige speziell zu hier vertretenen Ansichten, andere zum Thema "Einsteigerrollenspiel" generell. Und damit es richtig lustig wird, habe ich es ein wenig boshaft formuliert. Ironiemüde Zeitgenossen mögen mir verzeihen.
Drodileins kleine Designfibel für EinsteigerrollenspieleGar viele Leut haben sich am Entwurf des idealen Spiels für den Generischen Potentiellen RollenSpielEinsteiger (GPRSE) versucht, doch immer wieder werden grundlegende Fehler gemacht. Das intensive Studium dieses tiefschürfenden Werkes wird dem mit Sicherheit ein Ende bereiten.
Im folgenden findet der geneigte Leser die wichtigsten Punkte, die er tunlichst beherzigen sollte, will er auch nur den Hauch einer Chance auf Erfolg haben. Und Erfolg im Sinne von vielen begeisterten Neueinsteigern ist es doch, was man haben will, oder? Na also.
1. Du machst ein Anfängerhäppchen und kein Vollblut-RPGDu willst neue Leute ans Rollenspiel heranführen, und wie das mit Neulingen so ist: Sie haben von nichts einen Plan. Also mach alles schön einfach. Das wird dann garantiert so einfach, dass du es - wie halt jeder Vollblutspieler - mager, dröge und furchtbar langweilig findest, aber so ist das nun mal mit Einstiegssachen.
Denk immer dran: Ausdünnen ist alles, und auch wenn du als richtiger Spieler dein Spiel im Normalfall nicht mit den Fingerspitzen anfassen würdest - für Anfänger ist das gerade richtig. Denen macht das garantiert riesigen Spass und wenn sie es dann irgendwann doch überdrüssig werden, dann haben sie auch das Vollblutspielstadium erreicht und man kann sie auf richtige RPGs loslassen.
So macht man das eben mit Anfänger-RPGs: Was zum anfixen und wenn sie dann Feuer gefangen haben - und das werden sie auf diese Weise garantiert! - können sie sich was ordentliches holen. Und nein, niemand wird sich als Anfänger heruntergestuft oder nach dem Kauf eines richtigen RPGs vergackeiert vorkommen.
2. Nimm das BewährteVermutlich fragst du dich, was in so ein Anfängerspiel alles hineinkommt. Ganz einfach: Genau das gleiche wie in anderen Rollenspielen auch, nur einfacher. Und einfacher heisst nun mal in erster Linie: weniger. Aber darauf kommen wir noch genauer. Wichtig ist erst einmal: Die Leute, die die anderen Spiele geschrieben haben, haben sich schon was dabei gedacht und du hast als alter Hase sicher ein gutes Gefühl, was davon für Neulinge wichtig ist und was nicht. Mehr als das braucht es nicht.
Eine wichtige Sache allerdings noch: Nimm wirklich Bewährtes und lass dich nicht von deiner Designerkreativität zu irgendwelchen Experimenten hinreissen. Immer dran denken: Du machst ein Anfängerhäppchen, dein Spiel ist Durchgangsstation - und die soll nun mal zu den etablierten Standards weiterführen. Ganz davon abgesehen: Steck deine Innovationen lieber in Vollblut-RPGs, da bekommst du wenigstens ein Publikum, dass das auch zu würdigen weiß.
3. Kümmere dich zuerst um das Wichtigste: Die RegelnHintergrund, Abenteuer, Einführung, Layout, Tipps & Tricks, Verbreitungstaktiken ... alles das verblasst vor
dem zentralen Punkt beim Entwurf eines Einsteigerspiels: Den Regeln. Ja, diese Dinger mit Würfeln, Zahlen, Charakterblatt & Co. Denn: Ein Einsteigerspiel muss einfach sein. Vollblutspiele haben komplexe Regeln, und genau das macht ein Einsteigerspiel überhaupt erst notwendig (von den überdicken Hintergründen mal abgesehen).
Es gibt immer wieder Leute, die behaupten, man müsse die Regeln in den Hintergrund oder in irgendwelche ominösen Spielziele einpassen. Vergiss das ganz schnell: Du wirst eh bewährte Genres für den Hintergrund nehmen, siehe Punkt (2), und das Genre reicht garantiert, um dazu passende Spielmechaniken einzubauen.
So bleibst du auch schön universell - ein Wert an sich für jeden ernsthaften RPG-Designer - und die Spielziele sind ja eh jedem mit etwas Grips sofort verständlich und werden auch glasklar durch deine Regeln transportiert. Dein Rückgriff auf bewährte Regelverfahren anderer Spiele sorgt dafür, dass dir dabei auch keine Schnitzer unterlaufen.
Ist das nicht toll? Genau das, was wir Rollenspieldesigner am liebsten machen - schicke Regeln entwerfen - ist das A und O beim Einsteigerspiel. Also: Ran an den Regelspeck, alles andere kann warten. Erst wenn der letzte Modifikator steht, geh an den Hintergrund.
