Dies ist ein Posting zum
Jahr der Techniken, in dem ich
A Penny For My Thoughts und seine Spielmechaniken erst einmal möglichst wertungsfrei vorstelle.
Worum geht es?A Penny For My Thoughts ist ein spielleiterloses Erzählspiel von Paul Tevis, bei dem die Spieler in die Rolle von Amnesie-Patienten schlüpfen, die am Orphic Institute of Advanced Studies behandelt werden. Da bisher keine etablierten Maßnahmen geholfen haben, haben sich diese Patienten bereit erklärt, sich einer besonderen Gruppenbehandlung zu unterziehen, bei der die Teilnehmer durch die Einnahme einer Droge in die Lage versetzt werden, die Erinnerungen der anderen wahrzunehmen. Das Spiel ist inspiriert von Filmen wie "Memento", "The Bourne Identity" oder "The Eternal Sunshine of the Spotless Mind". Es versteht sich als betont kollaboratives Erzählspiel in der Tradition von "The Extraordinary Adventures of Baron Munchhausen" von James Wallis sowie Meguey Bakers "1001 Nights".
PräsentationSämtliche Spielregeln sind in Form von Anweisungen zur bereits erwähnten Therapie geschrieben. Das Spiel hat deshalb nicht nur den Anspruch, dass man es spielen kann, ohne die Regeln vorab gelesen zu haben. Auch wird für sämtliche Spielmechanismen eine mehr oder weniger plausible Begründung geliefert, die mit der besonderen Therapieform der Patienten zu tun hat.
Wie funktioniert es?Bei A Penny For My Thoughts geht es darum, im Laufe der Spielsitzung etwas über die Vergangenheit der Charaktere und schließlich auch über die Ursache für ihre Amnesie herauszufinden. Um einen gemeinsamen Vorstellungsraum zu unterstützen, wird das Setting in einem "Facts and Reassurances Sheet" kurz zusammen gefasst. Der Default ist das Spiel in der Jetztzeit, es gibt aber auch Sheets für gänzlich andere Settings. Zu Beginn bekommt jeder Spieler einen Fragebogen mit drei Fragen zu bestimmten Arten von Erinnerungen, die im Laufe des Spiels beantwortet werden.
RollenZu jedem Zeitpunkt im Spiel gibt es stets einen Patienten, der sich in der Rolle des
Reisenden befindet. Es liegt an ihm, eine Reise in seine unterdrückten Erinnerungen zu unternehmen. Sämtliche anderen Patienten befinden sich zu diesem Zeitpunkt in der Rolle der
Guides und sind dafür verantwortlich dem Reisenden dabei zu helfen seine Erinnerungen zurückzubekommen. Jeder Patient befindet sich insgesamt dreimal in der Rolle des Reisenden, um jeweils eine der auf dem Fragebogen stehenden Fragen beantworten zu können.
VorbereitungZu Beginn der Therapie schreibt jeder Patient jeweils fünf sogenannte
Memory Trigger auf, die dann alle zusammen in einem Behälter gesammelt werden. Ein Memory Trigger ist ein kurzer Erinnerungsfetzen, z.B. ein Gegenstand, eine Person, ein Gefühl oder eine Sinneswahrnehmung.
SpielablaufUm die nächste Reise antreten zu können, muss ein Patient zwei Voraussetzungen erfüllen: Zum einen muss er die vorherigen Fragen bereits beantwortet haben, zum anderen muss er die für diese Reise mindestens benötigte Anzahl an Pennies besitzen. Pennies sind die einzige Ressource in diesem Spiel, und für jede Reise benötigt ein Patient einen Penny mehr als für seine vorherige. Wer jeweils die nächste Reise antritt, ergibt sich durch die Anzahl der Pennies, die die Patienten gerade besitzen (generell gilt: je mehr, desto besser).
Zu Beginn bekommt jeder Patient einen Penny, wobei einer seinen Penny direkt an einen anderen abgibt, der somit automatisch zum ersten Reisenden wird, da nur er die Mindestanzahl an Pennies hat um überhaupt die erste Reise antreten zu können. Eine Reise läuft dann immer nach dem gleichen Schema ab:
Die ReiseZu Beginn zieht der Reisende einen zufälligen Memory Trigger und liest diesen vor. Das Ereignis, an das er sich auf der Reise erinnern wird, ist eng verknüpft mit diesem Trigger. Die Ausgangssituation für die Reise in die Erinnerung des Patienten wird nun durch eine Reihe von Guiding Questions geschaffen, die von den Guides gestellt werden und vom Patienten nur mit "Ja, und..." beantwortet werden. Die Fragen nehmen Bezug auf den Memory Trigger und sollten auch die Antworten auf die vorherigen Guiding Questions aufgreifen. Der Spieler des Reisenden ist also gezwungen, die durch die Guiding Questions eingeführten Fakten über seinen Charakter zu akzeptieren, hat dann aber umgehend die Möglichkeit, diese in seiner bejahenden Antwort um weitere Fakten zu ergänzen.
