Kürzlich habe ich allgemein darüber nachgedacht, wie Charakterentwicklung und Plotentwicklung miteinander zusammenhängen und wie viel Geschichte notwendig ist, wenn man sich auf die Charakterentwicklung konzentriert (
Charakterentwicklung wichtiger als Plot). Bei der Diskussion ist mir recht schnell klar geworden, dass es sinnvoller ist, darüber nicht abstrakt zu diskutieren, sondern konkret bezogen auf das System, an dem ich arbeite. Denn schließlich stellt sich mir hier die Frage, wie ich weitermachen soll. Im Folgenden skizziere ich kurz die Grundidee von
Stimmen und erläutere dann meine Fragen zum Verhältnis von inneren Konflikten, Charakterentwicklung und Plotentwicklung. (Für die bisher ausführlichste Skizze dazu, worum es bei
Stimmen geht und wie es abläuft, könnt ihr ins
Diary von der ersten Testrunde schauen. Allerdings gibt es noch nicht einmal eine Vorabversion eines Regelwerks - ich arbeite noch daran.)
Das zentrale Thema von
Stimmen sind innere Konflikte. Die Grundidee ist, dass man die widerstrebenden Gefühle, Neigungen, Überzeugungen etc., die jeder Mensch in sich trägt und die darum streiten, was der Mensch tut, auf die Bühne holt. Jeder Mensch trägt in sich verdrängte, unterdrückte oder vergessene Träume, Triebe und Ansichten. Bei Stimmen nimmt diese alltägliche Vielstimmigkeit dramatische Formen an: jeder Charakter muss darum kämpfen, dass die Stimmen in seinem Kopf nicht die Kontrolle an sich reißen. Denn die Stimmen verfolgen andere Ziele als der Charakter. Wo der Charakter verzeihen will, fordert die Brutalität Vergeltung. Wo der Charakter für seine Überzeugungen kämpfen will, drängt sich die Hoffnungslosigkeit in seine Gedanken und lässt ihn verstummen.
Das Spiel wird derzeit für drei Spieler + Spielleiter ausgearbeitet. Jeder Spieler erschafft sich einen Charakter. Zu den Charakteren der anderen erschafft jeder Spieler jeweils eine Stimme (also gibt es am Ende drei Charaktere mit jeweils zwei Stimmen). Der SL präsentiert die Welt.
In jeder Szene steht einer der drei Charaktere im Mittelpunkt. Die Szene thematisiert jeweils etwas, das für den Charakter von großer Bedeutung ist (also beispielsweise wichtige Hoffnungen & Ziele, Werte & Überzeugungen oder zwischenmenschliche Beziehungen). Die beiden Spieler, die die Stimmen zu dem Charakter führen, versuchen nun, die Kontrolle zu übernehmen und ihre eigenen Wünsche und Ziele realisieren. Sobald es einer Stimme gelingt, die Kontrolle zu übernehmen, verändert sich das Charakterverhalten entsprechend und der Charakter handelt so, dass seine eigentlichen Ziele vereitelt werden, er eigene Überzeugungen verletzt etc.
Die Charaktere und die Stimmen werden im Laufe des Spiels immer präziser ausgearbeitet, indem sie neue Aspekte bekommen und neue Episoden aus der Lebensgeschichte des Charakters festgelegt werden.
Nun zu dem Problem: Damit die Konflikte zwischen Charakter und Stimmen elektrisierend werden, muss für den Charakter etwas auf dem Spiel stehen. Deswegen ist es wichtig, dass die Charakter-Welt-Interaktion hinreichend lebendig ist und deutlich wird, welche Konsequenzen der Kontrollverlust hat. Bei der Charaktererschaffung (und im weiteren Verlauf des Spiels) legen die Spieler deswegen fest, was für ihre Charaktere von herausragender Bedeutung ist. Beim Sceneframing wird das dann aufgenommen, so dass also gewährleistet ist, dass in der Szene etwas thematisch wird, das für den Charakter wichtig ist.
So weit so gut. Nun ist die Frage, wie wichtig es ist, dass man als SL Szenen bastelt, die sich zu einer Geschichte zusammenfügen. Es wäre ja nach dem bisher Gesagten problemlos möglich, nacheinander wichtige Aspekte zu thematisieren, ohne dass die Szenen sich zu einer Einheit zusammenfügen. Bisher gibt es im Regelwerk nur eine einzige Vorkehrung, damit das Ganze nicht völlig zerfasert: zu Beginn des Spiels einigen sich die Spieler auf ein Schlüsselereignis, das für jeden Charakter bedeutsam ist. Die erste Szene jedes Charakters muss dann Bezug nehmen auf das Schlüsselereignis.
Jenseits dessen setze ich bisher allein auf die kreative Kraft des SLs. Vielleicht sollte man aber noch mehr Vorgaben dazu machen, wie der SL die Szenen framed, so dass man im weiteren Verlauf des Spiels eine Geschichte entwickelt. Ich bin mir nicht sicher, ob das sein muss. Vielleicht reicht es auch, ein Schlüsselereignis zu haben, das einen Kontext für alle vorgibt, und dann die Szenen rund um Charakteraspekte zu entwickeln. Hier wäre der SL gefordert, sich relevante Szenen auszudenken und gleichzeitig die Entwicklung eines größeren erzählerischen Rahmens so weit voranzutreiben, wie es notwendig ist, damit das Spiel cool ist.
Was meint ihr, braucht es konkrete Vorgaben dafür, wie sich das Spiel Szene für Szene entwickeln sollte? Oder kann man da ganz auf die Einfälle des SLs (und natürlich der Spieler, die Ideen einbringen) vertrauen? Einerseits reizt es mich, ein strengeres Korsett vorzugeben. Andererseits sollte das Spiel auch nicht zu komplex werden.