Modifikator? Ja, du hast richtig gehört! Es ist zwar nur ein Anfängerhäppchen, aber auch Anfänger sind nicht auf den Kopf gefallen. Also: Mach die Regeln nicht völlig trivial. Deine jahrelange Spielerfahrung wird dir gewiss sagen, wo du es komplex machen kannst und wo nicht. Das ist ja in anderen Bereichen auch so - Experten können sich stets und ohne Probleme in die Lage von Anfängern versetzen.
4. Mach den Hintergrund einsteigerfreundlichGanz ehrlich, allzuviel Hintergrund brauchst du nicht. Da du Anfänger in die grosse weite Rollenspielwelt einführen willst, diese aber noch keine ausgefeilten 3000 Seiten starken und über zig Bände verteilten Hintergründe vertragen, machst du es klein, handlich und am Standard orientiert: Die drei üblichen Typen - 1x Fantasy, 1x Horror + 1x SF - sollten vollauf genügen.
Warum diese drei? Nun, sie sind eben das, was am verbreitetsten ist., die Leuten mögen es also. Das wird auch für zukünftige Rollenspieler gelten. Alle Leute, die Rollenspiel betreiben oder dafür begeistert werden könnten, mögen in der Mehrheit genau diese Sachen und nichts sonst. Wäre es anders, hätte garantiert schon ein grosser RPG-Verlag daraus ein Spiel gemacht. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Also: Keine Experimente. Solltest du bereits einen interessanten Hintergrund haben, der ins obige Raster passt, dann überleg dir gut, ob du ihn wirklich auf Anfängerhäppchengrösse eindampfen willst statt ihn in einem ordentlichen RPG zu veröffentlichen. Bevor du hier ja sagst, lies dir nochmal genau Punkt (1) und die Sache mit der Durchgangsstation durch.
Danach sollte dir klar sein, dass dein schöner Hintergrund vielleicht doch besser in einem normalen RPG untergebracht ist - Stichwort: dankbareres Publikum - insbesondere wenn es zu ausführlich und abweichend vom Üblichen ist. Das riecht nach Folgepublikationen, und diesen Aufwand ist so ein Anfängerhäppchen nicht wert.
Sei also lieber vernünftig und mach schnell einen kurzen, netten Hintergrund. Er wird dir zwar reichlich widergekäut und unkreativ vorkommen, aber für deine Klientel ist ja noch alles brandneu, denen wird das schon Spass machen.
5. Spieltipps, Einstiegsabenteuer und Layout - brauchts nun mal auchDas wichtigste steht nun; schreib noch fix ein Einstiegsabenteuer, damit die Leute auch gleich was zum Losspielen haben. Ein schnurgerader Plot, der es dem Neu-SL leicht macht, ist am besten. Schreib noch ein nettes, besonders ausführliches Anfangskapitel "Was ist Rollenspiel?" und ans Ende ein Kapitel mit Spieltipps, fertig.
Solche Tipps findest du massenhaft in diversen "grossen" RPGs. Natürlich kannst du auch aus deinem eigenen Erfahrungsschatz greifen. Sag den Leuten ganz klar und deutlich, wie man Rollenspiel richtig betreibt. Vergiss die Goldene Regel nicht.
Zum Schluß kommen noch solche Dinge wie Layout, Karten und Bilder. Mach das so ordentlich wie du kannst und nimm dir destruktive Kritik nicht zu sehr zu Herzen. Vor der Veröffentlichung wäre es vielleicht ganz gut, noch ein, zwei Testspiele mit deiner üblichen Runde oder auf einem Con zu machen. Ist aber nicht unbedingt nötig.
6. Das Internet wirds richten.Wenn du mit allem fertig bist, kannst du dir langsam mal Gedanken machen, wie du dein Werk denn nun an die Einsteiger bringst. Es wird jetzt einfach Zeit dafür. Dank Internet ist das mittlerweile alles ganz einfach: PDF irgendwo zum Download anbieten, allen möglichen Leute in Chats/Foren/... deutliche Hinweise geben, und schon rollt die Sache. Darauf ist bisher nämlich kaum jemand gekommen und bei der Suche nach dem Stichwort "Rollenspiel" wird man dich schnell finden und natürlich auch zuerst bei dir zugreifen.
Da du Einsteiger ködern willst, die sich natürlich nicht in den Standardecken für Rollenspieler herumtreiben, bietet sich eine kleine Reise durch diverse Nicht-RPG-Chats, -Foren und -Mailinglisten an, je nach Umfang auch mit automatisierten Standardnachrichten. Die Leute werden begeistert sein. Lass dich nicht von den paar Querköpfen abhalten, die dauernd SPAM schreien.
Solltest du - überflüssigerweise - unbedingt eine Website für dein Spiel einrichten wollen: Das ist die ideale Tummelwiese, um sich ein bisschen im Webdesign einzuüben. Übertreib es ansonsten nicht mit dem Support, das kostet nur Zeit und Nerven. Die Leute sollen froh sein, dass du ihnen überhaupt dieses Spiel gemacht hast.
Wenn du alle diese Dinge beachtest, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen, und man kann dir eigentlich nur jetzt schon zum Erfolg gratulieren.
Gruß
Uwe