Der Patient beginnt seine Reise nun, indem er die durch die Guiding Questions und seine Antworten etablierten Fakten und Details in einer kurzen Einführung in einem Zusammenhang bringt. Von dort ausgehend beschreibt er seine Erinnerungen, muss sich allerdings auf die Aktionen anderer Menschen sowie auf seine Wahrnehmung und seine Gefühle beschränken. Sobald er zu einem Punkt kommt, an dem er etwas sagt oder handelt, ist er auf die Hilfe der Guides angewiesen. An dieser Stelle werden zwei Guides befragt, was der Reisende in dem Moment gesagt oder getan hat. Nur einer von beiden hat Recht. Welcher das ist, entscheidet der Spieler des Reisenden, indem er diesem Guide einen Penny gibt. Das Ganze wird fortgesetzt, bis der Reisende den letzten Penny ausgegeben hat. Je mehr Pennies man also zu Beginn der Reise zur Verfügung hat, desto komplexer kann die Erinnerung, die auf dieser Reise hervorgeholt werden soll, ausfallen.
Zum Ende der Reise fasst der Patient noch zusammen, an was er sich erinnert, wenn er an den von ihm gezogenen Memory Trigger denkt, notiert dies auf seinem Fragebogen und bekommt einen Penny aus einem allgemeinen Pool.
Nun tritt solange der gemäß den Regeln nächste Patient seine Reise an, bis alle Spieler alle drei Erinnerungen ausgespielt haben. Das Spiel endet damit, dass sich alle Patienten entscheiden, ob sie die in der Therapie hervorgebrachten Erinnerungen behalten wollen oder diese wieder ausradiert werden sollen.
SpielmechanismenIn punkto Spielmechanismen sind an A Penny For My Thoughts meiner Meinung nach zwei Elemente besonders interessant: Zum einen die Rolle der Pennies, zum anderen die erzwungene Kollaboration, wobei die Pennies für sich jetzt nichts Neues sind, sondern in ähnlicher Form natürlich schon in anderen Spielen zu finden sind. Das Spiel macht übrigens auch von festen Phrasen Gebrauch (a la Polaris, Archipelago II, Western City etc.), darauf werde ich aber nicht weiter eingehen.
PenniesEs gibt zwei Gründe, Pennies sammeln zu wollen: Erstens benötigen die Spieler Pennies, um jeweils ihre nächste Phase des Spiels antreten zu können. Zweitens kann die Erinnerung länger und komplexer ausfallen, je mehr Pennies ich habe. Beides soll also den Guides einen Anreiz geben, eine möglichst coole oder passende Aktion des Reisenden zu beschreiben - oder vielmehr eine, welche dem Spieler des Reisenden besonders zusagt, denn dieser alleine hat sich ja für eine von zwei Erinnerungen zu entscheiden und dem entsprechenden Guide einen Penny zu geben.
Erzwungene KollaborationA Penny Of My Thoughts legt viel Wert darauf, dass die Spieler mehr oder weniger zum kollaborativen Erzählen gezwungen werden. Der Reisende kann niemals einfach die Geschichte erzählen, da er generell kein Vetorecht hat - die Guiding Questions müssen immer mit "Ja" beantwortet werden, und auf der eigentlichen Reise kann er sich auch nur zwischen zwei möglichen von den Guides eingebrachten Erinnerungen entscheiden, aber nicht beide ablehnen. Der Grundstein für die Erinnerung, die in einer Reise erzählt wird, wird durch den Memory Trigger und die erste Guiding Question gelegt, nicht durch den Reisenden.
Für die Spieler, die gerade Guides sind, heißt das im Umkehrschluss auch, dass sie sich im Grunde niemals zurücklehnen können, da sie stets zur Geschichte eines anderen Spielers beitragen können und müssen (gilt natürlich nur mit Abstrichen, denn mit vier Spielern gibt es für einen Spieler theoretisch durchaus die Möglichkeit, in der Zeit, in der er nicht Reisender ist, passiv zu bleiben).
FazitKein Fazit, dies ist nur eine Systemvorstellung. ;-) Was noch anzumerken ist, ist die Tatsache, dass "A Penny For My Thoughts" nicht darauf ausgelegt ist, dass die Charaktere außerhalb der Therapiesitzung, also in ihren Erinnerungen, miteinander interagieren. Es handelt sich in der Regel um separate Erzählungen, die höchstens thematische Gemeinsamkeiten haben können.
Ob die beschriebenen Spielmechanismen so in der Praxis gut funktionieren oder nicht, darüber würde ich gerne diskutieren - wahrscheinlich am besten in einem separaten Thread - oder zunächst in meinem
Spielbericht andhand einer konkreten Erfahrung aus der Praxis.